Kommentar
17:28 Uhr, 04.10.2013

Schwellenländer in der Krise

Chinas Wachstum zieht wieder an. Die Welt jubelt – möglicherweise zu früh. Wie in den vergangenen Jahren ist Chinas Wirtschaftswachstum Treiber Nummer 1 für viele andere Märkte. Chinas Wirtschaft wandelt sich jedoch. Damit steht das Erfolgsmodell anderer Schwellenländer auf dem Prüfstand.

Chinas Wachstum zieht wieder an. Die Welt jubelt – möglicherweise zu früh. Wie in den vergangenen Jahren ist Chinas Wirtschaftswachstum Treiber Nummer 1 für viele andere Märkte. Chinas Wirtschaft wandelt sich jedoch. Damit steht das Erfolgsmodell anderer Schwellenländer auf dem Prüfstand. Denn viele dieser Länder sind in besonderem Maße von China abhängig, vor allem Rohstoffexporteure.

China und der Rohstoffhunger

Das hohe Wachstum vieler rohstoffexportierender Schwellenländer in den vergangenen Jahren war kein Zufall. China verschlingt geradezu ungeheure Mengen an Rohstoffen. China ist nämlich nicht nur einer der größten Exporteure der Welt, sondern auch einer der wichtigsten Importeure von Rohstoffen, aber auch anderen Produkten wie Maschinen und Chemikalien. Die erste Grafik zeigt den Verlauf der Gesamtimporte Chinas seit 1948. Damals startete das Land mit einem Importwert von 400 Mio. Dollar. Heute sind es ungefähr 1,8 Billionen. Damit stehen die Importe heute fast 5.000 Mal höher als damals. Von Ausnahmen in Jahren 2009 einmal abgesehen wachsen die Importe um 20% pro Jahr seit der Modernisierung der Wirtschaft in den 80er Jahren. Im Durchschnitt seit 1948 wuchsen die Importe 14% pro Jahr.

Schwellenländer-in-der-Krise-Kommentar-Clemens-Schmale-GodmodeTrader.de-1

Dieses lineare Wachstum hat einen gigantischen Effekt auf das Volumen und den Wert der Importe. Gerade bei Rohstoffen sorgt der Hunger nach Importen dafür, dass die Rohstoffpreise in der Vergangenheit gut unterstützt waren. Hier beträgt der Multiplikator seit 1990 ca. 45. China importiert heute also 45 Mal mehr Rohstoffe als noch 1990. Insgesamt erreichte der Wert der Importe 2012 über 700 Milliarden Dollar. Das jährliche Wachstum erreicht 20%. Seien es die Gesamtimporte oder nur die Rohstoffimporte – das Wachstum ist enorm. Das beflügelt die Fantasie, wenn es um Rohstoffpreise geht. Ein so hohes Nachfragewachstum muss schließlich Auswirkungen auf die Preise haben.

Schwellenländer-in-der-Krise-Kommentar-Clemens-Schmale-GodmodeTrader.de-2

Durch das starke Wachstum und die schiere Größe Chinas ist der Anteil am Weltkonsum sehr groß. 2012 verbrauchte China fast 50% des weltweit nachgefragten Eisenerzes oder Kohle. Bei Kupfer waren es noch fast 40% und bei wichtigen Agrarrohstoffen wie Reis knapp 30% oder bei Weizen 17%. Die Story von China als unangefochtenem Rohstoffimporteur und Konsumenten ist ziemlich gut untermauert. Und China wächst weiter. Das sollte eigentlich darauf hindeuten, dass die Story weitergeht.

Schwellenländer-in-der-Krise-Kommentar-Clemens-Schmale-GodmodeTrader.de-3

Es gibt aber gewisse und vor allem natürliche Grenzen des Wachstums. Würden Chinas Importe weiterhin so stark wachsen wie in der Vergangenheit, würden die Importe Chinas Wirtschaftsleistung ab 2020 übersteigen. Nimmt man nur die Rohstoffimporte als Referenz, überstiege der Wert der Rohstoffimporte ab 2025 das Bruttoinlandsprodukt. Diese beiden Szenarien sehen ein Wirtschaftswachstum Chinas von 8% vor. Es leuchtet irgendwie ein, dass die Rechnung auf Dauer nicht aufgehen kann. Auf Dauer können die Rohstoffimporte nicht stärker wachsen als die Wirtschaft selbst. Irgendwann ist der Markt gesättigt bzw. wachsen die Importe in der Höhe des Wirtschaftswachstums oder mit Werten, die darunter liegen.

Die Abhängigkeit der Welt von China

In den vergangenen Jahren haben rohstoffexportierende Länder von Chinas Rohstoffbedarf überproportional profitiert. Das ist natürlich schön. Die Preise für Rohstoffe stiegen, das Volumen der Exporte auch. Die Grenzen des Wachstums sind aber so gut wie erreicht. Nach dem Wachstumseinbruch der Weltwirtschaft 2009 hatte China Aufholbedarf. Die Importe explodierten 2010 und 2011. 2012 verlangsamte sich das Wachstum erheblich und auch 2013 ist nicht mit Luftsprüngen zu rechnen. Ab 2015 ist zu erwarten, dass sich das Wachstum radikal verlangsamt. Man muss sich also langsam aber sicher auf ein Ende der Rohstoffstory vorbereiten, die allein von China getrieben wird. Wichtig ist das vor allem für die rohstoffexportierenden Länder.

Die nächste Grafik zeigt die Entwicklung der Abhängigkeit von China. Je höher ein Wert ist, desto abhängiger ist ein Land von China. Z.B. in Bezug auf Öl betrug 2002 die Abhängigkeit Angolas von China 4. 2010 betrug der Wert bereits 6 und 2012 noch einmal etwas mehr, ca. 6,5. Ein Wert von 10 würde vollkommene Abhängigkeit bedeuten, ein Wert von 0 gar keine Abhängigkeit. Abhängigkeit ist definiert durch den Anteil der Rohstoffexporte nach China von den Gesamtrohstoffexporten.

Schwellenländer-in-der-Krise-Kommentar-Clemens-Schmale-GodmodeTrader.de-4

Die Werte sind erschreckend hoch. Die Abhängigkeit vieler Länder von Chinas Importen ist so groß, dass es beginnt gefährlich zu werden. Viele der Länder, wie etwa Chile, generieren einen Großteil ihres BIPs durch den Export von Metallen, allen voran Kupfer. Über 40% der Kupferproduktion gehen nach China. Verlangsamt sich das Wachstum in China, hat das einen direkten Einfluss auf das BIP Chiles. Der Anteil des BIPs, der durch die Rohstoffexporte nach China generiert wird, lässt sich sogar ziemlich genau beziffern. Chiles Gesamtexporte nach China machen über 8% des chilenischen BIPs aus. Stellen Sie sich jetzt nur einmal vor, Chinas Nachfrage stagniert. Das hat einen immensen Einfluss auf die Rohstoffpreise. Allein Chinas Nachfragesituation könnte das BIP Chiles um mehrere Prozentpunkte nach unten drücken.

Der Fall Chile ist besonders ausgeprägt. Andere Länder sind aber auch stark von Chinas Entwicklung abhängig. So machen Perus Exporte nach China 3,5% des BIPs aus, Brasiliens Exporte immerhin noch 1,8% und Argentiniens 1,7%. Diese Länder müssen sich ernsthaft die Frage stellen, was sie tun wollen, wenn sich Chinas Konsum ändert, denn es deuten sich größere Verschiebungen an. Momentan kommen Rohstoffpreise eher wegen der Dollarwährungstendenz unter Druck. Mit der ersten Ankündigung des QE Ausstiegs kam es geradezu zu einem Preissturz. Vor zwei Wochen hat die Fed die Anleihenkaufprogramme zunächst nicht zurückgefahren, was zu einer kleinen Rallye geführt hat, weil der Dollar wieder an Wert einbüßte. Der Ausstieg aus QE wird aber kommen. Schon allein das wirkt sich negativ auf Rohstoffpreise aus. In einem zweiten Schritt kommt dann Druck über die Nachfrageseite. Chinas Rohstoffhunger wird zwar groß bleiben, aber schon allein das geringere Nachfragewachstum wirkt sich dämpfend auf Preise aus. Ein Großteil der Kapazitäten für Rohstoffabbau existiert ja nun einmal schon und gerade in den letzten Jahren wurden Dutzende Milliarden in neue Minen gesteckt. Die Produktion dieser neuen Quellen muss ja auch irgendwo hin. Das ist eine Kombination aus Faktoren, die selten vorkommt, aber nicht ganz neu ist. Ähnliches hat die Welt in den 1980er Jahren erlebt. Ein Blick auf die damaligen Entwicklungen zeigt auf, was auch in den nächsten Jahren geschehen könnte.

Die Rohstoffkrise der 1980er Jahre

Über die Rohstoffkrise und ihre Auswirkungen wurden viele Paper, Artikel, Bücher, Doktorarbeiten usw. geschrieben. Alle Feinheiten darzustellen würde zu weit führen. Die wichtigsten Punkte lassen sich aber auch kurz zusammenfassen. Das, was passierte, lässt sich sogar in einen Satz packen: das Volumen der Rohstoffexporte stieg während der Wert der Exporte sank. Diese Dynamik zeigt die nächste Grafik. Abgebildet ist die Entwicklung der Menge der Exporte für Asien, Afrika und Lateinamerika (LatAm). Von 1980 bis zum Höhepunkt der Krise 1988 legte das Volumen in Asien über 40% zu, für LatAm 17% und für Afrika immerhin noch 5%. Gleichzeitig sank aber der absolute Wert der exportierten Rohstoffe. Obwohl mehr exportiert wurde, verdienten die Länder weniger daran.

Lateinamerikanische Länder exportierten 1988 zwar 17% mehr als 1980, verdienten daran aber 10% weniger. Das Differential war 1985 sogar noch größer. Hier wurde fast 20% mehr exportiert, aber 20% weniger daran verdient. Das klingt irgendwie paradox. Obwohl die Nachfrage für höhere Volumina vorhanden war, verdienten die Länder signifikant weniger daran.

Schwellenländer-in-der-Krise-Kommentar-Clemens-Schmale-GodmodeTrader.de-5

Die Mechanismen hinter dieser Entwicklung sind gut auf heutige Gegebenheiten anwendbar. Der Konsum stieg zwar nach wie vor, aber deutlich langsamer als in den 70er Jahren. Das erinnert stark an das, was mit China in den kommenden Jahren passieren wird. Die Grafik zu Konsum und Nachfrage zeigt die Situation für eine große Zahl von Rohstoffen. Es ist nicht wirklich wichtig, die Entwicklung jedes einzelnen Rohstoffes nachzuempfinden. In der Tendenz sank der Konsum für viele Rohstoffe von Ende der 70er bis Mitte der 80er Jahre (linke Hälfte der Grafik). Die Importe aus Entwicklungsländer verliefen entsprechend parallel. Von vielem wurde weniger exportiert, von einigen Rohstoffen mehr. In der Summe war das mehr als Ende der 70er Jahre, aber im Wert weniger. Das Volumen ist als Index abgebildet. 1970 gilt als Referenzwert. Steht der Index 1978-80 oder 1984-86 unter 100, ist das Volumen im Vergleich zu 1970 gesunken.

Schwellenländer-in-der-Krise-Kommentar-Clemens-Schmale-GodmodeTrader.de-6

Die Tendenz lässt sich auch noch einmal übersichtlicher darstellen. Auf der zusammenfassenden Grafik zeigt sich auch erst so richtig, woher das noch vorhandene Wachstum kam. Abgebildet sind landwirtschaftliche Rohstoffe und Metalle sowie synthetische „Rohstoffe“. Bis in die 70er Jahre hinein lag das Wachstum der klassischen Rohstoffe im unteren einstelligen Prozentbereich. Ab Ende der 70er stagnierte der Konsum, gemessen in US Dollar. Wie oben erwähnt stieg ja das Volumen, der Wert sank hingegen. Was aber ganz und gar nicht rückläufig war, war der Konsum von synthetischen Produkten. Hier betrug das jährliche Wachstum in den 80er Jahren 7% im Vergleich zu -1% bei natürlichen Rohstoffen.

Schwellenländer-in-der-Krise-Kommentar-Clemens-Schmale-GodmodeTrader.de-7

Der Siegeszug synthetischer Materialien war ein Grund für den Rückgang des Wachstums der Nachfrage nach natürlichen Rohstoffen. Hinzu kam, dass in den 70er Jahren eine wichtige wirtschaftliche Entwicklung stattfand. Fast alle damaligen Schwellenländer waren Ende der 70er Jahre industrialisiert. Der Prozess der Industrialisierung ist extrem rohstoffintensiv. Es muss Infrastruktur gebaut werden, Produktionsanlagen usw. Dazu kommt, dass die hergestellten Produkte eher rohstoffintensiv sind. Ist die Industrialisierung abgeschlossen, schrumpft die Nachfrage nach Rohstoffen erheblich. China befindet sich noch nicht an diesem Punkt, steuert aber darauf zu. Bis Ende des Jahrzehnts könnte Chinas Nachfrage nach einigen Rohstoffen wieder abnehmen (bis dahin aber weiter steigen). Wann dieser Punkt erreicht ist, ist schwer zu sagen, zumal China auch noch eine Besonderheit vorweist: China ist besonders ineffizient. Um die Effizienz des Rohstoffverbrauchs zu messen, wird gerne der Verbrauch von Rohstoffen pro BIP Einheit herangezogen. China braucht fast 10% mehr Rohstoffe pro BIP Einheit als alle anderen Entwicklungsländer im gleichen Stadium jemals gebraucht haben. Das wird nicht ewig so weitergehen, zumal das ein Makel ist, der langfristig das Wachstum begrenzt.

Damit ist klar, was damals passiert ist: es wurde mehr exportiert, aber zu geringeren Preisen. Dass sich die Geschichte nun wiederholt, lässt sich nur vermuten. Mit absoluter Sicherheit kann das natürlich nicht gesagt werden. Gründe für die Entwicklung gibt es viele. Vor allem ist die Entwicklung von China abhängig, welches mit Abstand der größte Rohstoffverbraucher ist und entsprechend auch viele Exporteure von Chinas Entwicklung abhängig sind. Der Übergang Chinas vom Schwellen- zum Industrieland wird, gekoppelt mit dem Währungstrend, zu ähnlichen Effekten wie in den 80er Jahren führen. Hinter der möglichen Entwicklung der kommenden Jahre (Exportvolumen steigt langsam, Preise und damit Erlöse sinken aber) steckt eine ganze Reihe großer Herausforderungen für Rohstoffexporteure. Von einem raschen Rebound dieser Länder würde ich persönlich nicht ausgehen. Ganz im Gegenteil. Die Situation könnte sich noch dramatisch verschlechtern. Dazu mehr im zweiten Teil des Artikels.

Viel Erfolg

Clemens Schmale

Lernen, traden, gewinnen

– bei Deutschlands größtem edukativen Börsenspiel Trading Masters kannst du dein Börsenwissen spielerisch ausbauen, von professionellen Tradern lernen und ganz nebenbei zahlreiche Preise gewinnen. Stelle deine Trading-Fähigkeiten unter Beweis und sichere dir die Chance auf über 400 exklusive Gewinne!

Jetzt kostenlos teilnehmen!

Keine Kommentare

Du willst kommentieren?

Die Kommentarfunktion auf stock3 ist Nutzerinnen und Nutzern mit einem unserer Abonnements vorbehalten.

  • für freie Beiträge: beliebiges Abonnement von stock3
  • für stock3 Plus-Beiträge: stock3 Plus-Abonnement
Zum Store Jetzt einloggen

Das könnte Dich auch interessieren

Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

Mehr über Clemens Schmale
  • Makroökonomie
  • Fundamentalanalyse
  • Exotische Basiswerte
Mehr Experten