Kommentar
20:23 Uhr, 07.02.2014

Schuldenkrise: Ruhe vor dem Systemkollaps?

Ist die Schuldenkrise wirklich vorbei, wie viele inzwischen meinen oder ist die Sorglosigkeit der Märkte nur Dummheit? Diejenigen, die der Meinung sind, die Krise sei vorbei, denken sich „Glück gehabt, das ging noch einmal gut.“ Jene, die das dicke Ende noch kommen sehen, sind überzeugt, dass die Ruhe trügerisch ist.

Die Schuldenlast ist einfach zu groß, um da wieder herauszukommen. Unser Wirtschafts- und Geldsystem hat tatsächlich einen inhärenten Fehler. Früher oder später muss es zum Kollaps kommen. Ob dieser Zeitpunkt wirklich schon gekommen ist, darf bezweifelt werden. Und was bedeutet überhaupt Kollaps?

Was bedeutet Systemkollaps?

Systemkrise und Systemkollaps klingen dramatisch. Intuitiv hat da jeder ein Bild vor Augen. Was es aber konkret bedeutet, weiß niemand so wirklich. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt: Währungen verschwinden, Gold wird einziges Zahlungsmittel, Vermögen futsch, Geld wertlos. Viel kann passieren, daran besteht kein Zweifel. Kollaps ist aber nicht gleich Kollaps. Es gibt viele Wege, um mit einem Schuldenüberhang umzugehen. Hier wird bis heute zwischen Emerging Markets und Industrieländern unterschieden.

Ökonomen und Politiker sind sich überraschend einig, wenn es um die Unterscheidung zwischen Industrieländern und Entwicklungsländern geht. In den Industrieländern ist man der Meinung, dass sich Schuldenkrisen durch Sparprogramme, Wachstum und Aussitzen lösen lassen. Genau das passiert aktuell in Europa – mit Ausnahme von Wachstum und Betonung auf Aussitzen. Bei Entwicklungsländern wird weitläufig angenommen, dass es ohne Restrukturierung der Schulden nicht geht. Dazu kommen noch Währungsreform, hohe Inflation und Kapitalverkehrskontrollen.

Historisch gesehen wurde ein Schuldenüberhang fast immer mit den Methoden beseitigt, die man heute den Entwicklungsländern zuschreibt. Der Weg des Wachstums, Aussitzens und Sparens hat fast noch nie funktioniert. Genau das macht die Beharrlichkeit der Politiker so bemerkenswert. Das ist klar ein Fall von: diesmal ist alles anders. An der Börse wird eine solche Einstellung zum Verhängnis und ist die Formel für hohe Verluste. Und trotzdem wird darauf beharrt: diesmal ist es anders. Dabei wird vergessen, wie häufig Industrieländer schon zu den Mitteln Schuldenschnitt usw. gegriffen haben. Griechenland entschuldete sich in den 1930er Jahren, indem die Zinsen auf Schulden um 75% reduziert wurden. Anfang der 1940er Jahre kam es zur Hyperinflation. Damit war der Rest der Schulden de facto wertlos. Um den Ersten Weltkrieg zu finanzieren, liehen sich viele Staaten in Europa Geld von den USA. Zinsen wurden in der Folge größtenteils gestundet. Letztlich wurden fast alle Schulden bis 1934 komplett erlassen. Das waren ca. 11 Mrd. USD, was 16% des damaligen US BIPs ausmachte. Japan konnte die Schulden aus dem Zweiten Weltkrieg nicht zurückzahlen. Auslandsschulden wurden nicht beglichen. Im Inland gehaltene Schulden wurden weginflationiert. In den USA kam es zu einem „heimlichen“ Haircut, indem der Goldanteil des USD um 40% reduziert wurde.

Die Liste an Zahlungsunfähigkeit, Bankrott, Schuldenschnitt, Hyperinflation usw. lässt sich fast beliebig fortführen. Alle 50 bis 100 Jahre scheint eine Reduktion der Schuldenlast fast unumgänglich zu sein. Japan hält momentan noch überraschend gut durch. Hier wäre es eigentlich schon längst mal wieder Zeit für einen Schuldenschnitt. Wenn man bedenkt, dass die Restrukturierung nach dem Zweiten Weltkrieg von weniger als 100% Schuldenquote zum BIP ausging, ist das Durchhalten auf aktuellem Level absolut bemerkenswert.

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Ob man den historischen Verlauf der Staatsschulden in Japan oder den USA betrachtet, ist eigentlich irrelevant. Die Systematik ist immer dieselbe. Die Schulden explodieren, es kommt irgendwann zu einem Schuldenschnitt oder ähnlichem, die Schulden sinken, dann steigen sie wieder, bis es dann von vorne beginnt. Da fragt man sich schon, wie Investoren auf die Idee kommen können, einem Staat Geld auf 30 Jahre oder mehr zu leihen.

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Der Schuldenverlauf ist zyklisch. Das zeigen nicht nur die historischen Daten. Es ist, wie gesagt, ein inhärenter Systemfehler. Es gibt allerdings kein Patenrezept für die Überwindung des Schuldenüberhangs. Das Arsenal an Möglichkeiten ist groß: Inflation, Wachstum, Sparen, Schuldenschnitt, Restrukturierung, Währungsreform, finanzielle Repression. Einige der Instrumente können für sich allein zum Erfolg führen (z.B. Inflation), andere wiederum sind ohne Begleitmaßnahmen wirkungslos (Aussitzen). Viele haben bei der Diskussion um den Systemkollaps lediglich Schuldenerlass und Währungsreform im Sinn. Wer Systemkollaps so definiert, wird meiner Meinung nach in Europa keinen großangelegten Kollaps erleben. Es wird allerdings einen anderen geben.

Hohe Schulden=Kollaps?

Währungsreform und ein Default wie es ihn in Argentinien gab, sind die Mittel, die zum Einsatz kommen, wenn es wirklich gar nicht mehr anders geht. Hier ist es aber meist nicht nur der absolute Schuldenstand, der zur Zahlungsunfähigkeit führt, sondern vielerlei Begleitumstände. In Argentinien und anderen Entwicklungsländern war ein Mangel an Devisenreserven oft für den Bankrott mit verantwortlich. Da ein Großteil der Schulden in Fremdwährungen ausgegeben wurde, ist Devisenmangel natürlich ungünstig.

Es ist selten der absolute Schuldenstand, der Staaten in die Zahlungsunfähigkeit drängt. Das zeigt sich z.B. auch in Spanien. Das aktuelle Niveau der Staatsschulden ist historisch gesehen eher im Mittelfeld. Spanien war mehrmals nicht in der Lage, die Gesamtschulden zurückzuzahlen. Das fiel aber nicht notwendigerweise mit den Zeiten zusammen, da die Schulden am höchsten waren. Um die vorige Jahrhundertwende konnte Spanien aus eigener Kraft die Schulden reduzieren, während hingegen in den 1930er Jahren auf niedrigerem Gesamtschuldenniveau Zinsen gestundet werden mussten.

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Es gibt natürlich einen unbestreitbaren Zusammenhang von Höhe der Schulden und Ausfallwahrscheinlichkeit. Es gibt jedoch kein festgeschriebenes Niveau, ab dem man unbedingt mit einem Default rechnen muss. Das zeigen Spanien und Japan. Auch in den USA gab es eine Phase der Konsolidierung, die ganz ohne Schuldenschnitt auskam. Nach dem Zweiten Weltkrieg stieg der Schuldenstand auf über 120% des BIP. Die Staatsschulden konnten in den Folgejahren unter 40% des BIPs gedrückt werden – wie gesagt, ganz ohne Default.
Anzunehmen bzw. zu verkünden, wir stünden unmittelbar vor einem dramatischen Systemkollaps mit Währungsreform und Gold als einzigem Zahlungsmittel, ist daher bestenfalls naiv. Keine Frage, der Schuldenstand ist erhöht, aber pauschal bei Verschuldungsquoten von 90 oder 120% zu behaupten, der Ofen sei aus, ist schon etwas gewagt. Auch wer meint, wir seien weltweit so stark verschuldet, dass alles den Bach runter gehen muss, liegt wahrscheinlich falsch. Der IWF veröffentliche unlängst ein interessantes Paper, indem der Weltschuldenstand geschätzt wird. Demnach liegen wir aktuell auf dem Niveau von 1946, aber noch deutlich unter dem Höchststand von 1821. Bezieht man dann noch die Entwicklungsländer mit ein, stellt man sogar fest, dass wir aktuell in einer Zeit leicht erhöhter Schulden leben, aber keineswegs in Zeiten überbordender und maßloser Verschuldung.

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Vielleicht kommt die Wahrnehmung der Hoffnungslosigkeit bei den Schuldenbergen aus der jüngeren Historie. Wer sich an den vergangenen 40 Jahren orientiert, bekommt wohl wirklich Herzrasen. Vor 40 Jahren waren die Staaten dieser Welt mit nicht einmal 40% des BIPs verschuldet.

Damit will ich jetzt nicht sagen, dass alles in bester Ordnung ist. Ich denke aber, die längere Zeitreihe hilft, die Perspektive zurecht zu rücken. Jetzt kommt’s aber: wir stecken trotz des lediglich leicht erhöhten Schuldenstandes mitten im Kollaps. Nicht dem Kollaps mit Währungsreform, aber in einem „weicheren.“ Es scheint nur niemand zu merken. Was es mit diesem unbemerkten Systemkollaps auf sich hat, können Sie in zwei Wochen an dieser Stelle lesen und auf meinem Expertendesktop diskutieren: http://go.guidants.com/#c/clemens_schmale

Beste Grüße

Clemens Schmale

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1 Kommentar

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  • manuelperez
    manuelperez

    Kann man so sehen, wenn man unbedingt will. Aber es ist einfach völlig neben der Spur. Wenn manche Leute sich verspekuliert haben, reicht man immer noch solche Meinungen nach. Nach dem Motto, der Markt ist anders gelaufen, aber ich hätte eigentlich Recht haben müssen.

    Stiglitz, Nourini, Krugman, lesen Sie mal alles, was die so geschrieben haben!

    21:44 Uhr, 07.02.2014

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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