Risikoprämien für das Alter
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Risikoaversion und Alter seien positiv korreliert, heißt es. Soll ich jetzt also weniger Risiken eingehen? Schließlich habe ich gerade einen runden Geburtstag gefeiert, der mir zeigt, dass der Ruhestand immer näher rückt. Die gestiegenen Renditen und die Aussicht auf langfristig höhere Erträge machen sichere Anlagen heute einfacher als in den letzten Jahren. Ich glaube, dass angesichts von Krieg, schwachen Konjunkturaussichten und straffer Geldpolitik Aktienrisiken unterschätzt und Anleihenrisiken überschätzt werden. Dessen sollte man sich bewusst sein, bevor man Anlageentscheidungen für das neue Jahr trifft.
Älter werden: Am letzten Wochenende wurde ich 60. Ja, ich weiß, man sieht es mir nicht an, vor allem dank reichlich Feuchtigkeitscreme. Hätten meine Eltern bei meiner Geburt im November 1963 für mich in einen Fonds investiert, der den FTSE All Share Index abbildet, hätte ich damit 8.907 Prozent verdient – 7,8 Prozent im Jahr, mit Zinseszinseffekt. Leider taten sie es nicht. Als ich mich vor meinen Bloomberg setzte, um herauszufinden, wie reich ich hätte sein können, fiel mir auf, dass 7 Prozent bis 8 Prozent nicht besonders sind. Der MSCI World Index hat in den letzten 60 Jahren um jährlich 7,43 Prozent zugelegt, der Dow Jones Industrial Average um 7,85 Prozent. Kann man also in den nächsten Jahren mit ähnlichen Erträgen rechnen? Vielleicht – aber nicht unbedingt in den nächsten zwölf Monaten.
Zweifel: Das liegt zunächst einmal an der Konjunktur. Die nächsten Wochen sind die Zeit der Jahresausblicke. Ich rechne damit, dass meist ein bestenfalls mäßiges Wachstum und ein weiterer Inflationsrückgang prognostiziert werden, aber nur leichte Zinssenkungen. Wir werden mehr über Wachstumsrisiken als über eine wieder stärkere Konjunktur lesen. Das nominale BIP wird so schwach wachsen wie seit 2021 nicht mehr. Aber das nominale Wachstum bestimmt die Unternehmensgewinne. Wenn der Zusammenhang beim S&P 500 so bleibt wie zuletzt, wird das prognostizierte Gewinnwachstum von 10 Prozent nächstes Jahr nicht leicht zu erreichen sein. Den Ausblick für Anleihen halte ich hingegen für besser.
Wo ist die Risikoprämie? Und dann sind da noch die Risikoprämien. In den USA und Japan sind die Kurs-Gewinn-Verhältnisse von Aktien gestiegen, auch wenn sie (gemessen an den Gewinnerwartungen) in Europa noch immer etwas niedriger sind als Ende 2022. Entsprechend gut hat man 2023 mit Aktien verdient, zumindest in den USA, Europa und Japan. Wegen der höheren Anleihenrenditen ist die unbereinigte Aktienrisikoprämie auf ein Mehrjahrestief gefallen. In den USA liegt die Dividendenrendite des S&P 500 jetzt deutlich unter der Realrendite inflationsindexierter Staatsanleihen. Aber das ist extrem; in anderen Ländern ist die Differenz nicht so stark gefallen. Allerdings geben die USA meist den Takt vor. Anleihen sind dieses Jahr billiger geworden. Die Laufzeitprämie ist gestiegen, weil wir nicht wissen, wie hoch der neutrale Zins in Zukunft sein wird und wie sich Fiskalpolitik und Staatsschulden entwickeln.
Und Unternehmensanleihen? Aktienerträge und Erträge durch Spreadverengungen sind positiv korreliert. Wie Aktien scheinen auch Unternehmensanleihen in den USA teuer. Ihre Spreads sind enger als in Europa, auch wenn die Renditen in den USA insgesamt höher sind. Die amerikanischen Investmentgrade- und High-Yield-Spreads befinden sich etwa im 50. Perzentil ihrer Verteilung seit 2013. Demnach sind die Bewertungen in Europa und Großbritannien günstiger. Amerikanische High-Yield-Anleihen scheinen ebenfalls attraktiver bewertet, doch haben sich ihre Spreads zuletzt verengt. Allerdings steckt der Teufel im Detail: Unternehmen mit enttäuschenden Quartalszahlen werden auch am Anleihenmarkt abgestraft. Alles in allem scheinen Unternehmensanleihen wegen der zu erwartenden Langfristerträge attraktiv. Dennoch könnten sich die Spreads bei einem Aktienausverkauf ausweiten.
Zinseszinseffekt: Vergessen wir nicht, dass allgemein mit schwächerem Wachstum und weniger Inflation gerechnet wird – und dass man wohl immer mehr über den Zeitpunkt der ersten Zinssenkungen diskutieren wird. Die Risikoprämien sprechen jetzt für Anleihen. Bei Investitionen muss man Anfang 2024 berücksichtigen, was ein alter Fondsmanagerkollege das achte Weltwunder nannte: den Zinseszinseffekt. Wer bei 1 Prozent Rendite 100 Dollar in eine Fünfjahresanleihe investiert, besitzt am Ende nur 105,1 Dollar. Bei einer Rendite von 4,5 Prozent, wie in den USA, werden daraus in fünf Jahren aber 124,62 Dollar (bei Wiederanlage aller Coupons). Das sind jedes Jahr 4 Prozentpunkte mehr. Das Quantitative Easing hat Anleihen so unattraktiv gemacht, dass viel Kapital in Aktien oder Unternehmensanleihen floss (deren Renditen dank der Spreads etwas höher waren). Aber das ist jetzt vorbei.
Für Wachstum bezahlen? Mehrerträge von Aktien sind in nächster Zeit alles andere als garantiert. Das bedeutet aber nicht, dass man mit Aktien nichts verdienen kann. Allerdings könnte es zur Mean Reversion kommen – der Rückkehr von Bewertungen und Erträgen zu ihrem Langfristdurchschnitt. Seit Anfang 2020 haben US-Aktien Anleihen um etwa 13 Prozentpunkte p.a. hinter sich gelassen, obwohl in der Vergangenheit nur etwa 5 Prozent üblich waren. Weil der Ausblick für Technologieaktien schwer zu beurteilen ist, wird die Asset-Allokation jetzt komplizierter. Reichen die Wachstumsperspektiven der Künstlichen Intelligenz, damit Titel mit sehr hohen Kurs-Gewinn-Verhältnissen interessant sind? Der Informationstechnologie-Index des S&P 500 notiert zurzeit bei einem KGV von 28 (bei einer Gewinnrendite, die um über 5 Prozentpunkte unter der Rendite von High-Yield-Anleihen liegt. Hohe Bewertungen haben den Markt aber nur selten gebremst. Die Technologieunternehmen sind finanziell stabil. Sie haben wenig Schulden, gut gefüllte Kassen und produzieren Güter und Dienstleistungen, die die Unternehmen und Verbraucher wollen. Eine Kombination aus kurzlaufenden Anleihen und Technologieaktien war dieses Jahr sehr ertragreich. Der Index für hoch verzinsliche US-Kurzläufer ist 2023 um 5,2 Prozent gestiegen, der IT-Index des S&P 500 um 45 Prozent, schreibt Bloomberg (Stand 8. November). Warum solle sich das nicht wiederholen, wenn die Zinsen hoch bleiben und die US-Wirtschaft einer Rezession entgeht?
Straffung: Entscheidend ist und bleibt der Konjunkturausblick. Ob Investmentgrade oder High-Yield – die Aussichten für Unternehmensanleihen hängen maßgeblich davon ab, ob es größere Kreditprobleme gibt. Vielleicht haben wir noch nicht alle Auswirkungen der strafferen Geldpolitik gesehen. Nach dem Senior Loan Officer Opinion Survey der Fed haben die meisten US-Banken ihre Kreditbedingungen im Oktober weiter gestrafft. Außerdem schrumpft die Geldmenge, auch wenn die gesamtwirtschaftliche Liquidität noch immer über dem Trend liegt (sofern man Corona und die Reaktion der Geldpolitik darauf herausrechnet). Die Konjunkturdaten sind schwächer, auch wenn die Wirtschaft stabil bleibt und viele Aktienmarktauguren noch immer optimistisch sind. Doch als ich mich letzte Woche mit meinen Kollegen aus dem Aktienportfoliomanagement traf, berichteten viele, dass ihre Unternehmen nach den ordentlichen Drittquartalszahlen für das 4. Quartal jetzt niedrigere Gewinne in Aussicht stellen – eine interessante Erkenntnis.
Ausschau halten nach günstigen Bewertungen – und 5 Prozent sind viel: Noch sieht alles nach einer weichen Landung aus. Nächste Woche werden die Inflationszahlen für Oktober veröffentlicht. Konsens ist laut Bloomberg, dass der Kernindex um 4,1 Prozent p.a. gestiegen ist, also genauso stark wie im September, und dass der Fed das noch immer zu viel ist. Rechnen Sie also nicht mit einer neuen Botschaft der Notenbank. In der letzten Woche wiederholten die Offenmarktausschussmitglieder meist die alte „Higher for longer“-Formel. Das könnte den Renditerückgang erst einmal verhindern, und selbst ein erneuter Test der 5 Prozent-Marke für die Zehnjahresrendite ist nicht auszuschließen. Bei enttäuschend hohen Inflationszahlen, starkem Wachstum oder einer scharfen Notenbankrhetorik wäre es wohl so weit. Auch die 3 Prozent und die 4 Prozent wurden nicht sofort nach oben durchbrochen, sondern erst nach mehreren Anläufen. Aber irgendwann stiegen die Renditen doch. Das wäre aus meiner Sicht eine erneute Kaufgelegenheit, wie schon Mitte Oktober. Dank des Zinseszinseffekts steigen die Anleihenerträge exponentiell, wenn die Renditen zulegen. Höhere Realerträge werden dann umso wahrscheinlicher.
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