Kommentar
10:34 Uhr, 03.08.2004

US-Wachstumsszenarios für 2005

Die eindeutigen geldpolitischen Signale der US-Notenbank Federal Reserve (Fed) haben die Debatte über US-Zinsen fast ausgelöscht. Fast alle Analysten gehen nun davon aus, dass die Fed ihre lockere Geldpolitik "maßvoll" zurücknehmen wird; dies wird verstanden als eine Erhöhung um jeweils einen Viertelprozentpunkt bei jeder Sitzung von jetzt an bis zum Ende des nächsten Jahres. Wir stimmen dem weitgehend zu, aber wir sind uns auch bewusst, dass eine derart lange Zinserhöhungsperiode ungewöhnlich wäre. Sollte sich die konjunkturelle Nachrichtenlage ändern, würde dies wohl ebenfalls auf die Absichten der Federal Reserve zutreffen. Mit anderen Worten: Wie die Märkte dürften auch Greenspan und seine Mitstreiter die Daten analysieren und ihren Kurs gegebenenfalls entsprechend ändern.

Vor diesem Hintergrund macht es Sinn, zu untersuchen, wie sich die Dinge anders entwickeln könnten. In dieser Woche analysieren wir drei Szenarios im Umfeld des zentralen Konsensus. Es handelt sich um eine "harte Landung" (hard landing) - eine deutliche Verlangsamung des US-Wirtschaftswachstums 2005, "keine Landung" (no landing) - die Konjunktur läuft weiter Volldampf voraus, eventuell noch stärker, sowie um eine "Produktivitätslandung" (productivity landing) oder Stagflation - das Verhältnis zwischen Wachstum und Inflation verschlechtert sich.

Im Szenario "harte Landung" sinkt das BIP-Wachstum bis Ende nächsten Jahres auf 2,5%, die Inflation auf 1%. Nach Zinserhöhungen auf insgesamt 2% bis Ende dieses Jahres gehen wir davon aus, dass die Fed die Zinsen im Jahr 2005 nicht weiter erhöhen wird. Die sinkende Inflation dürfte erneut eine Deflationsdebatte auslösen und die Entscheidungsträger unter Druck setzen, die Geldpolitik zu lockern. "Keine Landung" beschreibt das gegenteilige Szenario: Kräftiges Wachstum (5,25% bis Jahresende 2005) und eine höhere Inflation (3,25% Ende 2005). Wir nehmen an, dass die Fed in diesem Fall die Zinsen auf 5,5% erhöhen wird, um die Inflation im Zaum zu halten - die übliche Reaktion auf eine heißlaufende Konjunktur.

Die "Produktivitätslandung" stellt schließlich eine Mischung dieser beiden Szenarien dar: Das Wachstum geht bis Ende 2005 auf 2,5% zurück, die Inflation steigt auf 3,5%. In diesem Stagflationsszenario muss die Fed entweder auf das schwächere Wachstum, oder auf die gestiegene Inflation reagieren. Wir erwarten in diesem Fall eine Zinserhöhung auf 5%, da die Notenbank in erster Linie auf Preisstabilität abzielt.

Harte Landung

Ein Zusammenwirken von ungünstigen Faktoren bremst das US-Wachstum: Höhere Ölpreise, eine strengere Geld- und Fiskalpolitik, sowie eine harte Landung in China. Des weiteren erwarten wir - ausgehend von einem niedrigen Niveau - einen Anstieg der Sparquote der privaten Haushalte. Dadurch würden die Ersparnisse eher dem Wohlstand der privaten Haushalte entsprechen und sich in einer Abschwächung der Kreditaufnahme und des Verbrauchs zeigen.

Das Produktivitätswachstum bleibt robust und führt zu einer nachhaltig negativen Produktionslücke (einem nachhaltigen Produktivitätsengpass). Folglich sinkt die Inflationsrate wieder auf 1%. In diesem Szenario kann die US-Wirtschaft die langsamer wachsende Nachfrage mit einem sehr geringen Beschäftigungswachstum erfüllen.

Die Inflationsraten dürften bis zum Jahresende auf 2% ansteigen. Die Fed lässt die Zinsen für das Gesamtjahr 2005 - als Reaktion auf die zunehmende Abschwächung - unverändert.

Keine Landung

Einige der für 2005 erwarteten ungünstigen Faktoren treten nicht auf. Kreditaufnahme und Konsum der privaten Haushalte bleiben unverändert stark (ca. 4%). Der US-Präsident (möglicherweise durch einen knappen Wahlsieg geschwächt) beschließt, seine Pläne zur Halbierung des Defizits zu verschieben. Da die Kapazitäten der Wirtschaft weitgehend ausgeschöpft sind, schlagen die hohen Preise für Öl und andere Rohstoffe auf die Löhne und die Inflation durch - sie steigt um über 3%.

Die Fed reagiert mit einer Zinserhöhung auf 5,25% bis Ende nächsten Jahres, um die steigende Inflation zu bekämpfen.

Produktivitätslandung

Die Produktivität wächst weniger stark als von der Fed und vielen Kommentatoren angenommen. Folglich führt ein anhaltendes Wirtschaftswachstum von real 3,5% bis 4% in der zweiten Jahreshälfte 2004 zu einer erheblichen positiven Produktionslücke (Übermaß an ungenutzten Kapazitäten). Als Spätindikator steigt die Inflation im Jahresverlauf 2005 weiter (etwa auf ein Niveau, das wir auch für das Szenario "keine Landung" erwarten). Dies führt zu einem geringeren Wachstum der Realeinkommen und - da dies nur bedingt durch das Beschäftigungswachstum ausgeglichen wird - zu einer Abschwächung bei Konsumausgaben und Konsumwachstum. Die geringere Produktivität wird auch die Gewinne und die Investitionsausgaben schwächen. Das Wachstum sinkt auf das Niveau des Szenarios "harte Landung" ab.

In dieser "schlechtesten aller vorstellbaren Welten" nehmen wir an, dass die Fed die Preisstabilität als Hauptziel verfolgt und daher die Inflation mit einer restriktive Geldpolitik bekämpft.

Reaktion des Rentenmarkts

Um die Reaktion des US-Rentenmarkts auf diese verschiedenen Entwicklungen zu beurteilen, haben wir unser Modell angewandt, das auf der Rendite einer zehnjährigen US-Bundesanleihe unter Berücksichtigung der Fed-Politik und des konjunkturellen Umfelds beruht. Dabei stellt die enge pro-zyklische Beziehung zwischen der Realrendite (d.h. inflationsbereinigt) und dem ISM-Index (Grafik) ein bedeutendes Element dar. Das Durchspielen dieser Szenarios ergibt eine Reihe von Ergebnissen für die Renditestrukturkurve.

Es überrascht nicht weiter, dass die Renditen im Szenario "harte Landung" kräftig einbrechen. Ausgehend vom derzeitigen Niveau von 4,6% fällt die Rendite für 10-jährige Anleihen auf 3,2%, da die schwächere Wirtschaftsaktivität die Realrenditen drückt und die Inflationserwartungen ebenfalls abnehmen. Sie kämen damit nahe an die Tiefs des letzten Jahres heran, als FOMC-Mitglied Ben Bernanke die Möglichkeit ansprach, dass die US-Notenbank ihre Politik auf die Rentenmarkt-Renditen ausrichten könnte.

Dagegen führt das Szenario "keine Landung" zu einem massiven Ausverkauf bei Anleihen, da die Konjunktur heißläuft. Die Anleiherenditen würden um etwa 250 Basispunkte auf 7,25% steigen. Etwa ein Prozentpunkt des Anstiegs würde auf die höheren Realrenditen entfallen, der Rest auf die inflationäre Entwicklung. Die Renditen waren seit 1994 nicht mehr so hoch.

Schließlich führt auch das Szenario "Produktivitätslandung" - Stagflation - zu höheren Renditen. Obwohl die schwächere Konjunktur für einen gewissen Ausgleich sorgt (über niedrigere Realrenditen), überwiegt die inflationäre Entwicklung. Nach unserer Schätzung würden die 10-jährigen Renditen auf 5,8% steigen.

Der Dollar und die Defizite

Es muss betont werden, dass wir in diesen Szenarios keine Veränderungen des US-Haushaltsdefizits berücksichtigen und auch die möglichen Auswirkungen aus einem weiteren Verfall des Dollars vernachlässigen. Obwohl der Dollar bei unseren empirischen Untersuchungen für die Ermittlung der Anleiherenditen kaum eine Rolle spielt, ist es - in einem anderen Szenario - ziemlich wahrscheinlich, dass das US-Leistungsbilanzdefizit sowohl einen schwächeren Dollar, als auch höhere Anleiherenditen bewirkt.

Dies könnte geschehen, falls die Notenbanken Asiens ihre Unterstützung der US-Währung verringern, indem sie eine Aufwertung ihrer Währungen zulassen. Eine Beendigung oder auch nur eine Abschwächung dieser Nachfragequelle könnte die US-Anleihen schwer treffen. Dies dürfte mit größerer Wahrscheinlichkeit eintreffen, falls der Eindruck entstünde, die Fed hätte die Kontrolle über die Inflation verloren.

Wahrscheinlichkeiten und unsere Meinungen dazu

Nach unserer Ansicht wird die US-Konjunktur 2005 von moderatem Wachstum geprägt sein; die Aktivität dürfte eher Abwärtsrisiken als Aufwärtstendenzen ausgesetzt sein. Dies folgt weitgehend aus unserer Bewertung der voraussichtlichen Schubkraft der Fiskal- und Geldpolitik, sowie unserer Wachstumsprognose von 3,2% für 2005, die unter dem Konsensus liegt.1 Allerdings steigt die Inflation etwas mehr - auf 2,6% im Jahresdurchschnitt - und liegt damit leicht über den Konsensus-Schätzungen. Daher weist unsere Prognose Elemente der vorgenannten Szenarios auf, entspricht aber nicht völlig einem dieser Szenarios. Bis zum Ende des nächsten Jahres erwarten wir eine Zinserhöhung durch die Fed auf 4% und einen Anstieg der zehnjährigen Anleiherenditen auf 5,5%.

In Bezug auf die Wahrscheinlichkeiten - und entsprechend unserer eher verhaltenen Wachstumseinschätzung - tendieren wir mehr zur harten Landung. Die Wahrscheinlichkeit hierfür dürfte bei 20% liegen. Für das Szenario "keine Landung" sehen wir eine Wahrscheinlichkeit von 10%, für die "Produktivitätslandung" 5%. Obwohl unsere Prognose eine Verschlechterung der Wachstums-Inflationskompensation enthält, betrachten wir das Risiko einer stark enttäuschenden Produktivität als ziemlich gering.

Quelle: Schroders

Die Schroders-Gruppe ist eine führende internationale Vermögensverwaltungsgesellschaft, die 1804 gegründet wurde. Schroders verwaltet Anlagen für Pensionsfonds, Regierungsbehörden, Wohltätigkeitsorganisationen, Körperschaften, Familienunternehmen und vermögende Privatpersonen weltweit und ist ein führender Verwalter von Investmentfonds. Schroders bietet Anlagen in allen wichtigen Vermögenskategorien in entwickelten Ländern und Schwellenländern an: Aktien, Schuldtitel, Geldmarktinstrumente, Beteiligungen und Immobilien. Das weltweit verwaltete Vermögen betrug zum 31. März 2004 rund 147,9 Mrd. Euro.

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