Stand der Dinge bei Finanzwerten
- Lesezeichen für Artikel anlegen
- Artikel Url in die Zwischenablage kopieren
- Artikel per Mail weiterleiten
- Artikel auf X teilen
- Artikel auf WhatsApp teilen
- Ausdrucken oder als PDF speichern
Bear Stearns, Gewinnwarnungen und eine neue Abschreibungswelle – die mit unschöner Regelmäßigkeit eintreffenden schlechten Nachrichten sorgen im Finanzsektor und bei Investoren für erhebliche Unruhe. Es ist daher an der Zeit für eine aktualisierte Darstellung unserer Einschätzung des Finanzsektors. Hier kommen sowohl ein Aktienspezialist als auch ein Experte für Unternehmensanleihen zu Wort.
Pieter Schop, Senior Investment Manager Global Equity
Die schwere Liquiditätskrise macht vielen Finanzdienstleistungsunternehmen zu schaffen. Auch wenn zahlreiche Investoren große Hoffnungen auf die von den geldpolitischen Entscheidungsträgern in den USA ergriffenen Maßnahmen setzen, können diese das Problem nur lindern, aber nicht lösen. Die Ursache des Problems ist nämlich in der prekären Lage der USVerbraucher zu suchen, deren Schulden während der letzten sechs Jahre von 100 Prozent auf 140 Prozent ihres Einkommens gestiegen sind. Dadurch ist es zur Immobilienmarktblase gekommen.
Für Finanzdienstleistungsunternehmen lautet das Motto jetzt Deleveraging, das heißt Abbau der Fremdverschuldung im Verhältnis zu den Eigenmitteln. Banken und andere Finanzanbieter müssen ihre Kreditvergabe daher deutlich drosseln. In der Folge fällt die Eigenkapitalrendite vielfach von weit über 20 Prozent auf ein Level von 10 bis 20 Prozent. Dieser Prozess wird wahrscheinlich noch Monate, wenn nicht Jahre andauern. Der Immobilienmarktblase geht bereits seit sechs Monaten die Luft aus und immer noch gibt es keine Anzeichen für eine nachhaltige Erholung. Nach dem Platzen der IT-Blase in 2000 dauerte es sieben Jahre, bis die daraus folgenden Überkapazitäten vom Markt absorbiert wurden. Nach einer langen Phase von Überschussgewinnen könnte der Finanzsektor jetzt länger gedrückt bleiben, als man vermutet.
Gleichzeitig wird das Tagesgeschäft durch die fallenden Asset-Preise – nicht nur bei Immobilien, sondern auch bei Aktien – belastet. Erschwerend kommt hinzu, dass der Markt für alle Arten von strukturierten Finanzprodukten, wie beispielsweise CDOs (Collateralized Debt Obligations), praktisch zum Erliegen gekommen ist. Während diese Produkte hohe Gewinnspannen aufwiesen, erleben wir jetzt eine Verlagerung hin zu Produkten mit niedrigeren Gewinnspannen wie z. B. Geldmarktfonds. Die hohe Volatilität an den Märkten führt bei der Anlegerschaft zu extremer Vorsicht und infolgedessen zu sinkenden Handelsergebnissen.
Aufgrund der beschriebenen Probleme mussten Finanzdienstleistungshäuser in den letzten Monaten erhebliche Abschreibungen vornehmen. Der Markt hinkt der Entwicklung hinterher und wird immer wieder aufs Neue vom Ausmaß der Abschreibungen und dem Tempo, mit dem Assets an Wert verlieren, überrascht. Beispielhaft für diese Entwicklung ist die Schweizer Bank Credit Suisse, die nur zwei Wochen nach Veröffentlichung ihres Quartalsergebnisses weitere massive Abschreibungen ankündigte. Auch Banken wie Citigroup, Merrill Lynch und UBS mussten herbe Verluste hinnehmen und in Milliardenhöhe abschreiben. Die Kapitalquoten verschlechtern sich rapide und erfordern massive Kapitaleinschüsse. Bei bestehenden Aktienbeteiligungen führt dies zu einer Verwässerung ihres Wertes.
Aber das ist nur eine Seite der Medaille. Bei Gewerbeimmobilien, Leveraged Loans und so genannten Alt-A-Mortgages (Hypotheken, die besser als „Subprime“, aber schlechter als „Prime“ sind) ist es bisher nur in geringem Umfang zu Abschreibungen gekommen. So hat der durchschnittliche europäische Finanzdienstleister bisher 5 Prozent seines Bestands an Alt-A-Krediten abgeschrieben. Die Gefahr weiterer Abschreibungen ist indes hoch. Zudem drohen weitere Abwärtskorrekturen der Nettoinventarwerte (NAV), zusätzliche Kapitaleinschüsse und niedrigere Dividenden. Bei oberflächlicher Betrachtung können Finanztitel im Hinblick auf ihr KGV, ihren NAV und die Dividendenrendite durchaus attraktiv erscheinen. Man sollte diese Zahlen jedoch mit der gebotenen Skepsis prüfen.
Auch wenn die Finanzmärkte eine Wende zum Besseren stets um ein paar Monate vorwegnehmen, sollten wir vorsichtig bleiben. Aus diesem Grunde meiden wir amerikanische Hypotheken- und Investmentbanken weitestgehend bei der Zusammenstellung unserer Portfolios. Die Liquiditätskrise wird überdies Risiken für Banken schaffen, die bei ihrer Finanzierung von anderen Banken abhängen. Starke Player dürften indes längerfristig von den aktuellen Problemen ihrer Wettbewerber profitieren. In geografischer Hinsicht ziehen wir die Aktien von Finanzdienstleistern in Schwellenländern vor, wie der brasilianischen Unibanco, sowie Aktien von Banken, die ihre Gewinne überwiegend in diesen Märkten erwirtschaften, wie Standard Chartered, BBVA und DBS.
Han Rijken, Leiter Investment Grade Credits & ABS
Für den ING Euro Credit Fund setzen wir in erster Linie auf die stärker am Privatkundengeschäft orientierten Banken. Diese Banken verfügen über solide Finanzquellen, wie beispielsweise das Einlagengeschäft mit Privatkunden. Das Problem von Investmentbanken wie Bear Stearns besteht darin, dass sie keine Privatkunden mit Sparkonten haben, sondern für ihre Finanzierung völlig von anderen Banken abhängen. Und das ist vor dem Hintergrund der aktuellen Vertrauenskrise und illiquider Geldmärkte äußerst risikoreich.
Über den Euro Credit Fund investieren wir gleichwohl in auf Euro lautende Anleihen, die von USamerikanischen Investmentbanken herausgegeben werden. Darauf entfallen momentan 2,1 Prozent unseres Portfolios. US-Finanzwerte machen 9,5 Prozent des Portfolios aus. Die überwiegende Mehrheit der im Fonds gehaltenen Bankanleihen stammen von soliden und finanzkräftigen europäischen Retail-Banken, die zu den führenden Häusern ihrer jeweiligen Regionen zählen. Bei nachrangigen Schuldverschreibungen von Finanzinstituten bleiben wir bei unserer Übergewichtung, da die Spreads (emittentenspezifischer Risikoaufschlag auf den risikofreien Zinssatz) mittelfristig außerordentlich attraktiv sind.
In den letzten Monaten spielten vor allem technische Faktoren, wie Zwangsverkäufe, eine wichtige Rolle. Hedgefonds und andere Investoren mit (übermäßig) hohem Fremdmittelanteil sahen sich gezwungen, Kapitalanlagen abzustoßen. Zudem zeichnete sich ab, dass die zunehmend schwierige Situation am Geldmarkt den Banken die Liquiditätsversorgung zusehends erschwerte. Daher waren sie zum Verkauf von Wertpapieren gegen Bares gezwungen. Glücklicherweise sprangen die Notenbanken schnell in die Bresche und pumpten wiederholt Liquidität in die austrocknenden Geldmärkte.
In letzter Zeit war zu beobachten, dass – ungeachtet der Qualität der einzelnen Kredite bzw. der emittierenden Institutionen – massiv Bestände abgestoßen wurden. Bei allen Bankdarlehen weiteten sich die Spreads aus. Man schaue sich beispielsweise den iTraxx Financials Index an, einen Korb, der die Titel von 23 verschiedenen europäischen Banken enthält. Der Markt geht bereits jetzt davon aus, dass fünf dieser 23 Banken innerhalb der nächsten fünf Jahre zusammenbrechen werden. Wir halten das allerdings für eine gewaltige Übertreibung. Banken scheitern – sogar häufiger als andere Unternehmen –, aber es kommt selten zum Konkurs. Das rührt daher, dass Banken auf ein Sicherheitsnetz (d. h. die Zentralbanken) zurückgreifen können. Auch wenn Bear Stearns nicht unmittelbar der Aufsicht der Fed unterstand, so wurde der Bank dennoch indirekt über JP Morgan aus der Patsche geholfen. Dies gilt ähnlich für das britische Finanzunternehmen Northern Rock, dem die Bank of England rettend zur Seite sprang. In diesen Fällen müssen die Zentralbanken abwägen, ob der Zusammenbruch einer Bank eine Gefahr für das Finanzsystem darstellen würde.
Die von den europäischen Banken erst kürzlich herausgegebenen Jahresgeschäftsergebnisse zeigen deutlich, wie stark zahlreiche Banken von der Subprime-Krise in Mitleidenschaft gezogen wurden. Positionen bei Structured-Credit-Produkten wurden weitgehend aufgelöst. Die Zahl der Banken, die es besonders schwer getroffen hat (z. B. Citigroup, Merrill Lynch, UBS) ist indes gering. In der ersten Hälfte dieses Jahres könnte es allerdings noch zu weiteren Abschreibungen kommen.
Wir gehen davon aus, dass die hohe Volatilität infolge weiterer Zwangsverkäufe und einer neuen Abschreibungswelle über die nächsten Monate anhalten wird. Überdies kann eine relativ kleine Verkaufsorder an einem illiquiden Markt überproportionale Folgen für die Preisgestaltung haben. Die Spreads können sich noch stärker ausweiten. Gleichwohl werden Anleger derzeit mit einer äußerst attraktiven Prämie für Kreditrisiko, Volatilität und Illiquidität vergütet. Wir sind nach wie vor davon überzeugt, dass die Spreads mittelfristig sehr attraktiv sein werden.
Quelle: ING Investment Management
ING Investment Management ist der globale Asset Manager der ING Gruppe. Mit Euro annähernd 400 Milliarden Assets under Management (Q2 2007), vertreten in 30 Ländern mit 2.500 Experten (Europa: 713, Americas: 866, APAC: 921), ist ING Investment Management (ING IM) weltweit unter den Top 25 im Asset Management. ING IM Europe hat Niederlassungen in 14 europäischen Ländern mit annähernd Euro 160 Milliarden Assets (Q2 2007) under Management.
Keine Kommentare
Die Kommentarfunktion auf stock3 ist Nutzerinnen und Nutzern mit einem unserer Abonnements vorbehalten.