Kommentar
13:35 Uhr, 10.02.2016

Stimmung bei den Aktien schlechter als die Lage

Erwähnte Instrumente

  • Der Rückgang der Aktienkurse in den letzten Wochen ist fundamental gut begrün­det. Das Wirtschaftswachstum in der Welt schwächt sich ab.
  • Das Tempo des Kursverfalls ist aber übertrieben. Der Konjunkturabschwung wird nicht so tief und so lang sein, wie wir das von früher gewohnt sind.
  • Das Positive: Der Ölpreis wird sich im Verlauf des Jahres stabilisieren. Die Zentral­banken pulvern kräftig. Europa kann sich von der Weltkonjunktur absetzen.

Wer ist schuld an dem Schlamassel der Aktienmärkte? Wo muss man hinschauen, um Hinweise auf die weitere Ent­wicklung zu bekommen? Die verschiedensten Faktoren werden derzeit genannt und analysiert. Die einen schauen aufs Öl, die anderen auf China und andere Schwellenlän­der. Auch der Euro wird genannt und natürlich die Zentral­banken.

All das spielt zweifellos eine Rolle. Längerfristig ist es aber nur die halbe Wahrheit. Zudem ist der Blick auf diese einzel­nen Faktoren nicht sehr hilfreich, weil sie unterschiedliche Signale senden. Wegen China beispielsweise müsste man Aktien verkaufen, wegen der Geldpolitik dagegen eher kau­fen. Beim Ölpreis gibt es unterschiedliche Meinungen. Viel­leicht ist es in dieser Situation angebracht, einmal einen Schritt zurück aus der Hektik des Tagesgeschäfts zu ma­chen und auf die Grundlagen zu schauen. Wovon hängt die Entwicklung der Aktienindizes auf lange Sicht wirklich ab?

Aktien und Konjunktur
ISM-Index USA und Wilshire 5000 (log.)

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Quelle: Fred

Die Antwort ist einfach: Von der Konjunktur selbstverständ­lich, wovon sonst? Wenn sich die wirtschaftliche Dynamik abschwächt, sinken die Gewinne der Unternehmen. Da­durch geht die Bewertung zurück, und die Kurse müssen sinken. So war das bisher in allen größeren Konjunkturbe­wegungen. Umgekehrt wenn es mit der Konjunktur nach oben geht. Alle eingangs genannten Faktoren wirken sich auf die Aktien nur insoweit aus, wie sie die Konjunktur beeinflussen. Die Konjunktur ist sozusagen das Brennglas, in dem sich alles bündelt.

In der Grafik sind die Verhältnisse am Beispiel der USA dargestellt (in anderen Ländern ist es aber ähnlich). Immer wenn die Konjunktur gemessen an den Frühindikatoren ein­brach, ging auch der Aktienindex zurück. Immer wenn die wirtschaftliche Dynamik zunahm, gingen auch die Aktienkur­se wieder hoch.

Die Korrelation ist natürlich nicht 1 (= vollkommener Gleich­lauf). Das liegt zum Teil daran, dass die Konjunktur eine komplexe Größe ist, die manchmal nicht leicht zu greifen ist. Zudem gibt es immer mal wieder Dinge, die vorübergehend dazwischenkommen (wie derzeit etwa die Aktienverkäufe der Staatsfonds der Ölländer). Man sollte sich also nicht an­heischig machen, den Aktienmarkt kurzfristig mit der Kon­junktur zu prognostizieren. Wohl aber eignet sich die Kon­junktur zur Trendprognose; hier ist sie aus meiner Sicht fast unschlagbar.

»Der Rückgang der Aktienkurse ist nicht unbegründet. Allerdings sind Ausmaß und Tempo übertrieben.«

Was leitet sich daraus für die weitere Entwicklung ab? Alle Anzeichen deuten derzeit darauf hin, dass sich die Weltkon­junktur abschwächt. In China geht die Wachstumsrate zu­rück. Brasilien und Russland sind in einer Rezession. Ande­re Schwellenländer haben Schwierigkeiten. Die Grafik zeigt, dass auch die USA seit einiger Zeit schwächeln.

Der Rückgang der Aktienkurse ist also nicht unbegründet. Allerdings sind Ausmaß und Tempo übertrieben. Es gibt kei­nen Grund, dass die Weltrezession besonders tief und be­sonders lang ausfällt. In China geht es, wenn auch holprig, weiter nach oben. Die US-Wirtschaft wächst nach wie vor. Der private Konsum profitiert von den niedrigeren Benzin­preisen. Die Lage der Ölproduzenten ist so desolat, dass sie den derzeitigen Preiskrieg nicht unbegrenzt durchhalten können. Zudem wird sich die unerwartet hohe Aktivität der Zentralbanken positiv auf die wirtschaftliche Aktivität (und damit auf die Aktien) auswirken. Es gibt Hoffnung, dass sich die Konjunktur spätestens im zweiten Halbjahr fangen wird. Die Aktienkurse können also nicht unbegrenzt fallen.

Hinzu kommt noch eine andere Hoffnung. Europa steht der­zeit fundamental besser da als der Rest der Welt. Natürlich kann es sich nicht völlig von den globalen Schwierigkeiten abkoppeln. Die Konjunktur wird jedoch nicht so stark abbre­chen wie anderswo. Sie wird eher noch an Fahrt gewinnen. Spanien wird 2016 um 3 % wachsen, Italien hat die Rezes­sion verlassen und kommt auf 1,5 % Zuwachs. In Zentraleu­ropa (Deutschland, Österreich) gibt es ebenfalls ein beacht­liches Plus. Allein in Frankreich bewegt sich nicht viel. Die Eurozone wird in diesem Jahr in jedem Fall kaum langsa­mer wachsen als die US-Wirtschaft (rund 1,5 %). All das hilft den Aktienkursen. Es würde mich wundern, wenn die europäischen Aktien 2016 im internationalen Vergleich nicht relativ besser als andere abschneiden würden.

Wie kommt es dann, dass der EURO STOXX 50 seit Jah­resanfang fast doppelt so stark gefallen ist wie der Dow Jones? Wird Europa überschätzt? Ich glaube nicht. Bei der Kursentwicklung der vergangenen Wochen spielten eher technische Faktoren eine Rolle, insbesondere die ausge­prägte Schwäche der europäischen Banken. Banken sind im EURO STOXX besonders stark vertreten. Die Gründe für die relativ gute Konjunktur der Gemeinschaft sind aus mei­ner Sicht stichhaltig. Es sind zum einen die Reformen, die etwa Spanien zur Überwindung der Eurokrise unternommen hat. Hinzu kommen die expansive Geldpolitik und der Flücht­lingszustrom, der – auch wenn es viele nicht glauben wollen – in einem ersten Schritt die gesamtwirtschaftliche Nachfrage stimuliert. Was mir Sorgen macht, sind politische Risiken (etwa die Uneinigkeit in der Flüchtlingsfrage oder ein "Brexit"). Da liegt noch "Explosionsgefahr".

Für den Anleger

sind das keine guten Nachrichten. Der Kursrutsch bei den Aktien ist gut begründet. Er kann auch noch weitergehen. Die Märkte kommen nicht so schnell wieder in die Reihe. Aber man sollte auch nicht übertreiben. Gemessen an den fundamentalen Faktoren ist die Stimmung derzeit einfach zu schlecht. Ein Rebound ist überfällig.

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