Kommentar
13:20 Uhr, 25.11.2022

So sicher war eine Rezession noch nie

Beginnt die Rezession erst, können Anleger aufatmen. Das Problem: Auf den Rezessionsbeginn warten wir schon lange. Die Geduld wird auf die Probe gestellt.

Für den Aktienmarkt ist das Schlimmste erfahrungsgemäß vorbei, wenn Fakten geschaffen werden. In diesem Fall ist es negatives Wirtschaftswachstum und steigende Arbeitslosigkeit. Werden Fakten geschaffen, muss man nicht mehr in Erwartung einer negativen Entwicklung reagieren. Die Kurse fallen vor und zu Beginn einer Rezession. Die Erholung beginnt meist lange vor dem Ende einer Rezession.

Seit knapp einem Jahr warten Anleger auf diese ausschlaggebende Richtungsentscheidung. Selbst geduldige Anleger werden ungeduldig. Derweil werden die Anzeichen für eine Rezession immer deutlicher. Geht es nach einer Umfrage unter Prognostikern, die von der Notenbank von Philadelphia einmal im Quartal durchgeführt wird, war eine Rezession noch nie so sicher wie jetzt.

Die Wahrscheinlichkeit, dass die Wirtschaft im ersten Quartal 2023 schrumpft, wird mit 47 % angegeben. Für das zweite Quartal liegt die Wahrscheinlichkeit bei 49 %, für das dritte bei 46 % und für das vierte bei 44 %. Dass die Wahrscheinlichkeit für die Quartale, die nach dem nächsten beginnen, so einhellig und hoch auf eine Rezession hindeuten, gab es noch nie (Grafik 1).

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Die Rezessionswahrscheinlichkeit für das übernächste Quartal ist gleichzeitig eine der höchsten, die sich in der Zeitreihe finden. Geht es nach Prognostikern, ist eine Rezession praktisch garantiert. Nicht nur Prognostiker gehen von einer Rezession aus. Der Anleihemarkt zeigt dies ebenfalls seit Monaten an.

Der Zinsspread (Zinskurve) von 10- und 2-jährigen Anleihen ist seit geraumer Zeit im negativen Bereich. Auch der von der Notenbank favorisierte Spread steht kurz vor einer Inversion (Grafik 2). Betrachtet man nicht einzelne Spreads, sondern den Anteil an möglichen Spreads, der negativ ist, zeigt sich ebenfalls ein klares Bild. Über 50 % aller erdenklichen Zinskurven sind invertiert (Grafik 3).

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Es können immer noch höhere Anteile erreicht werden. Um mit hoher Zuverlässigkeit eine Rezession anzukündigen, ist dies allerdings nicht notwendig. Es wäre sehr ungewöhnlich, wenn die Wirtschaft weiterhin wachsen würde.

Konsumenten befinden sich bereits in einer Rezession. Historisch haben Rezessionen immer dann begonnen, wenn die Lagewerte schneller fallen als die Erwartungswerte. Meist sind die Lagewerte höher und die Differenz zwischen Erwartung und Lage negativ. Sobald die Differenz kleiner wird, ist dies der Startschuss für eine Rezession (Grafik 4).

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Etwas weniger pessimistisch als Konsumenten sind Unternehmen. Auch hier kommt es auf die Differenz zwischen Erwartungen und Lage an (Grafik 5). Der Beginn einer Rezession liegt bei anhaltendem Trend nur noch wenige Monate entfernt.

Die Anzeichen für eine Rezession könnten kaum deutlicher sein. Trotzdem ist weiterhin Geduld gefragt. Je nach Indikator beginnt die Rezession frühestens Anfang 2023 und spätestens Ende 2023. Da der Markt ein halbes Jahr in die Zukunft blickt, steht Anlegern im schlimmsten Fall ein weiteres, zähes Jahr voraus.

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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