Kommentar
14:27 Uhr, 15.06.2005

Signalisiert der ISM-Index einen Abschwung?<br />

1. Der ISM-Index für das verarbeitende Gewerbe hat in den vergangenen Monaten eine bemerkenswerte Abwärtsentwicklung hingelegt. Seit seinem Höchststand im Januar 2004 mit 62,8 Indexpunkten ist der Indikator inzwischen auf 51,4 Punkte im Mai 2005 abgerutscht. Damit liegt er nur noch knapp oberhalb der 50-Punkte-Marke, die als Expansionsgrenze bezeichnet wird, weil oberhalb von 50 Punkten mit einer expansiven Entwicklung im verarbeitenden Gewerbe im Vormonatsvergleich gerechnet werden kann. Werte unterhalb von 50 Punkten deuten dagegen auf ein Schrumpfen der Industrie hin. Die Historie zeigt jedoch, dass diese einfache Interpretation nicht immer zutreffend gewesen ist. Denn beispielweise kann die monatlich erhobene Industrieproduktion, an der das verarbeitende Gewerbe ein Gewicht von über 80 % besitzt, durchaus monatliche Rückgänge aufweisen, obwohl der ISM-Indikator in dem betreffenden Monat einen Wert von mehr als 50 Punkten ausweist. Im Folgenden wollen wir untersuchen, ob mit unserem Konjunkturszenario, für das wir in den kommenden Quartalen annualisierte Zuwachsraten des Bruttoinlandsprodukts von ca. 3½ % bis 3¾ % erwarten, die bisherige Entwicklung des ISM-Index im Einklang steht und ob bei Werten des ISM-Index unterhalb von 50 Punkten größerer Revisionsbedarf auftreten kann. Zur Beantwortung dieser Fragen werfen wir einen Blick in die vergangenen Jahre.

2. Der ISM-Index ist seit Anfang der Neunzigerjahre mehrmals unter die 50-Punkte-Marke gerutscht. Insbesondere in den Rezessionsphasen zu Beginn der Neunzigerjahre, aber auch im Jahr 2001 wurden über mehrere Monate hinweg Werte unter 50 Punkten gemeldet.

Seit Anfang der Neunzigerjahre lassen sich im Groben vier Zeiträume feststellen, in denen mehrere ISM-Werte unterhalb von 50 Punkten vorlagen. Ausrutscher in einzelnen Monaten sollen hier nicht näher betrachtet werden. Es wird deutlich, dass der ISM-Index die vom National Bureau of Economic Research offiziell festgelegten Rezessionszeiträume sehr gut angezeigt hat. Sowohl Anfang der Neunzigerjahre als auch im Jahr 2001 wurden in den Rezessionszeiträumen stets Werte deutlich unter 50 Punkten ausgewiesen. Die durchschnittlichen monatlichen Veränderungsraten der Industrieproduktion waren negativ und auch die Bruttowertschöpfung im produzierenden Gewerbe sank. Darüber hinaus erreichte der ISM-Index sogar im Vorfeld der Rezessionen – nämlich zehn Monate früher bei der vorletzten und bei der letzten Rezession sieben Monate früher – Werte unterhalb von 50 Punkten. Und tatsächlich begann die Belastungsphase der Industrie früher als die gesamtwirtschaftliche Rezession.

3. Im aktuellen Kontext sind jedoch die beiden Zeiträume mit Werten des ISM-Index knapp unter 50 Punkten interessanter, die nicht von Rezessionen begleitet wurden, nämlich derjenige Mitte der Neunzigerjahre und derjenige Ende der Neunzigerjahre. Im ersten Fall hatte die Federal Reserve die Leitzinsen ab Anfang 1994 von 3,00 % auf 6,00 % Anfang 1995 erhöht und die 10-jährigen Renditen der Staatsanleihen vollzogen im ähnlichen Maße diese Erhöhung nach. Der zweite Zeitraum lässt sich mit der Asienkrise Ende 1997 und der anschließenden Russlandkrise 1998 in Zusammenhang bringen. In beiden Fällen rutschte der ISM-Index für mehrere Monate unter die von 50-Punkte-Marke. Gleichwohl lagen selbst die Tiefststände mit 45,5 Punkten bzw. 46,8 Punkten über den Durchschnittswerten in den Rezessionszeiträumen, sodass die ISM-Indizes in diesen Zeiträumen zwar schwach waren, aber doch stärker als in den Rezessionszeiträumen. Durchaus überraschend wird der Vergleich der tatsächlichen wirtschaftlichen Aktivität in diesem Zeitraum. Sowohl die Industrieproduktion als auch die Bruttowertschöpfung im verarbeitenden Gewerbe wiesen robustes, wenn nicht sogar dynamisches Wachstum auf.

4. Für die Talfahrt des ISM-Index seit Januar 2004 lassen sich drei Gründe diskutieren:

• Hoher Rohölpreis: Bekanntlich ist der Rohölpreis in den vergangenen Quartalen deutlich gestiegen. So betrug im November 2003, als erstmals in diesem Konjunkturzyklus der ISM-Index oberhalb von 60 Punkten vermeldet wurde, der durchschnittliche Ölpreis für West Texas Intermediate nur 31 US-Dollar. Im März 2005 wurde dann mit gut 54 US-Dollar der durchschnittlich höchste Monatswert erreicht. Vergleicht man allerdings die durchschnittlichen monatlichen Zuwächse des Rohölpreises in den neun Monaten mit ISM-Werten über 60 Punkten, dann lagen diese mit 3,5 % (mom) höher als die 2,4 %, die in dem Zeitraum danach zu beobachten waren. Sicherlich war der hohe Ölpreis in den vergangenen Monaten ein Belastungsfaktor für die US-Wirtschaft bzw. für die Industrie. Allerdings verlief der Anstieg des Rohölpreises insgesamt kontinuierlich und die Unternehmen konnten sich auf diesen zusätzlichen Kostenfaktor einstellen. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass ein nicht unwesentlicher Anteil der weltweiten zusätzlichen Rohölnachfrage aus den USA gekommen ist, sodass der Ölpreisanstieg unter anderem USnachfrageinduziert gewesen ist und nicht aus einer plötzlichen Verknappung des Angebotes resultierte. Von einem Ölpreisschock kann nicht die Rede sein. Wir würden daher den hohen Rohölpreis bzw. seinen Anstieg nicht als wichtigste Begründung für den Rückgang des ISM-Index erachten.

• Erhöhung des Leitzinssatzes: Seit Juli 2004 hat die Federal Reserve die Leitzinsen von damals 1,00 % auf mittlerweile 3,00 % angehoben. Dieser Anstieg könnte bereits für die Industrie ein zu hoher Belastungsfaktor sein. Denn die günstigen Refinanzierungsmöglichkeiten mit einem Leitzins von einem Prozent, die für ein Jahr galten, sind nicht mehr vorhanden. Tatsächlich könnte dieses Argument angeführt werden. Zumal es mit dem Beispiel Mitte der Neunzigerjahre einen vergleichbaren Fall gegeben hat. Allerdings sind damals auch die langfristigen Renditen deutlich um über 200 Basispunkte angestiegen. Und genau dies ließ sich in den vergangenen Monaten nicht feststellen, vielmehr ist das Gegenteil der Fall: Die langfristigen Renditen sind seit Sommer letzten Jahres eher gefallen. Man mag sich wundern, warum sie so niedrig geblieben sind; eine Belastung für die Unternehmen sind sie sicherlich nicht, sodass auch dieser Grund den Rückgang des ISM-Index nicht hinreichend erklären kann.

• Zyklisches Phänomen: Die dritte Erklärung für die deutliche Verringerung des ISM-Index mag auf den ersten Blick trivial erscheinen, dennoch kommt sie der Realität wohl am nächsten. Nach der starken Expansionsphase im vergangenen Jahr schließt sich eine zyklisch bedingte Verschnaufpause in 2005 an. Die vergangene starke Expansionsphase war dadurch gekennzeichnet, dass der ISM-Index nur sieben Monate nach seinem jüngsten Tiefpunkt im April 2003 (46,1 Punkte) brauchte, um einen Wert über 60 Punkten zu erreichen. Anschließend konnte sich der ISM-Index beinahe ungewöhnlich neun Monate lang auf diesem hohen Niveau halten (vergleichbare Zeiträume gab es zuletzt 1983 bzw. 1978). In diesen neun Monaten betrug die durchschnittliche monatliche Zuwachsrate der Industrieproduktion 0,43 %, und die Bruttowertschöpfung im produzierenden Gewerbe wuchs durchschnittlich um beeindruckende 6,2 % (qoq, ann.). Es ist nicht verwunderlich, dass sich an diese Expansionsphase eine Verschnaufpause anschließt, das heißt, dass wir es derzeit mit einem rein zyklischen Phänomen zu tun haben. In dieser Verschnaufpause wird zwar vom produzierenden Gewerbe weiterhin ein nennenswerter Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt geleistet, aber das hohe Tempo des vergangenen Jahres wird nicht mehr erreicht.

5. Fazit: Große Sorgenfalten auf der Stirn sind aufgrund des rückläufigen ISM-Index nicht angebracht. Auch dann noch nicht, wenn der ISM-Index in den kommenden Monaten unterhalb von 50 Punkten in die Nähe von 48 oder sogar 47 Punkten sinkt und dort für mehrere Monate verharrt, wie er es schon Mitte bzw. Ende der Neunzigerjahre getan hat. Dies alleine würde noch keine signifikante Verlangsamung der USWirtschaft insgesamt anzeigen, sondern nur auf eine weitere Abschwächung im verarbeitenden Gewerbe hindeuten. Die US-Wirtschaft wird – und dies zeigt auch der ISM-Index für das nicht-verarbeitende Gewerbe an – derzeit vor allem vom Dienstleistungsgewerbe gestützt. Hier entstehen neue Arbeitsplätze und die Bruttowertschöpfung verläuft dynamisch und stabil. Gleichwohl kann die US-Wirtschaft ohne verarbeitendes Gewerbe nicht dauerhaft Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts von über 3,0 % generieren. Das heißt, unsere BIP-Prognose für die kommenden Quartale hängt durchaus auch von der Entwicklung im verarbeitenden Gewerbe ab: Sollte sich der ISM-Index in den kommenden Monaten unter 45 Punkte fallen und diese Abschwächung von anderen schwachen Daten bei den Aufragseingängen, den Auslieferungen (Shipments) und der Industrieproduktion begleitet werden, dann wäre dies sicherlich nicht mit unserem derzeitigen Konjunkturbild vereinbar, sodass eine Abwärtsrevision unserer Prognose des Bruttoinlandsprodukts notwendig werden würden. Aktuell sehen wir allerdings keinen Handlungsbedarf hinsichtlich unserer Wachstumsprognose.

Quelle: DekaBank

Die DekaBank ist im Jahr 1999 aus der Fusion von Deutsche Girozentrale - Deutsche Kommunalbank- und DekaBank GmbH hervorgegangen. Die Gesellschaft ist als Zentralinstitut der deutschen Sparkassenorganisation im Investmentfondsgeschäft aktiv. Mit einem Fondsvolumen von rund 130 Mrd. Euro gehört die DekaBank zu den größten Finanzdienstleistern Deutschlands. Im Publikumsfondsgeschäft hält der DekaBank-Konzern einen Marktanteil von etwa 20 Prozent.

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Über den Experten

Thomas Gansneder
Thomas Gansneder
Redakteur

Thomas Gansneder ist langjähriger Redakteur der BörseGo AG. Der gelernte Bankkaufmann hat sich während seiner Tätigkeit als Anlageberater umfangreiche Kenntnisse über die Finanzmärkte angeeignet. Thomas Gansneder ist seit 1994 an der Börse aktiv und seit 2002 als Finanz-Journalist tätig. In seiner Berichterstattung konzentriert er sich insbesondere auf die europäischen Aktienmärkte. Besonderes Augenmerk legt er seit der Lehman-Pleite im Jahr 2008 auf die Entwicklungen in der Euro-, Finanz- und Schuldenkrise. Thomas Gansneder ist ein Verfechter antizyklischer und langfristiger Anlagestrategien. Er empfiehlt insbesondere Einsteigern, sich strikt an eine festgelegte Anlagestrategie zu halten und nur nach klar definierten Mustern zu investieren. Typische Fehler in der Aktienanlage, die oft mit Entscheidungen aus dem Bauch heraus einhergehen, sollen damit vermieden werden.

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