Kommentar
00:00 Uhr, 10.12.2008

Taten sagen mehr als Worte

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Nach der massiven Abwärtskorrektur der Wachstumsprognosen der EZB-Volkswirte entschlossen sich die Währungshüter auf ihrer gestrigen Sitzung zu einer aggressiven Senkung des Schlüsselsatzes um 75 Basispunkte (Bp) auf 2,50%. Innerhalb von zwei Monaten hat die EZB damit die Zinsen um insgesamt 175 Bp zurückgenommen. Ich hätte mir zwar eine frühzeitigere und noch deutlichere Senkung gewünscht, aber zumindest hat die EZB ihre zaghafte Haltung nunmehr aufgegeben. Mit ihrer Entscheidung hat sie die Markterwartungen erfüllt. Gleichzeitig passt die deutliche Zinssenkung aber nicht zu ihrer offiziellen Rhetorik aus den letzten Wochen, in der Trichet & Co. für ein maßvolles Vorgehen plädierten. Wahrscheinlich hat sich innerhalb der EZB endlich ein gewisser Pragmatismus durchgesetzt. Ganz offensichtlich ist der EZB-Rat hin- und hergerissen zwischen der Notwendigkeit, entschlossen auf die Krise zu reagieren, und dem Wunsch, einen klaren mittelfristigen Fokus beizubehalten sowie nach Möglichkeit nicht in die „Liquiditätsfalle“ zu tappen. Trichet sprach in der gestrigen Pressekonferenz nicht davon, dass die Entscheidung „einstimmig“ gefallen sei. Diplomatisch vermied er es zu bestätigen, dass sich einige Mitglieder im EZB-Rat gegen aggressive und für kleinere Zinsschritte ausgesprochen hatten, um die Wirkung der historischen Zinssenkung nicht zu beeinträchtigen. Mit ihrer gestrigen Entscheidung hat die EZB aber deutlich gemacht, dass sie die Zeichen der Zeit erkannt hat und bereit ist, entsprechend zu reagieren. Obwohl Trichet gestern auch vor exzessiv niedrigen Nominalzinsen warnte, könnte der Leitzins Anfang 2009 unter den bisherigen Tiefstand aus den Jahren 2003 bis 2005 von 2,0% fallen. Ein Refisatz von 1,0% ist durchaus vorstellbar.

Die Bank of England (BoE) hat ihren Leitzins am Donnerstag erneut aggressiv um 100 Bp zurückgenommen und übernahm in der offiziellen Begründung den Wortlaut aus den letzten Protokollen und dem Inflationsbericht. Das erst vor kurzem angekündigte Konjunkturprogramm der Regierung scheint die BoE dabei nicht sonderlich zu beruhigen. So erwähnte sie in ihrer Erklärung nur kurz, dass die zeitlich befristete Reduzierung der Mehrwertsteuer die Teuerung in 2009 weiter dämpfen sollte. Wir rechnen deshalb mit weiteren Zinssenkungen, so dass der Leitzins möglicherweise unter unser Prognoseziel von 1,5% fallen könnte. Die gemäßigte Haltung der beiden führenden Zentralbanken in Europa dürfte die Debatte über Deflation und Mengenpolitik (Quantitative Easing) weiter anheizen. Zudem sollte der Abwärtsdruck auf die Renditen entlang der Kurve in den nächsten Monaten auf beiden Seiten des Atlantiks anhalten.

Mit ihrer Zinssenkung reagierten die Währungshüter auf die düsteren Konjunkturaussichten und die in der Folge deutlich revidierten Wachstumsprognosen der EZB-Volkswirte. Für 2009 erwarten diese nun ein Schrumpfen der Wirtschaftsleistung um 0,5% und für 2010 ein nur moderates Wachstum von 1,0%. Dies impliziert, dass die Wirtschaftsaktivität nach drei Jahren eines unterdurchschnittlichen Wachstums im Jahr 2011 allenfalls zum Trend zurückfindet.

Die EZB geht mittlerweile davon aus, dass sie ihr Inflationsziel in 2009 und 2010 erreichen wird (die Projektionen reichen von 1,1%-1,7% für 2009 und 1,5%-2,1% für 2010). Die sinkenden Rohstoffpreise sind die Hauptursache für das Absinken der Inflationsrate (Disinflation), doch auch die fortschreitende konjunkturelle Talfahrt trägt ihren Teil dazu bei. EZB-Chef Trichet räumte ein, dass wir uns auf einen lang anhaltenden Konjunkturabschwung einstellen müssen. Zugleich bezeichnete er die Inflationsrisiken als vergleichsweise ausgeglichen. In der Tat deutet die Konjunkturanalyse der EZB darauf hin, dass die Inflationsrisiken größtenteils sogar abwärts gerichtet sind. Dies erklärt ihr deutliches Zinssignal vom Donnerstag. Immerhin diskutiert die EZB nun endlich nicht mehr über mögliche Zweitrundeneffekte.

Nach Meinung von EZB-Chef Trichet ist ein Deflationsszenario höchst unwahrscheinlich. Er unterstrich den Unterschied zwischen Disinflation und Deflation, wobei der letztgenannte Begriff einen generellen Preisrückgang über einen längeren Zeitraum beschreibt. Trichet deutete an, dass die EZB ein mögliches, auf ein bis zwei Monate befristetes Absacken der Inflationsrate Mitte 2009 in negatives Terrain vor allem als temporären Effekt sieht – als Folge von Basiseffekten wie den zuletzt extrem volatilen Rohstoffpreisen. Dieser Effekt dürfte sich aber bald darauf wieder umkehren und sei deshalb für die EZB-Politik nicht relevant.

Ich stimme mit diesem zentralen Szenario in allen Punkten überein und halte es für richtig, dass Trichet gegen den Strom schwimmt, während die Deflationsrisiken zunehmen. Allerdings wäre es angesichts der Tatsache, dass eigentlich als unwahrscheinlich erachtete Ereignisse bereits eingetroffen sind, am besten, wenn die EZB erklären würde, wie und warum sie erwartet, die Deflationsgefahr erfolgreich bekämpfen zu können, falls es denn soweit kommen sollte. In ihren Projektionen hat die EZB selbst einräumen müssen, dass die Rezession im Währungsraum länger als erwartet anhalten könnte. Eine längerfristige Ausweitung der Produktionslücke könnte letzten Endes einen Rückgang der Kerninflation im Euroraum auslösen, die sich bisher als so hartnäckig stabil erwiesen hat. Das ist vielleicht nur ein Risiko, aber eines, das die EZB sehr ernst nehmen sollte. Ich vermute, dass der EZB-Rat dieses Thema bereits in seine Agenda aufgenommen hat, denn während der üblichen Fragestunde verwies Trichet auf die deutliche Ausweitung der EZB-Bilanzsumme und betonte, dass die EZB unmittelbar in der Lage sei, Vermögenswerte aufzukaufen.

Bei diesem Fachartikel handelt es sich um Research der Unicredit-Hypovereinsbank

Andreas Rees, Chefvolkswirt Deutschland bei Unicredit-Hypovereinsbank

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