Kommentar
19:03 Uhr, 09.02.2016

Rezession? Keine Spur davon!

Die Zinskurven werden von den Notenbanken seit Jahren gemanagt. Früher waren sie ein sehr guter und äußerst zuverlässiger Indikator für den Zustand der Wirtschaft. Ist das noch immer so?

Kaum etwas sagt so zuverlässig das Wirtschaftswachstum vorher wie die Zinskurve. Die Zinskurve ist für gewöhnlich aufwärtsgerichtet. Zinsen am kurzen Ende der Kurve (kurzfristige Zinsen) sind normalerweise niedriger als langfristige Zinsen. Investoren verlangen für den langfristigen Geldverleih höhere Zinsen, weil die Unsicherheiten auch größer sind.

Die Unsicherheit besteht vor allem aus der Entwicklung des zukünftigen Preisniveaus (Inflation) und der Bonität eines Schuldners. Wenn ich als Investor meiner Regierung oder einem Unternehmen Geld für ein Jahr leihe, dann lässt sich sehr gut abschätzen, ob ich das Geld in einem Jahr auch wiedersehe. Leihe ich das Geld für einen Zeitraum von 10 oder 30 Jahren, dann lässt sich das nicht mehr so gut abschätzen.

Letztlich will jeder Investor eine positive Rendite, die das Risiko adäquat abdeckt. Die Rendite, genauer gesagt die Realverzinsung, soll positiv sein. Auf Sicht von Monaten oder ein bis zwei Jahren lässt sich die Inflationsrate noch abschätzen, doch auf Sicht von 10 Jahren ist das schwierig. Auch deswegen werden höhere Renditen verlangt, damit nach Abzug der Inflation noch ein positiver Zinssatz übrigbleibt.

Zinsen am langen Ende sind also höher als am kurzen. Es kann allerdings auch kurzzeitig einmal anders sein. In einem solchen Fall sind die kurzfristigen Zinsen höher als die langfristigen. In einem solchen Fall spricht man von einer inversen Zinsstrukturkurve. Inverse Zinskurven sind ein sehr zuverlässiger Indikator von Rezessionen. Grafik 1 zeigt den ausschlaggebenden Zinsspread für die USA. Jede Rezession wurde bisher von einer inversen Kurve angekündigt. Die Grafik zeigt eine inverse Kurve, wenn die abgebildeten Werte negativ sind.

Im Normalfall invertiert die Kurve, wenn die kurzfristigen Zinsen sehr hoch sind. Kurzfristige Zinsen sind hoch, wenn die Konjunktur gut läuft. Die hohen Zinsen sollen eine Überhitzung der Konjunktur verhindern. Kurzfristige Zinsen werden von der Notenbank festgelegt. Sie versucht über die Festlegung der kurzfristigen Zinsen die Konjunktur zu steuern.
Langfristige Zinsen werden vom Markt festgelegt und sind nicht so variabel wie die kurzfristigen. Aus diesem Grund kann es überhaupt zu einer Inversion der Kurve kommen. Sind die kurzfristigen Zinsen sehr hoch, dann muss man nicht lange überlegen, um zu erkennen, dass das nicht ewig so bleiben wird. Die Erwartung der Marktteilnehmer ist, dass die Zinsen in Zukunft sinken werden. Das spiegelt sich in den langfristigen Zinsen wider. Die Erwartung kann sich auch nur dort widerspiegeln, weil die kurzfristigen Zinsen von der Notenbank festgesetzt sind.
Inverse Zinskurven haben in den USA bisher alle Rezessionen vorhergesagt. In anderen Regionen und Ländern gilt das genauso wie in den USA. Grafik 2 zeigt Japan als Beispiel. Auch hier haben inverse Zinskurven Rezession zuverlässig vorhergesagt – bis Mitte der 90er Jahre. Seit Mitte der 90er Jahre gab es keine Inversion der Kurve mehr. An Rezessionen hat es jedoch nicht gemangelt.

Der japanische Fall zeigt: Rezessionen können auch ohne inverse Zinskurven vorkommen. Dieses Phänomen trat zuerst in Japan auf und ist darauf zurückzuführen, dass die kurzfristigen Zinsen von der Notenbank kaum noch angehoben wurden. Seit 1996 lag der Leitzins nicht mehr über 0,5 %. In Hochkonjunkturzeiten mit diesem „Spitzenzinssatz“ hätten langfristige Renditen unter 0,5 % sinken müssen, um überhaupt für eine Inversion sorgen zu können.

Eine inverse Zinskurve zu erhalten, wenn die kurzfristigen Zinsen bei null liegen, ist zwar nicht vollkommen unmöglich, aber sehr, sehr schwierig. Sobald die Leitzinsen nicht mehr über 1 % hinausgehen, ist eine Inversion relativ unwahrscheinlich. Die gesund aussehende Zinsstruktur in den USA ist also kein Argument gegen eine Rezession. Sie ist freilich auch kein Hinweis, dass sich das Land auf eine Rezession zubewegt. Man kann es anhand der Zinskurve einfach nicht sagen.

Das bisherige Tief der langfristigen US Zinsen lag bei 1,45 %. Selbst wenn dieses Niveau mit 1 % noch einmal unterschritten wird liegen die kurzfristigen Zinsen noch immer bei 0,25-0,5 %. Eine Inversion ist fast unmöglich.

Anleger müssen trotz des Zinsmanagements der Notenbanken nicht auf die Vorhersagekraft der Zinskurve verzichten. Man kann nämlich anstatt der Zinskurve ersatzweise die US Arbeitslosenquote verwenden. Grafik 3 zeigt die Zinskurve, die Arbeitslosenquote und den S&P 500. Inverse Zinskurven treten für gewöhnlich Monate vor der eigentlichen Rezession auf. Die Arbeitslosenquote ist ein ebenso guter Vorlaufindikator. Die Arbeitslosigkeit beginnt zu steigen, wenn die Zinskurve ihre Inversion beginnt.

Sobald die Arbeitslosigkeit steigt haben Anleger noch mehrere Monate Zeit, um sich auf einen Bärenmarkt an den Märkten vorzubereiten. Aktuell befinden sich viele Indizes bereits in Bärenmarktterritorium, insofern käme jegliches Signal – so es denn noch kommt – zu spät. Einen großen Bärenmarkt gab es in den vergangenen 55 Jahren allerdings kein einziges Mal ohne einen Anstieg der Arbeitslosigkeit. Einer muss also irren. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass der Markt irrt.

Märkte sind von Natur aus nervös und sagen 8 von 5 Rezessionen voraus. Man kann nicht mit absoluter Sicherheit ausschließen, dass der Markt nicht dieses Mal Recht bekommt und eine Rezession vor der Zinskurve und Arbeitslosenrate vorhersagt. Es wäre allerdings das erste Mal in der Börsengeschichte der letzten 55 Jahre. Wie wahrscheinlich das also ist, kann man sich leicht vorstellen.
Derzeit muss man also sagen, dass wir einen Bärenmarkt ohne Rezession sehen. Die Weltkonjunktur mit zwar nicht, ist aber auch nicht dabei zu schrumpfen. Der Markt preist genau das ein und wird wahrscheinlich in einem halben Jahr feststellen müssen, dass ein Abschwung vollkommen umsonst eingepreist wurde.

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20 Kommentare

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  • dschungelgold
    dschungelgold

    what about balic dry. Beamen die die Waren derweil?

    07:55 Uhr, 10.02.2016
  • Cristian Struy
    Cristian Struy

    offizielle Rezession, Zinskurve etc. hin oder her. Der Markt, d.h., die charts sprechen ihre eigene Sprache. Mit der heutigen Tageskerze wurde im Dax-Tageschart das letzte bullishe Kreuz vom TMA30 und Bollinger Band Mitte aus Herbst 2014 unterschritten. Während 1998 der Kurs noch ca. 50 Punkte über dem bull cross anhielt und es dann seitwärts aufwärts ging, gab es 2 weitere Stellen an denen dieses Signal (nach grossen Abstürzen und starker Unterschreitung des EMA200 im day) auftrat. 2001 und 2008. 2001 gab es anschließend eine Reduktion des Daxkurses von Allzeithoch aus gesehen auf ca 45% ( 8000 auf ca. 3600) und 2008 eine Reduktion auf ca 25% von 8000 auf ca. 2200.

    Einher gingen beide Signale mit einem zeitlich später versetzten "death cross" zwischen SMMA200 und EMA200 im Tageschart des S&P500 Das steht derzeit noch aus. Ich bin gespannt auf den Verlauf der beiden gleitenden Durchschnitte in den nächsten Tagen. Bis zu diesem Signal ist aus meiner Sicht noch eine Kurserholung möglich. Danach gibt es für mich kaum Zweifel, dass wir noch deutlich tiefere Kurse sehen, unabhängig von Zinskurven und womöglich "überarbeiteten" Arbeitslosenstatistiken aus der USA.

    Das ultimative Tief des baltic dry indexes hingegen (Allzeithoch 11000, bei derzeit ich denke Stand ca 290!) lässt jedoch d i e Hoffnung, dass es nicht zu einem solchen Signal kommt, schon als Prinzip "Die Hoffnung stirbt zuletzt..." aussehen. An der Börse endet dieser Satz fast immer mit ..., aber sie stirbt. Für mich als grundsätzlich bullish eingestellten Marktteilnehmer eine schlimme Vorstellung, aber ich vertraue charts mehr, als Arbeitslosigkeitsstatistiken.

    Es bleibt spannend.

    00:23 Uhr, 10.02.2016
    1 Antwort anzeigen
  • Kasnapoff
    Kasnapoff

    Die echte Arbeitslosigkeit liegt laut www.shadowstats.com bei ca. 23% und die echte Inflation bei rund 7%, ebenfalls auf shadowstats nachzulesen.

    Die von den Staatsstatisikern herausgegeben Daten, werden vor der Veröffentlichung kosmetisch behandelt und sind mit Vorsicht zu genießen.

    Der Einkaufsmanagerindex PMI gilt in den USA als exzellenter Frühindikator, aktuell notiert er unter 50 Punkte und gibt damit ein Rezessionssignal. Nun gab es in der Vergangenheit durchaus schon öfters dieses Signal und es hat sich im Nachhinein als Fehlsignal herausgestellt. Wird jedoch der PMI gemeinsam mit dem S+P 500 als Messfühler für den Zustand der US-Wirtschaft verwendet, dann werden die Fehlsignale auf ein Minimum reduziert.

    Für die Prognose der Rezession muss der PMI unter 50 Punkte notieren und der S+P 500 muss unter seinem 12 Monatsdurchschnitt notieren. Wird dieses Indikatormodell verwendet, gibt es in den vergangenen Jahrzehnten lediglich 2 Fehlsignale:

    1. 1962 die Kubakrise

    2. 1998 die Asienkrise

    Aktuell wäre nach diesem Modell das Eintreten der Rezession recht wahrscheinlich, da die 2 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. die kommenden Monate werden wir sehen, ob das Rezessionssignal korrekt war.

    22:41 Uhr, 09.02.2016

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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