Kommentar
09:21 Uhr, 10.06.2014

Sind wir reich oder arm?

Der durchschnittliche Amerikaner hat ein Vermögen von 860.000 USD, der durchschnittliche Deutsche „nur“ 620.000 USD. Eigentlich ein Skandal, möchte man meinen.

Kaum auf der Welt gab es solche Exzesse wie in den USA. Das Land ist hochverschuldet, das Wachstum moderat. Viele Jahre hat sich das Land nur dank der Notenbank über Wasser gehalten. Und trotzdem so reich? – Nicht ganz.

EZB löst Skandal aus

Laut einer Studie der EZB sind die Deutschen in Europa vergleichsweise arm. Demnach hätten Spanier ein Vermögen von gut 180.000 EUR während es bei den Deutschen nur 51.000 EUR sein sollten. Damit brachte die EZB einen Stein ins Rollen. Der Aufschrei war groß. Wie kann es sein, dass Deutschland in der Eurokrise zahlen muss, wenn alle anderen doch so viel reicher sind?

Das Rätsel um das arme Deutschland war relativ schnell gelöst. Die Betrachtung war zu vereinfacht. In Spanien ist der Immobilienbesitz von Privaten höher als in Deutschland. Werden Immobilien zum Vermögen gezählt, dann ist das natürlich höher, als wenn keine Immobilien in die Rechnung miteinfließen können. Zudem ließ die Rechnung anderer Vermögenswerte wie etwa Rentenansprüche außen vor. Ebenso wurde nur ein Teil der Wirtschaft betrachtet: der Privatbürger, nicht aber das „Gesamtpaket.“ Betrachtet man das Gesamtvermögen eines Landes und bricht es auf Einzelpersonen herunter, dann sieht es wie in der ersten Grafik aus.

Nach dieser etwas holistischeren Betrachtung steht der durchschnittliche Deutsche nicht mehr ganz so arm da. Demnach besitzt ein Deutscher etwa 170.000 USD mehr als ein Spanier. Das rückt das Bild wieder etwas zurecht. Dennoch ist das Ergebnis noch immer etwas unbefriedigend. Dass die nordischen Länder wie Norwegen reich sind, das wissen wir und ist kein Geheimnis. Dass aber Frankreich reicher sein soll als Deutschland und Irland wiederum reicher erscheint als Frankreich, das passt nicht zusammen. Überraschend schlecht kommt auch die Schweiz weg. Amerikaner haben mehr Geld zur Verfügung als die Eidgenossen.

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Die Daten zum Vermögen eines Bürgers erzählen natürlich nur die halbe Wahrheit. Es ist zwar tatsächlich so, dass ein Ire mehr Assets hat als ein Deutscher, aber gleichzeitig hat er auch höhere Schulden. Und eines kann man sagen: die Schulden haben es in sich. Nicht umsonst wird das Thema Schulden seit Jahren diskutiert und hält die Finanzmärkte in Atem. Dabei ist es noch viel schlimmer, als die Medien es vermuten lassen.

Katastrophal hohe Schulden

Betrachtet man die Schuldenberge einzelner Länder, dann wird einem Angst und Bange. Die Gesamtschulden sind übrigens nicht die Schulden des Staates allein, sondern die Gesamtschulden von Bürgern, Staat und Unternehmen in Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Die zweite Grafik zeigt die Verschuldung im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt in zwei Varianten. Die blauen Balken zeigen die Verschuldung des Staates, der Bürger und von Unternehmen, die nicht Finanzdienstleistungsunternehmen sind (vor allem Banken). Die rote Säule zeigt die Gesamtverschuldung inkl. Banken. Das macht in den meisten Fällen noch einmal 100 bis 150% des BIPs aus.

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Es fällt auf, dass Irland und Portugal mit einem gewissen Abstand die Rangliste anführen. Öffentlich gescholtene Sünder wie die USA oder Japan kommen eigentlich ganz gut weg. Für europäische Länder passt das Bild recht gut. Wer als hoch verschuldet gilt ist auch tatsächlich hoch verschuldet. Es stechen nicht nur Irland und Portugal hervor, sondern auch Italien, Ungarn, Griechenland und Spanien.

Noch etwas fällt in der Grafik auf. Es gibt ein Land, welches keine Schulden hat. Saudi Arabien ist kein Schuldner, sondern Gläubiger. Solche Länder gibt es nur sehr wenige. Neben Saudi Arabien gehört noch Macau dazu, wobei Macao als Sonderwirtschaftszone eigentlich zu China gehört. Immerhin schaffen es die meisten Staaten Mikronesiens noch auf die Liste jener Länder, die nicht verschuldet sind.

Die Verschuldung eines Landes ist wieder nur ein Teil der Geschichte. Schulden stehen normalerweise Assets gegenüber. Die Assets pro Person hat die erste Grafik gezeigt. Das ist ein verzerrtes Bild, weil es sich um Bruttovermögen handelt. Die zweite Grafik hat die dazugehörigen Schulden gezeigt. Diese muss man eigentlich noch vom Bruttovermögen abziehen. Dann kennt man das Nettovermögen einer Person.

Die dritte Grafik zeigt noch einmal den Gesamtschuldenberg eines Landes und das dazugehörige Nettovermögen in Prozent des BIPs. Addiert man beides wieder zusammen, dann ergibt sich wieder das Gesamtvermögen. Das Gesamtvermögen inkl. Schulden ist in Ländern wie Portugal vor allem wegen der Schulden so hoch und nicht wegen des eigentlichen Nettovermögens.

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Das Nettovermögen der einzelnen Länder ist als Net Capital Stock (NCS) dargestellt. NCS ist die Summe aller Investitionen, die bisher erfolgten. Zu den Investitionen gehört so ziemlich alles, was man sich vorstellen kann (Infrastruktur, Immobilien, Autos, Computer usw.). Wie in einer Bilanz werden jährlich Abschreibungen auf die Güter vorgenommen. Ein Computer, den man um 1.000 EUR gekauft hat bleibt nicht ewig 1.000 EUR wert. Gebrauchsgegenstände wie Konsumentenelektronik werden für gewöhnlich über 3 Jahre abgeschrieben. Der Net Capital Stock versucht letztlich den realen, aktuellen Wert all dessen zu erfassen, was es in einem Land gibt. Kennt man den NCS und die Gesamtschulden, dann kennt man auch die Effizienz bzw. die Wertschöpfung der Schulden. Die schwarzen Punkte (rechte Skala) zeigen wie viel Wert durch Schulden generiert wird. In Deutschland sind Schulden fast konkurrenzlos wertschöpfend. Würde ein Prozent des BIPs mehr Schulden aufgenommen, würden 1,47% mehr Assets dabei herausspringen. Es klingt fast ein wenig paradox, dass für einen Euro Schulden 1,47 Euro Wert entstehen. Ist die Investition aber langfristig ertragreich und schafft über die Zeit mehr Wert als die Investition kostet, dann macht das durchaus Sinn. Besonders unproduktiv sind Schulden in Irland. Immerhin schaffen Schulden aber noch Wert und vernichten ihn nicht – zumindest nicht in dem Snapshot (je nach Land zwischen 2010 und 2013).

Wie reich sind wir nun wirklich?

Die bisherigen Grafiken lassen das Gesamtvermögen noch schwer vergleichen. Am besten stellt man nur den Net Capital Stock der einzelnen Länder gegenüber. Hier zeigt sich nun wie die Länder im Vergleich tatsächlich dastehen. Irland ist hier plötzlich nicht mehr vorne mit dabei. Griechenland steht noch relativ weit oben, allerdings sind in den Daten noch nicht die vollen Auswirkungen der Krise berücksichtigt. Die europäischen Krisenländer kann man wahrscheinlich getrost um 10 bis 15 Prozentpunkte nach unten setzen. Dann sähe Griechenland allerdings noch immer relativ reich aus. Das liegt daran, dass hier der Net Capital Stock in Prozent des BIPs dargestellt wird. Würde man den Absolutbetrag pro Person ausweisen, dann würde sich das Bild etwas wandeln.

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Rechnet man die Daten in Net Capital Stock pro Person um, dann sieht das Bild wieder differenzierter aus. Japan bleibt grundsätzlich weit vorne. Ganz oben stehen nun aber die Schweiz und Norwegen. Die USA sind relativ weit abgeschlagen. Aber auch diese Darstellung ist noch problematisch, weil sie die Kaufkraft nicht berücksichtigt.

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Berücksichtigt man die Kaufkraft, dann ergibt sich wieder ein etwas anderes Bild. Das dürfte am akkuratesten sein. Die reichsten Länder bleiben die Schweiz und Norwegen mit einem sehr knappen Kopf an Kopf Rennen. Deutschland liegt relativ weit vorne, die USA sind ebenfalls wieder weiter vorne mit dabei. Die europäischen Krisenländer befinden sich nun eher am unteren Ende.

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Besonders auffällig ist der Reichtum Japans. Das lohnt sich insbesondere zu erwähnen, weil aktuell wieder eine Inflationsdebatte tobt. Zu niedrige Inflation sei schlecht usw. Dazu kann man nur sagen: Deflation macht reich (theoretisch zumindest). Während in einem Großteil der Länder Güter durch Inflation entwertet wurden, war das in Japan nicht der Fall. Wurde in Japan z.B. vor 25 Jahren ein Gut um 1 Mrd. USD angeschafft (etwa eine Brücke) und würde diese mit einem Prozent pro Jahr abgeschrieben und beträgt die Deflation 1% pro Jahr, dann hat das Gut de facto nicht an Wert verloren.

Wie sieht die Zukunft des Vermögens aus?

Auch wenn das keiner genau sagen kann, dann hilft zumindest ein Blick in die Historie. In 50 Jahren hat sich beim Net Capital Stock nicht mehr viel getan. Die meisten Länder stagnieren. Entwicklungsländer holen auf. Interessanterweise ist aber das Tempo nicht wirklich atemberaubend - wie China zeigt. In vielen Industrieländern zeigt sich sogar ein Rückgang des NCS. In anderen tut sich de facto nichts (USA).

Wirklich ärmer sind nur die wenigsten Länder geworden. Man darf nicht vergessen, dass es sich letztlich um eine Bilanz handelt. Werte werden abgeschrieben. Irgendwann einmal ist die Brücke abgeschrieben, sie wird aber dennoch weiterhin benutzt. Der Nutzen eines bereits abgeschriebenen Gutes kann ja nach wie vor vorhanden sein. Entsprechend vorsichtig ist der Vergleich zu sehen.

Einen gewissen Warnhinweis gibt es durch das Bild dennoch. Länder, in denen der NCS rückläufig ist, haben in den vergangenen Jahren weniger investiert. Wird über zu viele Jahre an Investitionen z.B. in die Infrastruktur gespart, dann wird es irgendwann sehr teuer, den NCS zu erhalten. Auch wenn sich eine Brücke praktisch länger nutzen lässt als buchhalterisch, ewig hält sie nicht.

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Wenn die ganzen Zahlen eines zeigen, dann sicherlich, dass die Frage nach Reichtum nicht so einfach zu beantworten ist. Die Datenlage dazu ist überraschend dünn. Entsprechend schwierig ist es sinnvolle Zeitreihen zu generieren. Die hier gezeigte Tendenz dürfte stimmen, auch wenn eine gewisse Datenunsicherheit herrscht. Ob der durchschnittliche Deutsche wirklich 150.000 USD Kaufkraft Net Capital Stock hat oder letztlich doch 145.000 USD – das weiß wohl niemand so genau. Die Größenordnung dürfte allerdings stimmen. Wenn in den Medien wieder einmal über Studien der EZB berichtet wird oder Inflation herbeigesehnt wird, dann helfen die Daten hier, das Ganze in die Perspektive zu rücken.

Viel Erfolg

Clemens Schmale

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9 Kommentare

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  • student
    student

    Lieber Herr Schmale,

    zum Vermögen gehören nicht nur Immobilienbesitz , liquide Mittel und Rentenansprüche, sondern vor allem auch die soziale Absicherung im Krankenfall, bei Arbeitslosigkeit und im Pflegefall. In so einem Fall ist das Vermögen schnell aufgebraucht. Dazu braucht es ein Gemeinwesen, an dem jeder Staatsbürger einen Anspruch hat.

    Nimmt man das Sozialwesen mit hinzu, dürfte die Tabelle sich noch dramatisch verändern.

    Es war ein gut recherchierter Artikel. Dafür vielen D

    20:27 Uhr, 10.06.2014
  • 1 Antwort anzeigen
  • Investor
    Investor

    Herr Schmale, sehr guter Beitrag.

    Persönlich fehlen mir noch einige Kenngrößen:

    - Wie sieht das mittlere Vermögen aus, wenn man die oberen und unteren 1% des Vermögens nicht berücksichtigt.

    - Eigentlich müßte man wegen der Überalterung der Gesellschaften noch eine "Rückstellung" für künftige Renten berücksichtigen bzw einen Alterungsfaktor.

    Anmerkung zu Isabojack: Generell ist der Sparanteil von Immobilienbesitzern höher. Dadurch wird überdurchschnittlich mehr Vermögen gebildet. Natürlich könnten die Mieter dies auch tun, aber ...

    Wichtige Erkenntnis: In einer alternden Gesellschaft ist Deflation für die Bürger und deren Vermögen von Vorteil und zum Nachteil des Staates der seine Schulden nicht "unbeobachtet" abbauen kann .

    13:15 Uhr, 10.06.2014
  • Isabojack
    Isabojack

    ...guter beitrag von wurstel...solch eine studie wird für die gegenwart erstellt...und das nur 40% der deutschen eine eigene immobilie haben und sich nicht mit 150000,- - 450000,-€ immo-werten umgeben hat einen grund...SCHULDEN...und ich denk, der großteil der regionalen bevölkerung wurde nunmal erzogen, keine bzw. wenig schulden zu machen...ob das wirtschaftlich sinnvoll ist oder nicht, sei mal dahingestellt...in den köpfen ist es drin...aber dies ist ein deutsches phänomen..in anderen teilen europas und anderswo wird es anders gesehen...leben mit schulden ist in....

    12:27 Uhr, 10.06.2014
  • Wursti
    Wursti

    Ich mache mir die Welt widewidewie sie mir gefällt.... Je nach definition ist Vermögen nicht das selbe. Landläufig wäre Vermögen definiert als Summa aller liquiden und inliquiden Mittel die ich zum Zeitpunkt x zur Verfügung habe. Das heißt Immobilien sind hinzuzurechnen, zukünftige Ansprüche nicht, denn wir stehen am Zeitpunkt x! - Diese Rechnung dürfte von 95% der Bevölkerung so aufgestellt werden lieber Autor.

    11:17 Uhr, 10.06.2014
    1 Antwort anzeigen

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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