Kommentar
15:33 Uhr, 16.03.2012

Übergewichtung von Brent im Energiesektor

Der Preis für Rohöl stieg in diesem Jahr stark an. Unter den wichtigsten Crude-Sorten schnitt Brent deutlich besser ab als WTI. Trotz des Anstiegs der Crude-Preise hinkte der Energiesektor den anderen Segmenten im Rohstoffbereich in diesem Jahr bislang stark hinterher (laut DJ UBS). Grund ist der spektakuläre Einbruch der Erdgaspreise in den USA, die nach 3,00 USD pro eine Million BTU (British thermal units) zu Jahresbeginn bis Ende Januar auf 2,25 USD abrutschten. Mitte 2011 lagen sie noch bei 5,00 USD. Dieser Preissturz ist sowohl durch den ungewöhnlich warmen Winter in den USA als auch das hohe Angebot an tatsächlichen sowie unerschlossenen Gasvorkommen (vor allem Schiefergas) bedingt.

Nach dem Arabischen Frühling in 2011 und insbesondere den Produktionsausfällen in Libyen verschärften sich die Spannungen mit dem Iran zu Beginn des Jahres. Aufgrund des iranischen Atomprogramms sind US-Unternehmen jetzt Geschäfte mit der iranischen Zentralbank untersagt. Zudem gilt ab 1. Juli in der EU ein Öl-Embargo gegen den Iran. Mit einer Fördermenge von gegenwärtig etwa 3,45 Mio. Barrel/Tag und einer geschätzten Förderkapazität des Irans von knapp 4 Mio. Barrel/Tag besteht hier ein erhebliches Risiko für die Angebotsseite des Ölmarktes. Zum Vergleich: Die OPEC zielt auf eine tägliche Fördermenge von 30 Mio. Barrel ab; zurzeit liegt diese Menge bei 31 Mio. Barrel.

Als Reaktion auf die Sanktionen des Westens kündigte der Iran Vergeltungsmaßnahmen an: Das Land will die für Öltransporte strategisch wichtige Straße von Hormus blockieren; seine Erdölexporte nach Frankreich und Großbritannien hat der Iran bereits eingestellt. Hinzu kommen Förderengpässe in mehreren anderen Ländern, vor allem dem Sudan, Jemen und Syrien, und natürlich die völlig unsichere Situation im Irak und die damit einhergehenden Förderausfälle. Vor diesem Hintergrund spiegeln die Preise für Rohöl seit Jahresbeginn die steigenden geopolitischen Risiken wider.

Es spricht viel dafür, dass eine „Nicht-Eskalation“ die einzig sinnvolle Konfliktlösung ist. Dennoch ist eine gütliche Beilegung des Konflikts alles andere als sicher. Für „Nicht-Eskalation“ spricht zunächst einmal, dass die Industrieländer nach der tiefen Rezession kaum die Kraft haben, einen erheblich höheren Ölpreis zu absorbieren. Hier sei erwähnt, dass die Erdölnachfrage in den OECD-Ländern im vergangenen Jahr gesunken ist und in diesem Jahr stagnieren dürfte. Am spürbarsten war der Rückgang in den USA und Europa, wo die Nachfrage 2011 um schätzungsweise 1,8% bzw. 1,9% nachließ. Um ca. 2,7% fiel in den USA insbesondere die Nachfrage nach Benzin. Während die US-Nachfrage sich in diesem Jahr erholen dürfte, wird sie in Europa im Zuge von Rezession und Sparmaßnahmen schwach bleiben. Daher wird der Zuwachs der weltweiten Nachfrage um ca. 0,8 Mio. Barrel/Tag auf 89,89 Mio. Barrel/Tag (IEA-Schätzungen) wiederum vor allem durch die Nachfrage in den Nicht-OECD-Ländern (vor allem China) angetrieben.

Dass die Ölpreise auf die jeweiligen Landeswährungen der verschiedenen Länder lauten, ist für Europa ebenfalls problematisch. So hat der in Euro denominierte Preis für Brent Crude mittlerweile das Rekordhoch von 2008 hinter sich gelassen, während WTI Crude (USD) und Brent (CNY) noch hinterherhinken. Von drastischen Sparmaßnahmen abgesehen, werden die Ölpreise – relativ gesehen – stärkeren Druck auf Europa und damit auf die Ölnachfrage ausüben.

Die US-Erdölnachfrage wird sich höchstwahrscheinlich erholen und in Asien dürfte die Nachfrage jetzt saisonal anziehen. China, wo eine mögliche geldpolitische Lockerung die Nachfrage stützen würde, wird sich wiederum als die entscheidende Kraft erweisen. Bei einem sprunghaften Anstieg der Preise für Rohöl wäre China vergleichsweise gering betroffen. Einerseits würde das Land wohl die staatlichen Zuschüsse für Erdölprodukte erhöhen. Andererseits könnte es iranisches Erdöl günstiger einkaufen, da der Iran neue Absatzquellen auftun muss.

Auch für den Iran macht es im Prinzip keinen Sinn, diese Krise weiter eskalieren zu lassen, da das Land wichtige Öleinnahmen einbüßt. Damit würde es seine eigenen technologischen Ressourcen unterminieren. Eine atomare Kursänderung ist indes unwahrscheinlich. Israel scheint zu einem Präemptivschlag entschlossen zu sein. Die geopolitischen Spannungen steigen also weiter.

Nach dem Anstieg der Rohölpreise und den nach wie vor trüben Aussichten für die Entwicklung der Erdgaspreise möchten wir im Energiesegment des Rohstoffsektors momentan keine direktionalen Positionen aufbauen. Innerhalb unserer neutralen Positionierung bei Energie gewichten wir Brent jetzt über (+1). Brent wird stärker von den o.g. geopolitischen Risiken betroffen sein genauso wie von der Ölnachfrage in Asien.

Die Überversorgung bei WTI Crude bleibt bestehen; die Cushing-Vorräte in Oklahoma nähern sich dem Kapazitätsniveau. Die Umkehrung der Fließrichtung in der Seaway-Pipeline soll nicht vor dem 1. April stattfinden; die Durchsatzmenge wird erst in Q4 erhöht. Gleichzeitig wurde die Entscheidung über die Keystone XL Pipeline bis Ende 2013 verschoben. Sowohl in den USA als auch Kanada soll die Ölförderung zulegen, während die Raffinerien in PADDII bereits mit vollen Kapazitäten produzieren und in die Wartungsphase eintreten sollen. Der Preis für US-Schieferöl wird voraussichtlich steigen und die Vergabe von Konzessionen für Tiefseebohrungen hat jetzt wieder das Niveau erreicht, auf dem sie sich vor dem Macondo-Unfall befand. Auch dies trägt zum Preisverfall von WTI ggü. Brent bei (siehe Grafik). Und schließlich war in jüngster Zeit auch ein deutlicher Anstieg bei spekulativen Netto-Long-Positionen in WTI zu beobachten.

Bei einer geopolitischen Eskalation und einem daraus folgenden sprunghaften Anstieg des Ölpreises dürften Erdölprodukte wegen der negativen Folgen für die Nachfrage hinter Rohöl zurückbleiben. Zusätzliche Raffinerie-Kapazitäten in Asien sollten in diesem und im kommenden Jahr das Angebot von Erdölprodukten stützen. In den USA und Europa flaut die Nachfrage jetzt saisonal ab; die bereits schwache Nachfrage nach Heizöl wird daher weiter sinken.

Die Erdgaspreise werden sich vorerst nicht deutlich erholen. Hier besteht sogar das Risiko für einen weiteren Preisverfall, da mit einem Herunterfahren der Förderung wohl erst dann zu rechnen ist, wenn der Gaspreis bei etwa 2,00 USD unter die Produktionskosten fällt.

Obwohl die Zahl der Fördertürme zurückgeht, könnte die US-Gasförderung vor allem wegen der Erschließung von Schiefergas noch positiv überraschen. Auf Schiefergas entfallen derzeit 27% des Gasangebots in den USA, wobei die Leistung des Marcellus-Gasfelds die Erwartungen übertrifft. Insgesamt hat es 18 Jahre gedauert, bis die Förderung von Schiefergas in den USA 5 Mrd. Kubikfuß pro Tag („bcfd“) erreicht hat. Die nächsten fünf bcfd wurden dann binnen zwei Jahren und die nächsten zehn bcfd sogar in weniger als zwei Jahren erreicht.

Übergewichtung von Edelmetall reduziert

Am 2. März reduzierten wir die Übergewichtung von Edelmetallen von +2 auf +1. Im bisherigen Jahresverlauf haben Edelmetalle im Rohstoffsektor am besten abgeschnitten. Silber übertraf Gold beträchtlich.

Bernankes Aussagen zum sogenannten „Beige Book“ überraschten manche Investoren, da der Fed-Chef keinen ausdrücklichen Bezug auf QE3 nahm und gleichzeitig die unmittelbare Inflationsgefahr herunterspielte. Die Wirkung auf das Edelmetallsegment blieb nicht aus; spekulative Positionen wurden noch am selben Tag drastisch abgebaut (ähnlich wie im September und Dezember letzten Jahres).

Aufgrund der heftigen Marktreaktion haben wir unsere Übergewichtung reduziert, da sich gezeigt hat, dass sogar nicht weiter überraschende Meldungen, wie keine Neuauflage der QE aufgrund der sich verbessernden makro-ökonomischen US-Daten und gebremste Inflationssorgen, kurzfristig eine kräftige Trendumkehr bei der Nachfrageentwicklung im Segment auslösen. Für Anleger, die Schutz vor Inflation bei Gold oder Silber suchen, überrascht dies umso mehr, da höhere Ölpreise die Nachfrage nach Gold eher stützen sollten.

Wie das folgende Chart illustriert, wurden insbesondere bei Silber spekulative Positionen aufgebaut. An der Comex haben sich die Netto-Long-Positionen in Silber innerhalb der ersten zwei Monate des Jahres mehr als verdoppelt. Bei Gold war dieser Trend deutlich weniger ausgeprägt, aber mit einem 50%igen Zuwachs binnen zwei Monaten immer noch beachtlich. Insofern bestehen sehr viel höhere Abwärtsrisiken für Silber.

Was spekulative Netto-Long-Positionen insgesamt angeht, liegt Gold jetzt über dem Niveau von Ende November 2011. Das ist aber immer noch rund 25% unter dem Höchststand vom August 2011 (vor der massiven Auflösung von Positionen im September). Bei Silber liegen die aktuellen spekulativen Positionen rund 75% über den Niveaus von Ende November 2011 und übertreffen sogar das Level vom vergangenen August.

Bei Rohstoffen sind wir derzeit leicht untergewichtet, während Edel- und Industriemetalle mit +1 übergewichtet sind.

Fazit

Infolge der gestiegenen geopolitischen Risiken sind wir zu einer Übergewichtung (+1) von Brent – innerhalb einer neutralen Position im Energiesektor – übergegangen. Es wird erwartet, dass Brent WTI (Situation in Cushing), Erdölprodukte (saisonale Schwäche im Westen und zusätzliche Raffinerie-Kapazitäten in Asien) sowie Erdgas (Überangebot von Schiefergas) übertrifft.

Bei der Nachfrageentwicklung für Edelmetalle besteht infolge des Aufbaus spekulativer Positionen (vor allem bei Silber) die Gefahr einer Trendumkehr; wir fahren unsere Übergewichtung in diesem Segment daher von +2 auf +1 zurück.

Bei Rohstoffen sind wir derzeit leicht untergewichtet, während Edel- und Industriemetalle mit +1 übergewichtet sind.

Autor: Koen Straetmans, Senior Strategist, Real Estate and Commodities bei ING Investment Management

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