Kommentar
18:12 Uhr, 28.09.2016

Sprengsatz Leistungsbilanz

  • Deutschland wird in diesem Jahr den größten Leistungsbilanzüberschuss der Welt erwirtschaften.
  • Das ist ein Zeichen für die Stärke der deutschen Exportindustrie, bringt aber sowohl im Inland als auch international erhebliche Probleme mit sich.
  • Zur Abhilfe sollte man nicht die Löhne stärker erhöhen, sondern Steuern senken und Investitionen ausweiten.

In Deutschland baut sich ein Ungleichgewicht auf, das in der EU und auf den Märkten erhebliche Sprengkraft entwickeln kann. Bisher wird es vorwiegend in Fachkreisen diskutiert. Das wird aber nicht so bleiben. Gemeint ist der riesige deutsche Leistungsbilanzüberschuss.

In diesem Jahr wird Deutschland fast EUR 300 Mrd. mehr Güter und Dienste exportieren als es importiert. Das sind über 9 % des BIPs. Der Leistungsbilanzsaldo hat sich in den letzten Jahren drastisch ausgeweitet (siehe Grafik). In der Finanzkrise 2008 war er nur etwas mehr als halb so groß. Bei Gründung der Währungsunion hatte die Bundesrepublik sogar noch ein leichtes Defizit. Kein Mensch hätte sich damals vorstellen können, dass die Dinge so aus dem Ruder laufen könnten. Deutschland hat inzwischen den höchsten Überschuss der Welt. Er ist sogar größer als der Chinas.

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Über die Bewertung dieser Entwicklung wird viel gestritten. Manche sagen, dass das doch gar kein Problem sei. Es sei im Gegenteil eine Auszeichnung und zeige, wie wettbe­werbsfähig die deutschen Exporteure sind.

Man kann die Sache aber auch aus anderer Perspektive se­hen. Dann zeigt sich das Ungleichgewicht. Da ist zunächst die Tatsache, dass Deutschland mehr produziert als es selbst benötigt. Wenn sich so etwas in Grenzen hält, ist es nicht unvernünftig. Da kann die Volkswirtschaft Reserven für schlechtere Zeiten ansammeln. Problematisch ist aber, wenn es zu groß wird. Dann werden Ressourcen verschleu­dert. Mit EUR 300 Mrd. ist der Saldo so groß wie der ge­samte Umsatz des deutschen Maschinenbaus und der Pharmaindustrie zusammen. Das ist eindeutig zu viel.

Nun kann man einwenden, dass Deutschland die Über­schüsse nicht verschenkt, sondern verkauft. Das ist aber ein schlechter Deal. Denn das Land erhält als Gegenleistung für reale Güter und Dienste monetäre Forderungen. Um es drastisch zu formulieren: Es liefert Porsche ans Ausland, bekommt dafür aber nur Papier. Natürlich erhöht sich das Auslandsvermögen. Es beläuft sich derzeit auf fast EUR 1.500 Mrd. Aber auf wie viel davon kann Deutschland am Ende zurückgreifen, wenn es das Geld wirklich einmal brauchen sollte? Die Deutschen beschweren sich, dass sie im Euroraum so oft zur Kasse gebeten werden und wehren sich gegen eine Transferunion. Bei der Leistungsbilanz geben sie die Kredite ans Ausland ganz freiwillig und sind noch stolz darauf.

Noch gewichtiger sind die internationalen Probleme. Wenn einer Überschüsse hat, muss ein anderer zwangsläufig Defizite aufweisen und sich verschulden. Deutschland verlangt von anderen Staaten mit Recht, dass sie ihre Verhältnisse in Ordnung bringen und nicht so viele Kredite aufnehmen. Aber wie sollen sie das tun, wenn Deutschland sie durch seinen Überschuss ins Defizit zwingt? Die Hauptbetroffenen der deutschen Leistungsbilanzüberschüsse sind die Partner in der Währungsunion, Großbritannien, die USA und die Schwellen- und Entwicklungsländer. Sie alle wehren sich mit Recht gegen die deutschen Überschüsse.

Leistungsbilanzüberschüsse in der Höhe widersprechen im Übrigen den Prinzipien der internationalen Zusammenar­beit. In den Maastrichter Verträgen der EU ist festgelegt, dass kein Mitgliedsland ein größeres Defizit als 6 % des BIPs haben sollte (was schon sehr viel ist). Dagegen ver­stößt Deutschland erheblich. Es wird dafür von der EU-Kommission kritisiert. Das amerikanische Finanzministerium spricht von einem Risiko für die Finanzstabilität.

Was kann Deutschland tun, um von der Anklagebank herunter zu kommen? In der Zeit vor der Währungsunion war die Antwort einfach. Wenn ein Land Leistungsbilanzüberschüsse hatte, wertete sich seine Währung auf. Dadurch verringerten sich die Exporte und die Importe stiegen. In einer Währungsunion mit festen Wechselkursen ist das schwieriger. Manche empfehlen, in Deutschland müssten die Löhne stärker steigen. Dadurch verschlechtere sich seine Wettbewerbsfähigkeit. Es würde weniger exportieren und mehr importieren.

Ich halte das nicht für vernünftig. Man sollte Probleme nicht dadurch lösen, dass sich der Bessere an die Standards des Schlechteren anpasst. Letztlich geht es darum, dass die Binnennachfrage in Deutschland stärker steigt. Wenn die Exporte weniger wachsen sollen, dann müssen die Investi­tionen erhöht werden. Das macht auch Sinn. Die privaten Investitionen der Unternehmen sind in Deutschland schon seit Jahren zu gering. Die staatlichen Investitionen müssen ohnehin ausgeweitet werden. Deutschland braucht bessere Straßen, Brücken, Eisenbahnen und ähnliches. Es braucht auch mehr Ausgaben für Bildung und Forschung, nicht zu­letzt für Sicherheit.

Darüber hinaus wäre eine Ausweitung des privaten Konsums sinnvoll. Es gibt hier viele Stellschrauben. Man könnte zum Beispiel die Steuern senken und die Ladenöffnungszeiten am Wochenende ausweiten. Wer hat nicht schon an einem verregneten Sonntag daran gedacht, wie schön es wäre, dann einkaufen zu können?

Für den Anleger

Bereiten Sie sich darauf vor, dass es neuen Ärger innerhalb der Währungsunion und Auseinandersetzungen auf interna­tionaler Ebene gibt. Das schafft Nervosität und Unsicherheit auf den Devisenmärkten. Die Volatilität steigt. In der EZB gewinnen die Kräfte an Gewicht, die einen eventuell geplan­ten Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik weiter nach hinten schieben wollen. Das hilft den Aktien- und Bondmärkten. Auf Mikroebene ergeben sich für den Anleger Chancen bei Unternehmen, die von Steuersenkungen und dem Ausbau der Infrastruktur profitieren (zum Beispiel Kon­sum, Bau, Zement).

Anmerkungen oder Anregungen? Ich freue mich auf den Dialog mit Ihnen: martin.huefner@assenagon.com.

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9 Kommentare

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  • Frage
    Frage

    Wo fallen die Leistungsbilanzüberschüsse an? Es verdienen in erster Linie die exportierenden Unternehmen (zugegeben, indirekt über Steuern auch der Staat). Die Unternehmen zahlen auch die Löhne, insofern wären Lohnerhöhungen stimmig. Oder die Unternehmen investieren mehr - woran liegt es, dass sie zu wenig investieren?

    Steuersenkungen und staatliche Investitionen gehen dagegen auf Kosten der Staatskasse, das kann nicht das alleinige Mittel sein.

    Richtig ist jedenfalls, dass die kleinen und mittleren Einkommen, die in den letzten 15 Jahren, auch dank Euro stagnierten, siehe auch Armutsstatistiken, sowie die Renten verbessert werden müssen.

    Wie sehen Sie das?

    09:47 Uhr, 23.08.2017
  • Fredo Escalade
    Fredo Escalade

    @HH:

    Sie sprechen von Laden-Öffnungen am Sonntag, aber verweigern sich selbst vernünftigen -

    und absolut notwendigen - Lohnerhöhungen...

    Mit dieser Denke ist der Knall der ganzen Luftbuchungen nicht mehr weit entfernt.

    Nur werden wir dieses Desaster dann alle auszubaden haben.

    23:33 Uhr, 28.09.2016
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  • 1 Antwort anzeigen
  • Gone Fishing
    Gone Fishing

    Nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip steigt die Steuer proportional zum höheren Einkommen. D.h. in der Praxis die als gerecht empfunden wird, das ein Handwerker der nur 2 Stunden pro Tag arbeitet und dann seine Freizeit geniesst Sozialhilfe empfängt und der Handwerker der sich 16 Stunden am Tag kapputtschuftet dafür auch einen hohen Ekst.-satz bezahlen darf.

    Genau dasselbe Prinzip, sollte in einer Währungsunion auch angewendet werden, damit die Lasten im Namen der sozialen Gerechtigkeit proportional zur Leistungsfähigkeit der Wirtschaften verteilt werden: "Starke Schultern können mehr tragen", die Peripherie alleine schafft es nicht.

    Innerhalb Deutschlands gibt es ja auch einen Länderfinanzausgleich und den findet sogar Finanzminister Schäuble gut und notwendig.

    Leider wird das brisante Thema auch nicht vernünftig diskutiert: Europa braucht den Euro und eine Transferunion oder aber verzichtet auf den Euro und kann sich die Transferunion sparen, da der Ausgleich über die Wechselkurse geschieht. In beiden Fällen ist den sozial schwächeren wesentlich geholfen, in einem Europa wo "das Soziale" für die grosse Mehrheit der Europäer schon lange auf der Strecke geblieben ist.

    Wir können natürlich auch träumen - und darauf warten dass alle europäischen Länder innerhalb Europas Leistungsbilanzüberschüsse erwirtschaften:)

    18:49 Uhr, 28.09.2016
    1 Antwort anzeigen