Schadet die große Koalition der Demokratie?
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Heute ab 11.00 Uhr kommt der Bundestag zu seiner ersten Sitzung nach der Bundestagswahl, der sogenannten konstituierenden Sitzung, zusammen. Die Minister der Bundesregierung erhalten außerdem heute Nachmittag vom Bundespräsidenten ihre Entlassungsurkunden – und bleiben geschäftsführend weiter im Amt, bis die neue Regierung steht.
Nach aller Wahrscheinlichkeit wird es nach den Koalitionsverhandlungen zu einer großen Koalition kommen. Union und SPD haben im neuen Bundestag rund 80% der Sitze – und dürften damit die parlamentarische Arbeit so stark dominieren wie kaum eine Regierungskoalition zuvor. Linke und Grüne sind künftig die einzigen im Bundestag verbliebenen Oppositionsparteien. Man muss kein Anhänger dieser beiden Parteien sein, um die schwachen Rechte der Opposition im neuen Bundestag zu bedauern. Wegen der geringen Sitzanzahl kann die neue Opposition voraussichtlich keinen Untersuchungsausschuss mehr einberufen, keine Normenkontrollklage vor dem Bundesverfassungsgericht erzwingen und keine Sondersitzung des Bundestags mehr einberufen lassen. Es sind auch in Union und SPD bereits Forderungen laut geworden, die Geschäftsordnung des Bundestags oder gar die Verfassung zu ändern, um auch der neuen Opposition einige dieser Rechte einzuräumen. Ob es tatsächlich dazu kommen wird, bleibt aber abzuwarten.
Eine Demokratie lebt auf jeden Fall davon, dass auch abweichende Meinungen gehört werden. Im neuen Bundestag dürfte hingegen die schwarz-rote Regierung hauptsächlich einen Monolog mit sich selbst führen. Denn von jeder Stunde Redezeit steht der Opposition nach dem bisherigen Proporz lediglich zwölf Minuten zu. Berücksichtigt man dann noch, dass die neue Regierung wegen der SPD-Beteiligung ohnehin weiter links stehen dürfte als die bisherige Bundesregierung und im Bundestag nur noch „linke“ Oppositionsparteien zu finden sind, darf man nicht überrascht sein, wenn die Opposition bald überhaupt keine Rolle mehr spielt.
Bisher haben von einer großen Koalition immer die Oppositionsparteien profitiert. Bei der nächsten Wahl konnten sie immer einen Stimmenzuwachs verbuchen, während die Regierungsparteien abgestraft wurden. Es bleibt zu hoffen, dass es in vier Jahren ähnlich sein wird. Eine große Koalition, vor allem mit einer so großen Mehrheit wie im aktuellen Bundestag, sollte immer die absolute Ausnahme bleiben. Andernfalls besteht nicht nur die Gefahr, dass abweichende Meinungen in der politischen Diskussion kein Gehör mehr finden, sondern auch, dass der Wählerwille nicht mehr ausreichend berücksichtigt wird.
Im neuen Bundestag verfügen Union und SPD locker über die geforderte Zwei-Drittel-Mehrheit, um jede Verfassungsänderung durchzuwinken. Auch im Bundesrat können Union und SPD – je nach dem Abstimmungsverhalten der Länder – viel leichter eine Zwei-Drittel-Mehrheit auf die Beine stellen als es der bisherigen Regierung möglich war. Besonders im Zusammenhang mit der Euro-Rettung und der drohenden Abgabe weiterer Souveränitätsrechte an Europa kann einem da nur angst und bange werden. Ein Ausweg wäre sicher eine Änderung des Grundgesetzes, die künftige Grundgesetzänderungen schwieriger macht. Ähnlich wie in der Schweiz könnte beispielsweise eine Regel eingeführt werden, dass Verfassungsänderungen nicht nur von Bundestag und Bundesrat mit Zwei-Drittel-Mehrheit angenommen werden müssen, sondern dass auch die Bevölkerung in einem Volksentscheid zustimmen muss. Dass es zu einer solchen Grundgesetzänderung unter der künftigen schwarz-roten Bundesregierung kommen wird, ist aber leider sehr utopisch.
Oliver Baron
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