Sommerblüte oder nur eine vorübergehende Erscheinung?
- Lesezeichen für Artikel anlegen
- Artikel Url in die Zwischenablage kopieren
- Artikel per Mail weiterleiten
- Artikel auf X teilen
- Artikel auf WhatsApp teilen
- Ausdrucken oder als PDF speichern
Die Stimmung an den Finanzmärkten hat sich etwas aufgehellt. Die Renditeaussichten in der zweiten Jahreshälfte dürften sich verbessern, vorausgesetzt, die globalen Makrotrends schwächen sich im Laufe des Sommers nicht ab.
Die Rentenmärkte scheinen das Schlimmste überstanden zu haben und bieten wieder erste Kaufgelegenheiten.
An den Aktienmärkten sollten sich Anleger vor allem auf die Unternehmensgewinne sowie die Bewertungen konzentrieren.
Mehr Schein als Sein?
Zuletzt konnten sich Investoren wieder über positive Entwicklungen bei Anleihen und Aktien freuen. Die Anleiherenditen sind weiter gesunken, die Creditspreads haben sich verringert, die Anleiheindizes der Schwellenländer sind gestiegen, und der S&P 500 liegt wieder über 4.000 Punkten. Aber die Frage ist, ob diese Entwicklung nur von kurzer Dauer ist. Die Frühjahrsbelebung könnte nur ein kleines Bärenmarkt-Squeeze sein, vor allem, wenn man bedenkt, wie viele Feiertage es in dieser Jahreszeit gibt, die die Handelssitzungen verkürzen und zu einer Verschlechterung der ohnehin schon schwierigen Liquiditätsbedingungen führen. Ansonsten gibt es keine "neuen" schlechten Nachrichten. Die Anleger haben sich an die Energiekrise, den Krieg, die geldpolitische Straffung der Federal Reserve (Fed) und der Europäischen Zentralbank (EZB) sowie die Aussicht auf ein langsameres Wachstum bis 2023 gewöhnt. Die Realität ist, dass die Anleger über viel Cash verfügen und es irgendwann einsetzen werden.
Trendwechsel in Sicht
Die allgemeine Erwartung ist nach wie vor, dass die Inflations- und Zinsentwicklungen im zweiten Quartal ihren Höhepunkt erreichen werden. Die Fed wird den Zinserhöhungs-Zyklus sicher etwas entschärfen, dennoch dürfte sich der Leitzins in einem Jahr zwischen 2,75 und 3,00 Prozent einpendeln. Auch die längerfristigen Renditen haben sich von ihren Höchstständen entfernt. Die Breakeven-Inflationsspreads sind ebenfalls gesunken und an den Kreditmärkten haben sich die Risikoprämien in der vergangenen Woche wieder verringert.
Margen unter Druck
Anders als beim Ausbruch der COVID-Pandemie bestehen die Herausforderungen jetzt eher in traditionellen Konjunkturproblemen. Das starke Wachstum, das durch die politischen Anreize in den Jahren 2020-21 angeheizt wurde, hat die Inflation in die Höhe getrieben und zu höheren Zinssätzen geführt. Die politischen Anreize werden (langsam) zurückgefahren, und die höheren Lebenshaltungskosten drücken auf die Einkommen der Verbraucher. Die Folge sind niedrigere Wachstumsraten des Bruttoinlandsproduktes (BIP). In diesem Umfeld, das sich wahrscheinlich auf die Unternehmenseinnahmen und -margen auswirken wird, sind Investition in Aktien herausfordernd.
Aktien und reale Zinssätze
In den vergangenen anderthalb Jahren sind die Kurs-Gewinn-Verhältnisse (KGV) um etwa sechs Prozentpunkte gefallen. Dies fiel mit einem Anstieg der Realzinsen zusammen, wobei der größte Teil der Bewegungen sowohl bei den KGVs als auch bei den Realzinsen in den vergangenen sechs Monaten stattfand. Wenn die realen Renditen und die nominalen Renditen ihren zyklischen Höchststand erreicht haben, gibt es weniger Grund für eine weitere Herabstufung der Aktienmärkte im Allgemeinen.
US-Werte sind immer noch teuer
Der Teufel steckt jedoch im Detail. Der S&P 500 weist immer noch einen Bewertungsaufschlag gegenüber anderen entwickelten Aktienmärkten auf. Darin spiegelt sich die überlegene Wachstumsleistung von US-Aktien wider. Allerdings hat sich der Unterschied zwischen den USA und dem Rest der Welt etwas verringert. Legt man das aktuelle KGV auf Basis der erwarteten Zwölf-Monats-Gewinne zugrunde, so liegen die USA immer noch fünf Prozentpunkte über dem Durchschnitt der europäischen und asiatischen Märkte. Damit ist es wieder auf dem Stand von zu Beginn der COVID-Pandemie.
Value oder Growth?
Die Outperformance von Substanzwerten im Vergleich zu Wachstumswerten scheint auch ausgereizt. Der Abstand zwischen den KGVs der S&P-Growth- und Value-Indizes hat sich verringert und liegt nahe dem Niveau, das vor der COVID-Pandemie vorherrschte. Die makroökonomischen Trends haben sich auf die Performance innerhalb der Sektoren ausgewirkt. So leidet insbesondere der zyklische Konsumgütersektor unter den Auswirkungen der höheren Inflation, was sich in den Zwölf-Monats-Wachstumsprognosen zeigt. Auch der Bereich Informationstechnologie geriet unter Druck, aber bisher haben sich die Gewinnprognosen gehalten. Auf der anderen Seite wurden die Gewinnprognosen nach oben revidiert, und das KGV ist bei Finanzwerten, Energie und Rohstoffen am wenigsten gesunken.
In einigen Sektoren ist viel eingepreist
Die Bewertungen wurden gesenkt und die Gewinnerwartungen nach unten korrigiert. Die Wertentwicklung ist wohl weitgehend auf Energie und Finanzwerte zurückzuführen. Wenn die Energiepreise ihren Höhepunkt erreicht haben, dann könnte bereits genug eingepreist sein – die aktuelle Prognose des Researchhauses I/B/E/S für das Gewinnwachstum des S&P 500-Energiesektors im nächsten Jahr liegt bei 36 Prozent. Angesichts der Marktbewegungen und des langsameren Wachstums sind die Aussichten für Finanzwerte im Vergleich zu den vergangenen beiden Jahren mit niedrigen Zinsen, reichlich Liquidität und höheren Bewertungen von Vermögenswerten wahrscheinlich etwas getrübt.
Unternehmensbilanzen im Fokus
Natürlich hängt jetzt alles von den Unternehmensgewinnen ab. Der derzeitige Konsens ist, dass die Gewinne im nächsten Jahr weiter steigen werden. Das Risiko besteht darin, dass sich diese Prognosen ins Negative wenden, da immer mehr Unternehmen das Ertragswachstum in Frage gestellt und die Gewinnspannen gedrückt sehen. Qualität wird also in Aktienportfolios wichtig sein. Das Gleiche gilt für Unternehmensanleihen. Höhere Renditen bieten die Möglichkeit, in der Ratingskala aufzusteigen. Hochzinsanleihen mit BB-Rating in den USA werfen heute fast so viel ab wie Anleihen mit CCC-Rating vor einem Jahr und wie einfache Anleihen mit B-Rating im Februar diesen Jahres.
Aktien sind nicht schreiend billig
Strategien, die sich auf eine bessere Qualität im Sinne eines geringen Ausfallrisikos bei Anleihen und ein stabiles (über dem Markt liegendes) Gewinnwachstum bei Aktien konzentrieren, dürften in den nächsten sechs bis zwölf Monaten erfolgreich sein. Das Risiko besteht darin, dass sich das globale Wachstum infolge höherer Zinsen, verringerter Realeinkommen und einer Verschlechterung des Verbrauchervertrauens stärker abschwächt als derzeit prognostiziert. Ein weiterer Rückgang der Aktienmärkte um zehn bis 15 Prozent ist nicht auszuschließen.
Diversifiziertes und wachstumsorientiertes Portfolio
Dieses Umfeld ist positiv(er) für Anleihen und neutral für Aktien, wobei der Schwerpunkt auf Wachstum liegen sollte, wenn die Erholung kommt. Für die zweite Jahreshälfte sind Vermögenswerte mit langer Duration, ein Engagement in hochverzinslichen Krediten (Anleihen mit kurzer Laufzeit) sowie wachstums- und qualitätsorientierte Aktien interessant. Wie immer hängt es von den Daten und politischen Entscheidungen ab, aber die Bewertungen sind günstiger als im vergangenen Jahr.
Keine Kommentare
Die Kommentarfunktion auf stock3 ist Nutzerinnen und Nutzern mit einem unserer Abonnements vorbehalten.