Kommentar
14:36 Uhr, 06.06.2011

US-Arbeitsmarkt leidet unter Strukturdefiziten

Der Arbeitsmarkt ist der wichtigste Indikator, um die Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft und ihre Wachstumsperspektiven zu bewerten. Neben der Zinsentscheidung der US-Notenbank Fed erfährt keine andere Datenveröffentlichung aus den USA eine größere Aufmerksamkeit als der US-Arbeitsmarktbericht. Die am letzten Freitag vorlegten Zahlen haben zum wiederholten Mal gezeigt, dass der Arbeitsmarkt im laufenden Konjunkturzyklus nur unterproportional von der Konjunkturerholung profitieren kann. Besonders enttäuscht hat die geringe Zahl der neu geschaffenen Stellen, wobei der Wert bei sorgfältiger Analyse infolge von Sondereffekten nicht so schlecht ist, wie die Zahlen suggerieren.

Neue Stellen gesunken, Arbeitslosenquote gestiegenDie US-Arbeitslosenquote erhöhte sich im Mai auf 9,1 Prozent nach 9,0 Prozent im Vormonat. Die Arbeitslosenquote unter Männern lag bei 8,9 Prozent, bei Frauen bei 8,0 Prozent und unter Jugendlichen bei 24,2 Prozent. Die Struktur nach Bevölkerungsgruppen blieb gegenüber dem Vormonat unverändert. Weiße waren zu 8,0 Prozent, Schwarze zu 16,2 Prozent, Hispanics zu 11,9 Prozent und Asiaten zu 7,0 Prozent arbeitslos. Die Zahl der neugeschaffenen Stellen (ex Agrar) lag im Mai bei 54.000 Stellen nach einem Wert von 244.000 im April. In der Privatwirtschaft wurden 83.000 neue Stellen geschaffen, im öffentlichen Sektor dagegen 29.000 Stellen gestrichen, was Ausdruck der Sparzwänge im öffentlichen Bereich aufgrund der desolaten Haushaltslage ist.

Beschäftigten- und Erwerbslosenzahl nahezu unverändert
Die Zahl der Beschäftigten blieb im Mai mit 153,7 Millionen Personen nahezu unverändert, was auch für die Zahl der Erwerbslosen gilt, die mit einem Wert von 13,9 Millionen ausgewiesen wurde. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen (arbeitslos für mehr als 27 Wochen) stieg um 6,1 Prozent oder 361.000 Personen auf 6,2 Millionen, was einem Anteil an allen Arbeitslosen von 45,1 Prozent entspricht. Der geringe Wert bei den neuen Stellen wirkt damit weniger dramatisch als es auf den ersten Blick scheint.

Sondereffekte verzerren Bild
Die Zahl der neuen Stellen wurde durch Sondereffekte verzerrt. McDonald’s hatte Ende April bekannt gegeben, in den nächsten Monaten 62.000 zusätzliche Arbeitskräfte einstellen zu wollen, was einen positiven Effekt auf die Zahl der neu geschaffenen Stellen im Mai gehabt hat. Es ist nicht bekannt, wie viele Personen bereits im Mai eingestellt wurden. Im Industriesektor kam es im Mai zu einem Stellenabbau von 2.000 Jobs. Hierfür sind Unterbrechungen der Lieferkette in der Industrie aufgrund des Erdbebens in Japan mitverantwortlich. So sind im Mai bei den Automobilherstellern und -zulieferern 3.000 Arbeitsplätze abgebaut worden. Die japanischen Hersteller gehen davon aus, dass sie ab August wieder die Produktionsniveaus vor der Umweltkatastrophe erreichen werden. Die entlassenen Arbeitskräfte werden bis dahin wieder eingestellt werden.

Historischer schlechter Zustand
Die US-Arbeitslosenquote ist im langfristigen Vergleich historisch hoch. Im Zeitraum von 1984 bis 2008 lag die Quote niemals über 8 Prozent und erreichte im Tief im Jahr 2000 ein Niveau von 4 Prozent. Meist oszillierte die Quote um die 6-Prozent-Marke. Um die US-Arbeitslosenquote zu ermitteln, werden etwa 60.000 Haushalte befragt. Der Wert ist nicht damit nicht mit der deutschen Quote vergleichbar. Neben der offiziellen Arbeitslosenquote von 9,1 Prozent gibt es im US-Arbeitsmarktbericht noch eine Alternative Berechnungsmethode mit dem Namen U-6, die etwas mehr der deutschen Systematik entspricht. Demnach liegt die Arbeitslosenquote in den USA derzeit bei 16 Prozent. Auch dieser Wert ist historisch schlecht. Im Zeitraum 1996 bis 2008 lag die U-6-Quote immer zwischen 7 und 10 Prozent.

Unzureichende Wertschöpfung
Die Gründe der Misere am Arbeitsmarkt bieten Stoff für einen zusätzlichen Makro View und sollen an dieser Stelle nur kurz angerissen werden. In den USA findet das, was Volkswirte als primäre Wertschöpfung bezeichnen, in nur unzureichendem Maß statt. Wertschöpfung ist das Ziel einer Tätigkeit, bei dem vorhandene Güter in Güter mit einem höheren Geldwert transformiert werden. Bei der primären Wertschöpfung wird aus Schrauben, Stahl und Reifen ein Auto hergestellt. Am Ende des Wertschöpfungsprozesses ist etwas Höherwertigeres hergestellt worden, das es vorher nicht gab und weit mehr Wert ist als die Summe seiner Einzelteile. Bei der sekundären Wertschöpfung wird nur gehandelt. Der Teppich landet vom Großhändler über den Zwischenhändler am Ende beim Einzelhändler und alle nehmen einen Preisaufschlag vor. Am Ende ist nichts Neues entstanden. Dafür haben sich viele am Futtertrog bedient.

Industrieanteil zu gering
Überschüsse der Handels- und Leistungsbilanz sind Ausdruck einer gesunden Wirtschaftsstruktur, wovon die USA weit entfernt sind. Vielmehr sind sie der größte Nettoschuldner der Welt und von Rohstoff-, Güter- und Kapitalimporten abhängig. Mittlerweile haben die USA ihre gesetzlich vorgeschriebene Schuldenobergrenze erreicht. Alleine für ihre Rüstungsindustrie geben die USA mehr Geld aus als alle Länder zusammen, die auf den Plätzen 2-20 in der Hitliste der Länder mit den größten Militärausgaben folgen. Die US-Notenbank hat mit ihrer expansiven Geldpolitik dazu beigetragen, dass die USA eine von der Bewertung von Vermögensklassen (Aktien, Hauspreise) abhängige Volkswirtschaft sind, der es an der Wertschöpfungsbasis fehlt. Der Industriesektor hat in den USA einen zu geringen Wertschöpfungsanteil und ist im Vergleich zu anderen Industrienationen unterentwickelt. Die Verschuldung der Haushalte und des Staates ist zu hoch. Der Konsum stellt im Vergleich zu anderen Industrienationen einen überproportional großen Anteil am Bruttoinlandsprodukt. Es findet keine ausreichende Wertschöpfung statt.

Jens Lüders
Technischer Analyst und Redakteur bei Godmode-Trader.de

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