Scholz: Lieferkettengesetz ist aus dem Ruder geraten
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Von Andreas Kißler
BERLIN (Dow Jones) - Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat schnelle Erleichterungen für Unternehmen von Berichtspflichten beim Lieferkettengesetz angemahnt. "Wir müssen zugestehen, dass bei dem bisherigen Gesetz etwas passiert ist, was ich jedenfalls sagen kann, sich der Gesetzgeber nicht so gedacht hatte, nämlich umfassende Berichtspflichten ohne bekannte Probleme", sagte Scholz bei der Jahreskonferenz des Rates für Nachhaltige Entwicklung. "Das ist ein bisschen aus dem Ruder geraten, muss man auch einfach mal sagen. Und deshalb müssen wir mit dem, was wir da machen, das in Ordnung kriegen", betonte Scholz.
Man werde das deutsche Recht schnell an das künftige europäische Recht anpassen, sodass nicht alle mehr stöhnen müssten, "dass sie mehr machen müssen, wenn es sowieso in Zukunft anders ist", kündigte der Kanzler an. Unternehmen sollten nicht zweimal berichten müssen. "Wenn man jetzt die Nachhaltigkeitsberichterstattung, die ja auch EU-rechtlich vorgeschrieben ist, macht, hat man praktisch den wichtigsten Teil schon erledigt", sagte Scholz. "Und jetzt müssen wir uns die noch einmal angucken." Wieso sei aus dieser Nachhaltigkeitsberichterstattung geworden, "dass man 300 Berichtspunkte ausfüllen muss?", fragte Scholz. Dies werde für Gegnerschaft und fehlenden Konsens sorgen. "Deshalb muss das auf ein vernünftiges Maß reduziert werden."
In seiner Rede bei der Konferenz appellierte Scholz an den Zusammenhalt der Gesellschaft. "Das Gebot der Stunde heißt mehr Zusammenarbeit und mehr Dialog", sagte er. Die Wechselbeziehung zwischen dem Zusammenhalt und dem nachhaltigen Erfolg einer Gesellschaft liege ziemlich eindeutig auf der Hand. "Alle Diskurse zu Zerrissenheit, Polarisierung und angeblich fehlendem Zusammenhalt in Deutschland beschreiben allenfalls eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite dieser Medaille aber steht, so weit liegen wir in Deutschland in zentralen Fragen gar nicht auseinander", meinte er. So sei die ganz große Mehrheit für Klima- und Naturschutz und wolle dies zugleich ohne Überforderung. Die ganz große Mehrheit sei pro Arbeitskräfte aus dem Ausland und zugleich Kontrolle der irregulären Migration.
Rohstoffe mit besten Bedingungen fördern
Wolle man moderne Mobilität, müsse man auch möglich machen, dass die dazu notwendigen Rohstoffe gefördert und verarbeitet würden, aber sicherstellen, dass das "mit den besten Bedingungen geschieht, die man sich vorstellen kann", sagte Scholz. "Wenn wir viele Elektrofahrzeuge in Deutschland und Europa sehen wollen, dann werden wir den Bergbau nicht auf die übrige Welt beschränken können." Das habe auch Konsequenzen für Deutschland. "Wenn wir uns freuen, dass in Serbien Lithium abgebaut wird, müssen wir uns auch freuen, dass das in Freiberg und gleich hinter der Grenze in Tschechien auch passiert." Das sei auch ein Teil der Wirklichkeit, bei dem man klar sein müsse.
Mit Blick auf die Energiewende betonte Scholz, Deutschland sei "praktisch auf dem Track, um 2030 80 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien herzustellen". Weil die Dekarbonisierung der Industrie mit mehr Elektrifizierung verbunden sein werde, werde es dann zudem noch mehr Strom sein. "Und das ist, glaube ich, auch der große Schritt, den wir jetzt gehen müssen, dass wir das Tempo beibehalten", sagte er. Das wichtigste Hindernis für einen Ausbau erneuerbarer Energien sei die vollständige Vernachlässigung des Stromnetzausbaus. "Deshalb muss das Tempo beim Übertragungsnetzausbau weiter zunehmen", forderte Scholz. "Wir sind immerhin jetzt schneller, als die Pläne in der Vergangenheit waren."
Völlig unterschätzt werde aber, dass man nicht nur den Übertragungsnetzausbau hinkriegen müsse, sondern auch den Anschluss vor Ort. Die Gesetze ständen dem nicht mehr im Wege, betonte Scholz. "Es ist nur noch die Fähigkeit von etwa 900 Verteilnetzbetreibern, sich wirtschaftlich so aufzustellen, dass sie das machen - übrigens in einem Feld, wo die Einnahmen garantiert sind." Man müsse aber bereit sein, sich so aufzustellen, dass man sofort liefern könne, das Management umstellen und möglicherweise auch die Eigenkapitalstruktur des Unternehmens ändern.
Kontakt zum Autor: andreas.kissler@wsj.com
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