Kommentar
09:53 Uhr, 21.09.2005

Rohöl: OPEC zeigt guten Willen, ist aber machtlos

1. Die OPEC hat auf ihrem zweitägigen Treffen in Wien beschlossen, ab Oktober für drei Monate die Produktion bei Bedarf auf das Maximum auszuweiten. Dies betrifft insbesondere Saudi Arabien, eines der wenigen Länder, das noch über freie Kapazitäten verfügt. Saudi Arabien selbst hat allerdings erklärt, dass man davon ausgeht, dass es kaum Nachfrage für zusätzliches Rohöl geben wird.

2. Damit hat die OPEC wohl den elegantesten Weg aus dem Dilemma der vergangenen Wochen gefunden. Fakt ist, dass der Markt momentan kein zusätzliches Rohöl braucht, denn die tatsächlichen Engpässe bestehen auf der Produktseite. Die durch Hurrikan Katrina bedingten Produktionsausfälle waren zwar beträchtlich und dürften sich noch deutlich länger hinziehen als ursprünglich angenommen. Dennoch sind zwei Punkte zu bedenken: Erstens befanden sich die Rohöllagerbestände bereits vor dem Sturm auf einem vergleichsweise hohen Niveau. Zweitens hat die Internationale Energieagentur durch eine konzertierte Aktion ihrer Mitgliedstaaten bereits den Verkauf von 60 Millionen Barrels Öl aus den strategischen Reserven angeordnet. Davon sind allein 40 Mio. Barrels Rohöl, beim Rest handelt es sich um Produkte. Dies sollte vorerst ausreichen, um einen weiteren starken Ölpreisanstieg zu verhindern. Zusätzliches Rohöl aus Quellen der OPEC wird also schon aus diesem Grund nicht benötigt.

Darüber hinaus hat aber auch die Auktion von 30 Mio. Barrels Rohöl aus den strategischen Reserven der USA deutlich gezeigt, dass die Rohölnachfrage mehr als gedeckt ist. Von den zum Verkauf angebotenen 30 Mio. Barrels wurden lediglich 11 Mio. Barrels verkauft. Davon wiederum waren 10,8 Mio. Barrels schwefelarmes Rohöl (sweet). Von den zum Verkauf angebotenen 15 Mio. Barrels schwefelhaltigem Rohöl (sour) wurden hingegen lediglich 200.000 Barrels nachgefragt. Da die Menge an leichten Produkten wie Benzin oder Diesel, die sich aus schwefelhaltigerem Rohöl herstellen lassen, deutlich geringer ist als jene aus schwefelarmem Rohöl und da die Raffineriekapazitäten aufgrund der umfangreichen Schäden ohnehin ausgesprochen knapp bemessen sind, wird zusätzliches schwefelhaltiges Rohöl kaum nachgefragt. Da es sich bei den noch verfügbaren Kapazitäten der OPEC nun aber größtenteils um schwefelhaltigere Sorten handelt, ist die Wahrscheinlichkeit ausgesprochen groß, dass die OPEC auf zusätzlich am Markt zur Verfügung gestellten Mengen sitzen bleiben würde.

3. Dennoch war der politische Druck auf die OPEC groß. Insbesondere der britische Finanzminister Gordon Brown hat in den vergangenen Tagen lautstark nach einer Erhöhung der OPEC-Produktion verlangt, um damit einen Rückgang des Ölpreises herbeizuführen. Zudem machte er die Förderpolitik der OPEC für die aktuelle Ölmarkt-Misere verantwortlich. Auch wenn dies jeglichen Realitätssinnes vollkommen entbehrt, stieg damit zumindest der politische Druck auf die OPEC. Durch die heutige Entscheidung hat sich die OPEC nun doch recht elegant aus der Affäre gezogen. Einerseits stellt sie klar, dass sie jegliche Nachfrage nach OPEC-Öl befriedigen wird. Wenn diese allerdings nicht vorhanden ist, was mit großer Wahrscheinlichkeit der Fall sein wird, wird sie die Produktion nicht zwangläufig ausweiten.

4. Kurzfristig dürfte die Entscheidung der OPEC wenig Einfluss auf die Ölpreisentwicklung haben, denn aktuell sorgt bereits wieder der nächste potenzielle Hurrikan namens Rita, der diesmal Texas treffen könnte, für Nervosität an den Ölmärkten. Mittelfristig könnte die Aufhebung der Förderquoten allerdings Spekulationen schüren, dass nun weltweit überhaupt keine freien Kapazitäten mehr zur Verfügung stehen, die im Falle von weiteren Produktionsausfällen angezapft werden könnten. Dies könnte schließlich wieder für zusätzlichen Preisdruck sorgen.

5. Was die weitere Ölpreisentwicklung betrifft, so sehen wir weiterhin wenig Potenzial für deutliche Preisrückgänge. Zwar ist in den nächsten Wochen davon auszugehen, dass die Rohöllagerbestände nach den anfänglichen Rückgängen aufgrund der Hurrikan-bedingten Produktionsausfälle wieder deutlich steigen werden. Neben der teilweisen Freigabe der strategischen Reserven dürfte auch die Tatsache, dass vier sturmgeschädigte Raffinerien mindestens bis zum Jahresende ausfallen werden, dafür sorgen. Dadurch dürfte die Rohölnachfrage leicht gedämpft werden. Der zu erwartende vergleichsweise kräftige Anstieg der Rohöllagerbestände kann im vierten Quartal zumindest vorübergehend zu leichten Preisrückgängen beitragen. Diese sollten aber sowohl von der Dauer also auch vom Ausmaß begrenzt sein.

6. Im nächsten Jahr rechnen wir dann allerdings mit deutlichen Preisanstiegen. Solange weltweit kaum noch ein Sicherheitspuffer an freien Kapazitäten vorhanden ist, wird schon allein diese Tatsache dafür sorgen, dass die Preise auf hohem Niveau verharren. Inwieweit sich weitere Dynamik nach oben entfaltet, wird sehr stark davon abhängen, ob sich die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage weiter schließt. Was die Nachfrage betrifft, so rechnen wir auch im nächsten Jahr mit einem recht robusten Nachfragewachstum. Für die Angebotsseite sind wir allerdings deutlich skeptischer. In den vergangenen Jahren hat vor allem das Nicht-OPEC-Angebot regelmäßig enttäuscht. Mittlerweile bleibt sogar der einstige Garant für dynamisches Angebtoswachstum, nämlich Russland, deutlich hinter den Erwartungen zurück. Weitere negative Überraschungen halten wir für wahrscheinlich. Alles in allem gehen wir daher davon aus, dass die Lage im nächsten Jahr nicht nur angespannt bleiben dürfte, sondern sich sogar noch etwas zuspitzen wird. Dies hat uns dazu veranlasst, unsere Prognose für den durchschnittlichen Ölpreis in 2006 deutlich von 56 auf 65 USD/bbl nach oben zu revidieren. Nach einer kurzen Verschnaufpause im vierten Quartal, wenngleich auf sehr hohem Niveau, rechnen wir im Winter bereits wieder mit deutlichen Preisanstiegen.

7. An der grundsätzlich angespannten Situation am Ölmarkt sollte sich auch auf Sicht der nächsten drei bis fünf Jahre wenig ändern, denn die Gründe für den Ölpreisanstieg der vergangenen Jahre bleiben weiterhin bestehen: Jahrelange Unterinvestitionen im Ölsektor und eine dynamisch wachsende Ölnachfrage haben dazu geführt, dass der Markt in allen Bereichen der Wertschöpfungskette an die Kapazitätsgrenze stößt. Trotz der deutlich höheren Preise der vergangenen Jahre zeigt sich die Investitionstätigkeit immer noch recht verhalten. Die Gründe dafür sind mannigfaltig. Einerseits werden die langfristigen Preiserwartungen, die für die Bewertung von Investitionsprojekten ausschlaggebend sind, nur sehr langsam nach oben revidiert. Andererseits sehen sich die Unternehmen in einigen Bereichen mit enormen Kostensteigerungen und einem Mangel am qualifiziertem Personal konfrontiert. All dies trägt dazu bei, dass die Investitionstätigkeit nur sehr schleppend in Gang kommt. Solange der Ölmarkt jedoch nicht wieder über einen gewissen Sicherheitspuffer an freien Kapazitäten verfügt, rechnen wir nicht mit einer nachhaltigen Entspannung an der Preisfront. Ein derartiges Polster kann lediglich durch einen Nachfragerückgang oder eine Ausweitung der Produktionskapazitäten entstehen. Da sich die Nachfrage aber zumindest kurz- bis mittelfristig recht unelastisch zeigt, muss die Angebtosseite reagieren. Angesichts der langen Vorlaufzeiten von Investitionsprojekten wird es allerdings noch einige Jahre dauern, bis von dieser Seite eine Entlastung zu erwarten ist.

Quelle: DekaBank

Die DekaBank ist im Jahr 1999 aus der Fusion von Deutsche Girozentrale - Deutsche Kommunalbank- und DekaBank GmbH hervorgegangen. Die Gesellschaft ist als Zentralinstitut der deutschen Sparkassenorganisation im Investmentfondsgeschäft aktiv. Mit einem Fondsvolumen von rund 130 Mrd. Euro gehört die DekaBank zu den größten Finanzdienstleistern Deutschlands. Im Publikumsfondsgeschäft hält der DekaBank-Konzern einen Marktanteil von etwa 20 Prozent.

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Über den Experten

Thomas Gansneder
Thomas Gansneder
Redakteur

Thomas Gansneder ist langjähriger Redakteur der BörseGo AG. Der gelernte Bankkaufmann hat sich während seiner Tätigkeit als Anlageberater umfangreiche Kenntnisse über die Finanzmärkte angeeignet. Thomas Gansneder ist seit 1994 an der Börse aktiv und seit 2002 als Finanz-Journalist tätig. In seiner Berichterstattung konzentriert er sich insbesondere auf die europäischen Aktienmärkte. Besonderes Augenmerk legt er seit der Lehman-Pleite im Jahr 2008 auf die Entwicklungen in der Euro-, Finanz- und Schuldenkrise. Thomas Gansneder ist ein Verfechter antizyklischer und langfristiger Anlagestrategien. Er empfiehlt insbesondere Einsteigern, sich strikt an eine festgelegte Anlagestrategie zu halten und nur nach klar definierten Mustern zu investieren. Typische Fehler in der Aktienanlage, die oft mit Entscheidungen aus dem Bauch heraus einhergehen, sollen damit vermieden werden.

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