Kommentar
10:35 Uhr, 22.10.2013

Schadet die große Koalition der Demokratie?

Union und SPD haben im neuen Bundestag rund 80% der Sitze – und dürften damit die parlamentarische Arbeit so stark dominieren wie kaum eine Regierungskoalition zuvor. Linke und Grüne sind künftig die einzigen im Bundestag verbliebenen Oppositionsparteien.

Heute ab 11.00 Uhr kommt der Bundestag zu seiner ersten Sitzung nach der Bundestagswahl, der sogenannten konstituierenden Sitzung, zusammen. Die Minister der Bundesregierung erhalten außerdem heute Nachmittag vom Bundespräsidenten ihre Entlassungsurkunden – und bleiben geschäftsführend weiter im Amt, bis die neue Regierung steht.

Nach aller Wahrscheinlichkeit wird es nach den Koalitionsverhandlungen zu einer großen Koalition kommen. Union und SPD haben im neuen Bundestag rund 80% der Sitze – und dürften damit die parlamentarische Arbeit so stark dominieren wie kaum eine Regierungskoalition zuvor. Linke und Grüne sind künftig die einzigen im Bundestag verbliebenen Oppositionsparteien. Man muss kein Anhänger dieser beiden Parteien sein, um die schwachen Rechte der Opposition im neuen Bundestag zu bedauern. Wegen der geringen Sitzanzahl kann die neue Opposition voraussichtlich keinen Untersuchungsausschuss mehr einberufen, keine Normenkontrollklage vor dem Bundesverfassungsgericht erzwingen und keine Sondersitzung des Bundestags mehr einberufen lassen. Es sind auch in Union und SPD bereits Forderungen laut geworden, die Geschäftsordnung des Bundestags oder gar die Verfassung zu ändern, um auch der neuen Opposition einige dieser Rechte einzuräumen. Ob es tatsächlich dazu kommen wird, bleibt aber abzuwarten.

Eine Demokratie lebt auf jeden Fall davon, dass auch abweichende Meinungen gehört werden. Im neuen Bundestag dürfte hingegen die schwarz-rote Regierung hauptsächlich einen Monolog mit sich selbst führen. Denn von jeder Stunde Redezeit steht der Opposition nach dem bisherigen Proporz lediglich zwölf Minuten zu. Berücksichtigt man dann noch, dass die neue Regierung wegen der SPD-Beteiligung ohnehin weiter links stehen dürfte als die bisherige Bundesregierung und im Bundestag nur noch „linke“ Oppositionsparteien zu finden sind, darf man nicht überrascht sein, wenn die Opposition bald überhaupt keine Rolle mehr spielt.

Bisher haben von einer großen Koalition immer die Oppositionsparteien profitiert. Bei der nächsten Wahl konnten sie immer einen Stimmenzuwachs verbuchen, während die Regierungsparteien abgestraft wurden. Es bleibt zu hoffen, dass es in vier Jahren ähnlich sein wird. Eine große Koalition, vor allem mit einer so großen Mehrheit wie im aktuellen Bundestag, sollte immer die absolute Ausnahme bleiben. Andernfalls besteht nicht nur die Gefahr, dass abweichende Meinungen in der politischen Diskussion kein Gehör mehr finden, sondern auch, dass der Wählerwille nicht mehr ausreichend berücksichtigt wird.

Im neuen Bundestag verfügen Union und SPD locker über die geforderte Zwei-Drittel-Mehrheit, um jede Verfassungsänderung durchzuwinken. Auch im Bundesrat können Union und SPD – je nach dem Abstimmungsverhalten der Länder – viel leichter eine Zwei-Drittel-Mehrheit auf die Beine stellen als es der bisherigen Regierung möglich war. Besonders im Zusammenhang mit der Euro-Rettung und der drohenden Abgabe weiterer Souveränitätsrechte an Europa kann einem da nur angst und bange werden. Ein Ausweg wäre sicher eine Änderung des Grundgesetzes, die künftige Grundgesetzänderungen schwieriger macht. Ähnlich wie in der Schweiz könnte beispielsweise eine Regel eingeführt werden, dass Verfassungsänderungen nicht nur von Bundestag und Bundesrat mit Zwei-Drittel-Mehrheit angenommen werden müssen, sondern dass auch die Bevölkerung in einem Volksentscheid zustimmen muss. Dass es zu einer solchen Grundgesetzänderung unter der künftigen schwarz-roten Bundesregierung kommen wird, ist aber leider sehr utopisch.

Oliver Baron

Keine Kommentare

Du willst kommentieren?

Die Kommentarfunktion auf stock3 ist Nutzerinnen und Nutzern mit einem unserer Abonnements vorbehalten.

  • für freie Beiträge: beliebiges Abonnement von stock3
  • für stock3 Plus-Beiträge: stock3 Plus-Abonnement
Zum Store Jetzt einloggen

Das könnte Dich auch interessieren

Über den Experten

Oliver Baron
Oliver Baron
Experte für Anlagestrategien

Oliver Baron ist Finanzjournalist und seit 2007 als Experte für stock3 tätig. Er beschäftigt sich intensiv mit Anlagestrategien, der Fundamentalanalyse von Unternehmen und Märkten sowie der langfristigen Geldanlage mit Aktien und ETFs. An der Börse fasziniert Oliver Baron besonders das freie Spiel der Marktkräfte, das dazu führt, dass der Markt niemals vollständig vorhersagbar ist. Der Aktienmarkt ermöglicht es jedem, sich am wirtschaftlichen Erfolg der besten Unternehmen der Welt zu beteiligen und so langfristig Vermögen aufzubauen. In seinen Artikeln geht Oliver Baron u. a. der Frage nach, mit welchen Strategien und Produkten Privatanleger ihren Börsenerfolg langfristig maximieren können.

Mehr über Oliver Baron
  • Anlagestrategien
  • Fundamentalanalyse
  • Value Investing und Momentum-Ansatz
Mehr Experten