Reflexionen zum Ölpreis
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Erinnern Sie sich noch? Anfang 2002 betrug der Ölpreis 20 Dollar je Fass. Jetzt liegt der Preis bei über 80 Dollar. Eine Vervierfachung in nur fünf Jahren. In Euro gerechnet ist freilich der Anstieg nicht so groß; der Preis hat sich um das 2 ½ fache auf rund 57 Euro je Fass erhöht.
Die wichtigste Ursache für den Preisanstieg war die kräftige Steigerung der Energienachfrage im Zuge des weltweiten Aufschwungs. Besonders hat hierzu der Energiehunger der Schwellenländer – vor allem der Chinas und Indiens – beigetragen. Freilich die Anbieterseite ist nicht schuldlos an dieser Verteuerung. Die Ausweitung des Angebots war arg schleppend. Dies ist zum Teil Resultat der Ratschläge der Ölexperten, die den wichtigen Produzenten viele Jahre lang prognostizierten, der Ölpreisanstieg sei nur vorübergehend und die Kosten für eine aggressive Ausweitung der Kapazitäten lohnten deshalb nicht. Aber auch die aufgrund der politischen und wirtschaftlichen Unsicherheit ausbleibenden Steigerungen der Öllieferungen aus dem Iran und insbesondere dem Irak trugen zum Ungleichgewicht bei. Selbst in Russland waren die Investitionen in die Ölfelder schwach. Aber auch die fehlenden Anstrengungen der Industrieländer, Energie einzusparen und alternative Energien zu forcieren, erklären den Anstieg der Öl- und Gaspreise. Darüber hinaus sind die Preise für Diesel und Heizöl aber auch wegen des Umstiegs vieler auf Dieselfahrzeuge stark gestiegen. Die Preise für Benzin erhöhten sich darüber hinaus, weil weltweit – insbesondere aber in den USA – Raffineriekapazitäten knapp waren und wegen vielfältiger Planungsprobleme auch bleiben.
Bei so hohen Preisen fürs Heizen und das Autofahren konnte der Aufschrei der Verbraucher nicht ausbleiben. Energiesparen ist jetzt angesagt. Energiesparende Häuser, Haushaltsgeräte und sparsame Autos sind „in“. Dies dämpft die Autonachfrage insgesamt, aber ganz besonders für amerikanische Produzenten. Die amerikanischen großen drei Autoanbieter haben Marktanteile verloren. Begünstigt wurden vor allem japanische Marken, die zum Teil mit Hybridmotoren punkten konnten.
Der Energiepreisanstieg hat aber nicht nur die Kaufmöglichkeiten der Energieimportländer gedämpft, er hat die Öl- und Gasanbieter der Welt in nie gekannter Weise reich gemacht. Damit haben neben den schon fast traditionellen Überschussländern Japan und China nun auch Norwegen, Russland, Venezuela, der Nahe Osten und dort insbesondere Saudi-Arabien und die Emirate ungewöhnliche Reichtümer angesammelt. Nicht nur haben diese Länder kräftig importiert, vor allem Investitionsgüter (die deutschen Anbietern besonders zugute kamen), sondern sie haben darüber hinaus riesige Finanzvermögen aufgehäuft, die oft sehr einseitig und zum Teil vorläufig in sehr liquide Papiere in Dollar investiert sind. Viele dieser Länder haben jetzt eigene Institutionen zum Management ihrer Finanzvermögen gegründet: Sogenannte Staatsfonds sollen dafür sorgen, dass Devisenreserven nicht nur rentabler angelegt werden, sondern auch dass Risiken besser diversifiziert werden. Mit dieser neuen Rolle rohstoffexportierender Länder wird Kapitalismus neu buchstabiert.
Im Verlauf der letzten Jahre war wohl die Tatsache, dass trotz sehr guter Konjunktur in den USA die langfristigen Zinsen so niedrig blieben, der kräftigen Nachfrage dieser Überschussländer nach liquiden Dollaranlagen geschuldet. Der Appetit auf immer mehr von dieser Assetklasse ist wohl vergangen. Die Schwäche des US-Dollar ist ein Hinweis darauf. Diese Dollarschwäche ist Anlass, die Bindung der eigenen Währung an den Dollar zu überdenken. Dies ist nicht nur bei den Chinesen zu beobachten. Auch Länder im Nahen Osten, so etwa Kuwait, haben die Anbindung ihrer Währung an den US-Dollar gelockert. Mit dieser Umorientierung hat sich wohl auch ein nagender Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Notierung des Ölpreises in Dollar eingenistet.
Wie wird es nun mit dem Öl- und dem Benzinpreis, wie mit den Anlagegewohnheiten und wie mit den Wechselkursen weitergehen? Die wirtschaftliche Stärke praktisch aller Schwellenländer lässt eine nennenswerte Schwäche der Energienachfrage – trotz des Abschwungs in den USA – nicht erwarten. Wenn erneuerbare Energien weiterhin nur langsam Marktanteile gewinnen und einige Länder gar – wie wir Deutschen – intakte Atomkraftwerke abschalten, dann ist ein Öl- oder gar ein Gaspreisrückgang unrealistisch. Dies wird der deutschen Konjunktur indes keinen größeren Schaden zufügen. Wie kann das sein? Unsere Wirtschaft hat sich auf die Ölverknappung eingestellt. Kursrisiken wurden abgesichert. Mehr und mehr werden neue Möglichkeiten der Energiegewinnung aus alternativen Rohstoffen ins Visier genommen. Vor allem aber profitieren deutsche Firmen von der Nachfrage nach energiesparenden Technologien, die wir vor anderen entwickelt haben. Auch hilft uns der Vorlauf bei Forschung und Entwicklung in den Bereichen Wind- und Solarenergie. Die Neureichen der Welt haben aber auch großen Anlagebedarf. Dieses wird die Assets, die noch nicht überteuert sind, also etwa die europäischen Aktienmärkte, begünstigen. Der Appetit dieser Länder auf Firmenübernahmen und den Erwerb von strategischen Beteiligungen bei natürlichen Ressourcen (auch den Kauf von Land, insbesondere Wald) wird beachtlich sein. Dass solchem Ansinnen oftmals nationale Schutzinteressen entgegenstehen, wird den Druck auf eine weitere Abwertung des Dollar erhöhen. Während die Euroaufwertung die Energiepreiserhöhung für Europäer dämpft, gefährdet sie die europäische Preiswettbewerbsfähigkeit und damit den wichtigsten Konjunkturmotor der letzten Jahre: den Export.
Autor: Prof. Dr. Norbert Walter
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