Kommentar
12:20 Uhr, 30.01.2019

Schlechte Nachrichten aus Europa

Europa geht es so schlecht wie schon lange nicht mehr. Ist das nur ein vorübergehendes "Formtief"?

  • Das Wirtschaftswachstum des Euroraums ist hinter dem der USA stark zurück-
  • Das hat nicht nur wirtschaftliche, sondern vor allem auch politische Gründe.
  • Eine Verbesserung ist nicht so schnell zu erwarten.

Als die Chefin des Internationalen Währungsfonds, Chris­tine Lagarde, Anfang voriger Woche in Davos ihre neue Prognose für die Weltwirtschaft vorstellte, verschlug es mir fast den Atem. Sie zählte fünf Länder auf, die mit ihrer schlechten Performance das globale Wachstum in diesem Jahr herunterziehen würden. Dass sie dabei Mexiko und die Türkei erwähnte, kam nicht wirklich überraschend. Dass Frankreich und Italien dabei waren, war auch nicht ganz unerwartet.

Der Hammer aber war: Die größte Revision nach unten nahm der IWF für Deutschland vor. Die Wachstumsrate wurde hier um mehr als einen halben Prozentpunkt zurück­genommen: Von 1,9 % auf 1,3 %. Die Bundesrepublik wur­de damit zur lahmen Ente der Weltwirtschaft degradiert.

Nun handelt es sich hier nicht um Fakten, sondern um Prog­nosen, in denen natürlich viel Unsicherheit steckt. Die Vor­hersage des Fonds vom letzten Oktober war schon damals von vielen Experten als zu hoch angesehen worden. Sie musste in jedem Fall nach unten korrigiert werden. Ande­rerseits ist der IWF mit seiner neuen Prognose noch keineswegs an das unterste denkbare Ende gegangen. Es gibt Vorhersagen, die das deutsche Wachstum noch deut­lich niedriger ansetzen.

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Hinter der Prognose des IWFs steckt jedoch nicht nur ein deutsches Problem. Auch der Euroraum insgesamt kommt schlecht weg. Schauen Sie sich die Grafik an. Sie zeigt, dass 2017 sowohl die USA als auch Europa noch etwa gleich schnell gewachsen sind. Seitdem hat Amerika spür­bar an Dynamik zugelegt. Der Euroraum ist dagegen kräftig zurückgefallen. Es ist eine Lücke entstanden, die sich we­nige in dieser Größenordnung hatten vorstellen können.

Sie liegt zum Teil daran, dass die USA ihr Wachstum durch Steuersenkungen kräftig ankurbelten. Darüber hinaus hat sich aber auch das europäische Wachstum stark abgeschwächt. Lange Zeit haben sich die Experten auf dem Kontinent schwer damit getan, das Ausmaß und die Bedeutung dieses Rückschlags anzuerkennen. Jetzt kann aber kein Zweifel mehr daran bestehen.


Ich habe den Eindruck, dass es im Augenblick auf den Finanzmärkten zu viel Pessimismus gibt.


Zwei Gründe sind dafür verantwortlich. Wirtschaftlich war es der Dieselskandal vor allem in Deutschland und die Einfüh­rung des neuen WLTP-Verfahrens zur Abgasmessung von Autos. Das hat sehr viel länger gedauert, als die Fachleute vermutet hatten. Es ist bis jetzt noch nicht abgeschlossen. Es ist erstaunlich, wie stark sich Probleme in einem – zuge­geben wichtigen – Sektor auf die Gesamtwirtschaft auswir­ken.

Wichtig war daneben aber, dass es in einer Reihe von Staa­ten unerwartete politische Probleme gab. Zu nennen ist hier natürlich der immer noch ungeklärte Brexit. Dazu kamen im letzten Herbst in Frankreich die Demonstrationen der "gelben Westen", die den Reformkurs der Regierung Macron durcheinanderbrachten und zu Produktionsausfällen führ­ten. Der Streit zwischen Brüssel und Rom über die Einhal­tung der Maastricht-Kriterien trieb die Zinsen für italienische Staatsanleihen nach oben. In Deutschland haben die Ausei­nandersetzungen unter den Regierungsparteien und der Rücktritt der Bundeskanzlerin vom Parteivorsitz zu einem Nahezu-Stillstand der Politik geführt. Die Unzufriedenheit in der Wirtschaft wuchs. Die Bereitschaft zu einer umfas­senden Steuerreform, von der neue Dynamik ausgehen könnte, ist nicht zu erkennen.

Es sind aber nicht nur Probleme in einzelnen Ländern. Die gesamte Zusammenarbeit in der Gemeinschaft stockt. Nichts geht mehr in Brüssel. Symptomatisch war in der letz­ten Woche das Auftreten der Regierungschefs verschiede­ner Mitgliedstaaten der EU in Davos. Sie machten sich auf offener Bühne gegenseitig Vorwürfe über so wichtige Dinge wie die Verteilung von Flüchtlingen, über rechtsstaatliche Reformen in einzelnen Ländern, über die Steuerpolitik, die fiskalpolitische Disziplin oder über die Fortschritte beim Ausbau der Reformen im Euroraum. Von einem gemeinsa­men europäischen Interesse war nichts zu sehen. Frank­reich und Italien, die sich bisher stets in ihrer Opposition zu Deutschland einig waren, haben sich zerstritten, nach­dem Rom die Gelbwesten in Paris unterstützt. Wie soll da Schwung in Europa aufkommen? Jedenfalls sind es Töne, die ich in europäischen Diskussionen so schon lange nicht mehr gehört habe.

Tröstlich ist nur, dass der Euro von all dem nicht betroffen ist. Er funktioniert. Gut ist auch, dass es keine Solvenzpro­bleme in einzelnen Ländern gibt, wie das in der großen Eu­rokrise der Fall war. Im Gegenteil, Griechenland geht in die­sen Tagen an den Kapitalmarkt und nimmt zum ersten Mal wieder private Mittel auf.

Wirtschaftliche Schwächeperioden sind meist vorüberge­hend. In jedem Fall gibt es genügend Instrumente zur Be­kämpfung. Bei politischen Auseinandersetzungen ist das schwieriger. Da gibt es keine Standardrezepte. Es bräuchte in dieser Situation glaubwürdige Persönlichkeiten oder Insti-tutionen, die die Initiative ergreifen und zu einer gemeinsa­men Haltung führen könnten. Ich sehe da leider niemanden. Die Europäische Zentralbank verfügt zwar inzwischen auch über einen politischen Vertrauensbonus, sie kann hier aber nicht helfen. Zu der Konfusion trägt auch bei, dass in die­sem Jahr nicht nur das Europäische Parlament gewählt wird, sondern auch viele wichtige Personalentscheidungen anstehen. Das beschränkt die Handlungsmöglichkeiten noch mehr.

Für den Anleger

Insgesamt sieht es in Europa derzeit nicht gut aus. Die kon­junkturelle Schwäche und die politische Uneinigkeit färben natürlich auch auf die Stimmung an den Finanzmärkten ab. Man sollte daher Anlagen diversifizieren und angesichts der bestehenden Wachstumsdifferenzen auch in den USA in­vestieren. Andererseits Vorsicht vor Übertreibungen. Ich habe den Eindruck, dass es im Augenblick auf den Finanz­märkten zu viel Pessimismus gibt. Jedenfalls die wirtschaft­liche Stimmung dürfte sich im Laufe des Jahres bessern.


Anmerkungen oder Anregungen? Ich freue mich auf den Dialog mit Ihnen: martin.huefner@assenagon.com.

Dr. Martin W. Hüfner, Chefvolkswirt von Assenagon Asset Management S.A.

14 Kommentare

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  • franca
    franca

    An HighrolIer

    ...nur mal so zum nachdenken:

    Ein Schuldenberg aus 250 Billionen € entspricht der mehr als 3500-fachen Menge an Gold, die in der gesamten Menschheitsgeschichte bisher gefördert worden sind (Referenzkurs 1kg Gold = 35.000,- €

    Oder anders herum: Für den Gegenwert der 250 Billionen € könnte man sich zum heutigen Goldpreis einen Goldwürfel mit der Kantenlänge von 420 m kaufen…!

    11:14 Uhr, 31.01.2019
  • 1 Antwort anzeigen
  • Brigand
    Brigand

    "Tröstlich ist nur, dass der Euro von all dem nicht betroffen ist. Er funktioniert. Gut ist auch, dass es keine Solvenzpro­bleme in einzelnen Ländern gibt, wie das in der großen Eu­rokrise der Fall war."

    - Ja, sehr tröstlich.... 😀 und die Inflation liegt auch nur bei 1%. Alles nur vorübergehend. Da kann man ja beruhigt wieder vor allem in den europäischen Aktienmarkt einsteigen.

    13:27 Uhr, 30.01.2019
  • 1 Antwort anzeigen
  • 1 Antwort anzeigen
  • The Secessionist
    The Secessionist

    Bitte genau lesen !

    Das beginnt der Markt gerade langsam ( siehe Gold ) einzupreisen !

    12:39

    12:44 Uhr, 30.01.2019
  • The Secessionist
    The Secessionist

    Mit Verlaub ..... 250 Billionen Weltschulden ohne Derivate , sind nicht Rückzahlbar ! Die Zinskosten werden bald vorallem in Usa die Einnahmen übersteigen ! Einzige Lösung ... monetarisierung also Währungssystem Kollaps ! Das beginnt der Markt gerade langsam ( siehe Gold ) einzupreisen !

    12:39 Uhr, 30.01.2019
    2 Antworten anzeigen