Überraschungen in der Lohnpolitik
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Erwähnte Instrumente
- Die Reallöhne steigen in Deutschland in diesem Jahr so stark wie schon lange nicht mehr.
- Das ist eine gute Nachricht. Es gibt keine sich selbst beschleunigende Deflation. Das Wachstum erhält zusätzliche Impulse. Der Export leidet bisher nicht.
- International wird Deutschland um die Lohnentwicklung beneidet.
Damit hatte ich nicht gerechnet. In der Metall- und Elektroindustrie wird es in diesem Jahr den höchsten Reallohnzuwachs seit Langem geben. Die Tarifpartner vereinbarten, Löhne und Gehälter um 3,4 % zu erhöhen. Dazu kommen noch ein paar Nebenleistungen. Zusammen mit einer Preissteigerung, die kaum über Null hinaus geht, ergibt sich ein Anstieg der Reallöhne um 3,5 %.
Damit wurde ein dicker Pflock in die tarifpolitische Landschaft des Jahres eingerammt. Sicher kann man das Ergebnis nicht eins zu eins auf die Gesamtwirtschaft übertragen. Im Dienstleistungsbereich und im öffentlichen Dienst ist die Produktivitätssteigerung als Basis für die Erhöhung der Löhne niedriger. Aber man geht wohl nicht fehl in der Annahme, dass die Tarifverdienste in der Gesamtwirtschaft in diesem Jahr preisbereinigt um 3 % bis 3,5 % zunehmen werden. Auch das ist sehr viel. Vor einem Jahr waren es gerade einmal 2 %.
Das passt so gar nicht in den Chor der Klagen über schwaches Wachstum und Deflation, der heute en vogue ist. Sind die Lohnabschlüsse überzogen oder sind die gesamtwirtschaftlichen Bedingungen besser als bisher angenommen? Ich glaube, dass Letzteres der Fall ist. Wir müssen umdenken.
Die Lohnerhöhungen zeigen, dass die Befürchtungen einer sich selbst beschleunigenden Deflation nicht gerechtfertigt sind. Die Pessimisten der Europäischen Zentralbank haben nicht Recht. Der Rückgang der Preise führt nicht zu einer entsprechenden Verringerung der Löhne. Zumindest die Tarifparteien haben weiterhin positive Inflationserwartungen.
Aber nicht nur das: Die Lohnsteigerungen sind auch ein Indiz, dass die Inflation trotz der niedrigen Ölpreise und unabhängig von der ultralockeren Geldpolitik wieder zunehmen wird. Die Arbeitskosten steigen schneller. Dann müssen auch die Preise nach oben gehen.
Hohe Reallöhne fördern auch das Wirtschaftswachstum. Die Arbeitnehmer können mehr konsumieren. Und das tun sie auch. Im Januar sind die deutschen Einzelhandelsumsätze um über 5 % gestiegen. Bereits im letzten Jahr war der private Verbrauch die wichtigste Triebkraft der Konjunktur. Das ist eine ganz neue Erfahrung für Deutschland. In der Vergangenheit waren Aufschwünge immer vom Export getragen. Der Konsum kam erst in der Spätphase des Zyklus ins Spiel. Jetzt ist das offenbar bereits in der Anfangsphase der Fall. Insgesamt rechne ich damit, dass die Wirtschaftsleistung in Deutschland in diesem Jahr nicht um 1 % zunehmen wird, wie ursprünglich erwartet. Ich erwarte eher 2 %, vielleicht sogar mehr.
Natürlich erhöht sich der Kostendruck in den Unternehmen. Das war früher immer ein wichtiges Argument gegen zu hohe Lohnsteigerungen. Jetzt fällt es nicht so stark ins Gewicht. Gegenüber Wettbewerbern auf den Märkten des Euroraums haben deutsche Exporteure aus den vergangenen Jahren immer noch einen erheblichen Vorsprung. Er wird nicht durch eine einmalige Lohnerhöhung aufgezehrt. Gegenüber der Konkurrenz in Drittländern hilft die Abwertung des Euros. Negative Effekte auf den Export sind hier zunächst nicht zu befürchten.
Auch aus struktureller Perspektive sind die höheren Löhne erwünscht. Sie führen dazu, dass die Exportlastigkeit der deutschen Wirtschaft abgebaut wird. Wenn im Inland mehr Güter und Dienste nachgefragt werden, muss nicht mehr so viel gegen im Zweifel ungewisse Geldforderungen ans Ausland geliefert werden. Den Partnern im Euroraum geht es besser, wenn Deutschland nicht so viel exportiert. Der Leistungsbilanzüberschuss, der im letzten Jahr 7,4 % des BIP betrug (6 % hält die EU-Kommission noch für erträglich), geht zurück.
Schließlich bedeuten die höheren Löhne, dass die wirtschaftliche Erholung nicht nur den besser Verdienenden in der Gesellschaft zugute kommt, sondern auch der breiten Masse der Bevölkerung. Die Lohnquote, das heißt der Anteil der Arbeitnehmer am Volkseinkommen, die seit dem Jahr 2000 zurückgegangen ist, steigt wieder. Das ist wichtig, nachdem das Thema Gerechtigkeit in letzter Zeit zunehmend wichtiger geworden ist.
International wird Deutschland für die hohen Lohnsteigerungen beneidet. In den USA, wo Wachstum und Produktivität sehr viel stärker steigen, erhöhen sich die Löhne und Gehälter in der privaten Wirtschaft gerade mal um nominell 2,3 %. Real sind das weniger als 2 %.
Der private Konsum muss dort vielfach durch Konsumentenkredite finanziert werden. In Japan liegt das Plus bei 0,4 %. Real ist das ein Minus. Das ist einer der Gründe, weshalb die Konjunktur in Fernost so schleppend in Gang kommt.
Die positive Bewertung hoher Lohnsteigerungen ist freilich kein Freibrief für die Zukunft. Die Welt befindet sich derzeit in einer Ausnahmesituation. Da müssen auch besondere Maßnahmen möglich sein. Wenn sich die Verhältnisse wieder normalisieren, wird manches anders aussehen. In jedem Fall muss dann neu nachgedacht werden.
Für den Anleger
Der hohe Zuwachs der Reallöhne zeigt, dass es der Wirtschaft wieder besser geht. Das passt zu dem stürmischen Aufschwung des deutschen Aktienmarkts in den letzten Monaten und wird ihn weiter stützen. Von hier wird es kein Störfeuer geben. Allerdings gibt es, wie alle wissen, andere Risikofaktoren. Für den Rentenmarkt sind die Lohnerhöhungen nicht gut. Die Renditen müssten steigen. Dass dies bislang nicht der Fall ist, liegt natürlich an den Wertpapierkäufen der EZB.
Anmerkungen oder Anregungen? Ich freue mich auf den Dialog mit Ihnen: martin.huefner@assenagon.com.
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Auffällig ist auch, dass sich die Bundesregierung nicht zu den hohen Tarifabschlüssen äußert. In den vergangenen Jahren wurde stets eine maßvolle Erhöhung angemahnt. Das entfällt dieser Tage, weil eine Entschuldung im Grunde nur über Inflatioin möglich ist - die hohen Abschlüsse müssen (auch) daher hoch willkommen sein.