Kommentar
08:36 Uhr, 16.02.2015

Schuldenproblem? Nicht in China

Chinas Wirtschaft schockt im ersten Quartal mit schlechten Wachstumsdaten. Gleichzeitig ist das Kreditwachstum deutlich höher als das BIP Wachstum. Da muss es doch irgendwann zum großen Knall kommen, oder?

Chinas Wirtschaftswachstum verlangsamt sich weiter. Das dürfte nun eigentlich niemanden mehr überraschen. Der Trend ist nicht neu und wird von der Regierung auch verbal in regelmäßigen Abständen kommentiert. Dennoch macht sich die Welt immer noch Sorgen um die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt. Besonderen Grund zur Sorge geben zwei Faktoren. Einerseits ist da die Abschwächung des Wachstums. Andererseits ist das Kreditwachstum nach wie vor ungebremst.

Grafik 1 zeigt mehrere Wachstumsraten. Die rote Linie stellt das Kreditwachstum dar. 2014 lag es nach ersten Schätzungen bei 12,7%. Das Wirtschaftswachstum lag hingegen nur bei 7 bis 7,3%. Zwischen diesen beiden Wachstumsraten klafft eine große Lücke - und das sicherlich nicht zum ersten Mal. Seit 1977 lag das BIP Wachstum nur selten über dem Kreditwachstum. Die Folge davon ist einfach beschrieben: die Schulden wachsen schneller als das BIP. Die private Verschuldung hat inzwischen 150% der Wirtschaftsleistung angenommen. Die staatlichen Schulden sind hier nicht berücksichtig. Sie würden das Bild allerdings nicht wesentlich ändern, obwohl das Schuldenwachstum öffentlicher Körperschaften weniger hoch ist als das der Privatwirtschaft und der Privatpersonen.

In den vergangenen Wochen machen sich Beobachter vor allem über die Lücke zwischen BIP und Kreditwachstum Sorgen. Insbesondere ist die Verschuldung bei Unternehmen hoch, die mit dem Staat verbunden sind. Diese Schulden sind im Vergleich zu der Leistung des Unternehmens hoch. Trotzdem fallen Kredite so gut wie gar nicht aus. Das liegt an der indirekten Staatsgarantie. China will diese allerdings über die kommenden Jahre abbauen. Bisher ist das ausgeblieben. Fängt die Regierung damit an, dann könnten schnell hohe Summen ausfallen, weil die Unternehmen ihre Schulden allein nicht mehr tragen können.

Staatliche und mit dem Staat verbundene Unternehmen sind jedoch nur ein Teil der Wirtschaft. Man kann das Phänomen der indirekten Staatsgarantie nicht übertragen. Ebenso wenig sind gleich alle Unternehmenskredite schlecht. Und zu guter Letzt darf man auch eines nicht vergessen: Krediten stehen auch Werte gegenüber. Das wird in fast allen Betrachtungen und Analysen des chinesischen "Schuldenproblems" unterschlagen.

Grafik 1 zeigt auch das Wachstum des "Net Capital Stock." Der NCS ist die Summe aller produktiven Güter, Anlagen, Maschinen, Gebäude und Lager. Vereinfacht könnte man den NCS als Wiederbeschaffungswert sehen. Wollte man die chinesische Wirtschaft so, wie sie heute ist, replizieren, dann müsste man dafür den NCS zahlen.

Der NCS zeigt über die Jahre ein relativ hohes und stabiles Wachstum. Kredite wachsen teils deutlich schneller als das Vermögen. Im langjährigen Durchschnitt wächst der NCS allerdings mehr als die Schulden. Das gilt über viele Jahrzehnte. Das führt zu einem Ergebnis, wie man es in Grafik 2 sieht. Dort sind BIP, Kredit und NCS als Index abgebildet. Während Schulden im Vergleich zum BIP schneller wachsen, wächst unterm Strich das Vermögen noch schneller.

Will man wissen, ob es ein Schuldenproblem gibt, dann muss man den Schulden das Vermögen gegenüberstellen. Das tut Grafik 3. Hier sind die Schulden und der NCS in Prozent des BIPs dargestellt. Die Schulden wachsen schneller als der NCS. Das sollte allerdings nicht beunruhigen, da der NCS Schulden bereits berücksichtigt. Das Vermögen ist also überproportional gestiegen, zumindest zu Beginn der Zeitreihe. Inzwischen schafft Kredit immer noch mehr Vermögen als der Kredit kostet. Die Produktivität nimmt aber ab. Das zeigt Grafik 4. Hier sieht man, dass Kredit unproduktiver wird.

Der NCS lag einmal beim 4-fachen des Kreditvolumens. Heute ist es nur noch das Zweifache. Die Tendenz ist leicht fallend. Mit jedem Yuan neuen Kredits wird im Prinzip weniger neuer Wert geschaffen als noch vor einigen Jahren. China ist mit diesem Trend nicht alleine. Dieser Trend zeigt sich in allen Ländern, je industrialisierter sie werden. In den alten Industrieländern ist der NCS inzwischen stabil. Mehr Kredit schafft hier kaum noch zusätzlichen Wert. Insofern ist die Lage in China nicht beunruhigend und ganz normal.

China hat - entgegen aller Analysen - eine sehr komfortable Vermögenssituation. Die Situation würde sich jedoch ändern, wenn die Marktpreise massiv einbrechen würden. Es handelt sich beim NCS ja um Wiederbeschaffungswerte. Würde der Wert von Immobilien jetzt theoretisch auf Null fallen, dann kann der NCS auch rasch sinken. Immobilien machen einen Großteil des Vermögens aus. Sinken die Preise sehr stark, dann könnte der NCS theoretisch auch negativ werden.
Damit das in China der Fall ist, müsste China in eine Krise geraten, die schwerer als die Große Depression der 30er Jahre ist. Das ist momentan nicht zu befürchten. Man kann China schon ein Schuldenproblem andichten. Wer aufgrund

dessen allerdings in den nächsten Jahren große Probleme in China erwartet, der wird enttäuscht werden.

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4 Kommentare

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  • Jarakoff
    Jarakoff

    Liegt das Problem bei China nicht gerade im Immobiliensektor? Die Befürchtungen sind doch in erster Linie ein Platzen der Immobilienblase. Es sollen schließlich ganze Millionenstädte entstanden sein, welche jetzt nahezu unbewohnt sind. Die Immobilienpreise werden dort künstlich hoch gehalten, von Marktpreisen kann dort keine Rede sein.

    Chinas Problem sind nicht die Schulden generell, sondern die Schulden speziell im Immobiliensektor. Und am Immobiliensektor hängt letztlich fast das gesamte Wachstum der letzten Jahre.

    Ich denke es ist ein Fehler hier auf die Gesamtschuldenquoten zu schauen. Die Überschuldung im Immobiliensektor ist das Problem. Und diese soll angeblich um ein vielfaches höher sein als in den USA vor der Immobilienkrise. Eine Krise in China ist m.E. daher alles andere als ausgeschlossen...

    15:45 Uhr, 16.02.2015
  • Sylvio
    Sylvio

    Wie immer eine sehr gut geschriebene Analyse mit qualitativen hochwertigen Inhalt.

    09:03 Uhr, 16.02.2015
  • Xetrance
    Xetrance

    Danke für Ihre wirklich sehr informativen und angenehm sachlichen Beiträge Herr Schmale, die geben immer wieder Orientierung und rücken manch verquertes Bild wieder gerade. Weiter so!

    08:50 Uhr, 16.02.2015

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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