Kommentar
12:45 Uhr, 15.06.2012

Rettung der spanischen Banken, doch Schuldenkrise hält an

Am vergangenen Wochenende musste Spanien schließlich doch unter den Rettungsschirm schlüpfen: Das angeschlagene Land soll eine Geldspritze von 100 Milliarden Euro erhalten. Mit diesen Mitteln soll dem strauchelnden Bankensektor wieder auf die Beine geholfen werden. Die prekäre Lage in Griechenland wird jedoch weiterhin das Bild beherrschen, den Risikoappetit dämpfen und die Anlegerschaft – ungeachtet der Bewertungen – in sichere Häfen treiben. Dabei handelt es sich um ein globales Phänomen. Vor dem Hintergrund der aktuellen Risikoaversion sollte es Aktien von den Emerging Markets weiterhin schwer fallen, US-Aktien zu übertreffen. Die längerfristigen Positivfaktoren für EM-Aktien (also attraktive Bewertungen, Wachstum, günstige Schuldendynamik und Raum für zusätzliche wirtschaftspolitische Impulse) bestehen indes weiter.

Auf kurze Sicht fehlt es den Aktienmärkten jedoch an Auslösern für eine Rallye. Momentan fungieren vor allem die wirtschaftspolitischen Entscheidungen als ein solcher Auslöser – nicht nur in Europa, sondern auch in den Schwellenländern. Auch die politischen Entscheidungsträger in China werden jetzt aktiv.

Zusätzliche Impulse aus China
Die konjunkturelle Abkühlung in China hat sich im vergangenen Monat deutlich verschärft. Im Mai deuteten zahlreiche Einkaufsmanagerindizes darauf hin, dass das Wirtschaftswachstum rapide in Richtung 7 Prozent sinkt. Entsprechend sind die wirtschaftspolitischen Instanzen in China zu einer offensiveren geldpolitischen Lockerung übergegangen, wenn auch die gegenwärtigen Konjunkturfördermaßnahmen im Vergleich zu 2008/2009 eher bescheiden sind. Vorhaben in den Bereichen Infrastruktur, Wasser, Energiesparen, Effizienzsteigerungen in der Industrie und sozialer Wohnungsbau werden jetzt schneller genehmigt als allgemein erwartet. Vergangene Woche senkte China erstmals seit 2008 seine Leitzinsen. Zweifelsohne bemüht man sich intensiv, das Wachstum auf einem Niveau von über 7,5 Prozent zu halten, dem offiziellen Wachstumsziel.

Die Zinssenkung in China überraschte durchaus nicht, insofern hielt sich die Marktreaktion in Grenzen. Wir gehen davon aus, dass die Konjunkturfördermaßnahmen in China fortgesetzt werden. Kurzfristig dürfte das Wachstum in China zwar enttäuschen, doch mittelfristig sollte es lebhafter als erwartet ausfallen. Nach unseren Schätzungen dürfte die chinesische Wirtschaftsleistung 7,7 Prozent in 2012 und 7,8 Prozent in 2013 betragen.

Europäische Entscheidungen?
Werden die wirtschaftspolitischen Instanzen in Europa Chinas Beispiel folgen und mit größerer Entschlossenheit an die Lösung der Staatsschuldenkrise herangehen? Das hängt entscheidend vom Ausgang der Neuwahlen in Griechenland am 17. Juni ab. Es ist unwahrscheinlich, dass bereits vor dem Euro-Gipfel am 25./26. Juni grundlegende Entscheidungen getroffen werden, Unsicherheit und Risikoscheu halten daher an.

Zyklizität innerhalb der Sektorstrategie verringert
Zu politischen Problemen und der Euro-Schuldenkrise gesellen sich nun auch enttäuschende Konjunkturdaten, wie beispielsweise der Eurozone-PMI-Index.

Die Gewinndynamik ist offenbar eingebrochen. Nur die USA (51) und Japan (50) liegen noch im positiven Bereich, während die Gewinndynamik an den Emerging Markets (44) bereits ins Negative gedreht hat. Dieser Prozess nimmt an Tempo zu. Früher galt dies als Warnsignal für die Konjunkturentwicklung. Aus unserer Sicht gibt es drei Gründe für diesen Trend: die Schuldenkrise in Europa und ihre möglichen Konsequenzen für Marktstimmung und Wachstum, schwächere Wirtschaftsdaten und der Mangel an Positivmeldungen aus der Wirtschaft. Bislang haben wir unsere Top-down-Schätzungen, die um 5 bis 10 Prozent unter den Bottom-up-Schätzungen liegen, noch nicht angepasst. Wir rechnen mit einem weiteren Rückgang der Bottom-up-Zahlen. Vor diesem Hintergrund haben wir generell die Zyklizität unserer Sektorstrategie verringert.

Anleger haben offenbar ihre Übergewichtung bei Aktien zurückgefahren, mögen aber noch nicht untergewichten. Vorerst tendieren sie zu neutral, da unklar ist, wie sich die politischen Maßnahmen auswirken werden. Die Entscheidungsträger in anderen Regionen werden höchstwahrscheinlich dem Beispiel Chinas folgen und der konjunkturellen Schwächung gegensteuern. Wann und wie ist jedoch ungewiss.

Ohne klare politische Vorgaben und bei schwächelnden Wirtschaftsdaten dürfte die Marktlage schwierig bleiben. Das vorstehende Chart illustriert die Entwicklung der Economic-Surprise-Indizes. Derzeit liegen wir sogar noch unter dem letztjährigen Tiefststand.

Es ist nicht alles düster, vor allem nicht bei den Unternehmen
Bewertungen sind zwar kein guter Anhaltspunkt für die kurzfristige Marktentwicklung, eignen sich aber als recht zuverlässiger Indikator der Entwicklung über längere Zeiträume von fünf bis zehn Jahren. Insofern mag es sich derzeit für langfristig orientierte Anleger lohnen, ihr Aktienengagement auszubauen – sofern sie mit kurzfristiger Volatilität leben können. Die konjunkturell bereinigten KGVs für europäische Aktien liegen aktuell bei 11,2. Auf Basis unserer Berechnungen deutet diese Zahl auf eine solide Kursentwicklung im nächsten Jahrzehnt hin.

Unternehmen sind gut bewertet
Die Unternehmen gut aufgestellt und hochliquide. Der Fremdfinanzierungsanteil ist auf nur 0,8 gesunken. Vor der Lehman-Krise lag diese Kennzahl noch bei 1,2. Insgesamt halten die 1.500 amerikanischen Top-Börsen-Unternehmen außerhalb des Finanzsektors liquide Mittel in Höhe von 1,5 Billionen US-Dollar in ihren Bilanzen (die Hälfte davon aus steuerlichen Gründen im Ausland).

Diese starken Unternehmensbilanzen könnten zudem zu einer weiteren „De-Equitisation“ führen. Das heißt: Durch Rückkauf der eigenen Aktien reduzieren die Unternehmen den Bestand ihrer Aktien auf den Märkten. Folge: höhere Gewinne pro Aktie, höhere Eigenkapitalrendite und ein höheres Kurs-Buchwert-Verhältnis. Wir erwarten daher, dass die Unternehmen ihre Zahlungen an die Aktionäre durch Dividenden und Aktienrückkäufe sukzessive erhöhen werden.

Die Bewertungsniveaus von Aktien, sowie die Tatsache, dass die Unternehmen sich bester Gesundheit erfreuen, und die positive Wirkung der „De-Equitisation“ auf den Wert der sich im Umlauf befindlichen Aktien, bestätigen die Werthaltigkeit von Aktien auf dem aktuellen Level.

Doch die Märkte sind zurzeit von hoher Dynamik geprägt. Bewertungen sind, wie gesagt, kein guter Anhaltspunkt für die kurzfristige Marktentwicklung. Die Märkte brauchen klare Anstöße. Momentan liefern die wirtschaftspolitischen Entscheidungen – vor allem in Europa – diese Anstöße. Jetzt heißt es erst einmal abwarten, was die griechischen Wahlen bringen.

Quelle: ING Investment Management

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