Kommentar
10:41 Uhr, 25.09.2015

Realtime-Rezessions-Erkennungs-Mechanismus (RREM)

Wir wissen, dass eine US-Rezession durchschnittlich alle fünf Jahre auftritt und etwa ein Jahr dauert. Was heißt das bezogen auf die aktuelle Lage?

Das US-Institut NBER ist das offizielle Organ der USA für die Bezeichnung von Konjunkturzyklen. Daten für die vergangenen 150 Jahre liegen dort vor. Daher wissen wir, dass eine US-Rezession durchschnittlich alle fünf Jahre auftritt und etwa ein Jahr dauert. In der jüngeren Vergangenheit hat sich der Abstand zwischen den Rezessionen etwas vergrößert. Der Beginn der letzten Rezession jährt sich im Dezember 2007 zum siebten Mal. Allein schon aus statistischen Gründen wäre innerhalb der nächsten zwei bis drei Jahre eine US-Rezession fällig.

Es wäre komfortabel, auf ein Instrument zurückzugreifen zu können, das zuverlässig, fehlerfrei und mit einem Zeitvorsprung eine Rezession vorhersagt, eben ein „Realtime-Rezessions-Erkennungs-Mechanismus (RREM)“. Ein solches Modell – entwickelt von einem genialen Forscher, gekauft von einem der großen Investment-Häuser – müsste doch existieren? Dauer-Bären machen eine Rezession aus, indem sie so lange auf den Eintritt einer solchen beharren, bis sie sich einstellt. Diese Methode ist einfach, aber ineffektiv. Die andere Seite, nämlich Dauerbulle zu sein und Rezessionen zu ignorieren, führt auf lange Sicht zu mehr Erfolg. Allerdings wird das Sentiment zwischendurch auf eine harte Probe gestellt.

Research-Abteilungen, die Wirtschaftsinstitute, eine Heerschar von VWL-Professoren und viele andere Profis befassen sich mit der Vorhersage von Konjunkturverläufen. Die Kritik, die Finanzkrise nicht vorhergesehen zu haben, wurde in der Szene teilweise angenommen. Geändert hat sich jedoch wenig.

Die Feststellung einer Rezession durch das NBER erfolgt mit einem Zeitverzug, der schon mal ein Jahr oder länger betragen kann. Eine solche Arbeit hat keinen unmittelbar praktischen, sondern lediglich einen statistischen Nutzen.

Das so genannte „Economic Cycle Research Institute (ECRI)“ hat es sich zur Aufgabe gemacht, eine Rezession lange vor dem NBER aufzudecken. Frühere Rezessionsverlautbarungen waren nicht frei von zeitlichen Holprigkeiten. So wurde die letzte Rezession – sie begann im Dezember 2007 – erst Ende März 2008 als solche ausgerufen.

Den „Oberklops“ leistete sich das ECRI jedoch Ende September 2011, als es eine US-Rezession ausrief, die keine war. Die Verlautbarung wurde erst dreieinhalb Jahre später - nämlich am 8. Mai 2015 - kassiert.

Wie kam es zu der falschen Rezessionsansage? Der ECRI-Leading Index fiel Ende September 2011 auf minus 9 Punkte (siehe Pfeil folgender Chart). Die Rezessions-Verlautbarung des ECRI geriet in das Umfeld des heftigen 2011er-Marktrutsches.

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Ende September 2011 war das Sentiment erbärmlich. Die negative Stimmung überschlug sich. Bei den US-Börsenbriefschreibern wurde ein historisch hoher Anteil von 40 Prozent Pessimisten gezählt. Einen Handelstag nach der Rezessionsverlautbarung markierte der S&P 500 mit einem krachenden Abwärtsvolumen von 97 Prozent sein Tief.

Die Kapitulation des ECRI am 8. Mai 2015 („keine Rezession“) erfolgte neun Handelstage vor dem Jahreshoch des S&P 500. Die Rezessionsansage wurde dreieinhalb Jahre lang hart verteidigt. Der S&P 500 verdoppelte sich in diesem Zeitraum.

Andere Indikatoren existieren. So veröffentlicht die Federal Reserve of St. Louis einen Rezessionswahrscheinlichkeits-Index, erdacht und entwickelt von den Wissenschaftlern Marcelle Chauvet und Jeremy Piger. Der Index nutzt unter anderem Arbeitsmarktdaten, Industrieproduktion, Verkäufe und Einkommen.

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Dieser Indikator hat den Vorteil, deutlich vor dem NBER ohne Fehlsignal eine Rezession anzuzeigen. Der Nachteil ist, dass die Daten mit einer Zeitverzögerung von drei Monaten veröffentlicht werden. Einige der Werte stehen schlichtweg nicht früher zur Verfügung. Per Juni steigt der Indikator leicht an, zeigt aber noch keinen „Lift-off“ - wie im Vorfeld früherer Rezessionen.

Zur frühzeitigen Rezessionserkennung werden Realtime-Daten benötigt. Die Finanzmärkte liefern diese in Form von Aktienkursen, Renditen, Rohstoffpreisen und Wechselkursen. Eine der grundlegenden Prämissen der technischen Analyse lautet, dass die Märkte jeden möglichen bekannten, Angebot und Nachfrage beeinflussenden Faktor reflektieren. So hat es unter anderem John Murphy in seinem Buch „Technische Analyse der Finanzmärkte“ festgestellt.

So verwundert es nicht, dass der erfolgreichste „RREM“ auf der Renditedifferenz zwischen dem kurzen und langen Ende beruht. Dieser funktioniert sogar mit einem Vorlauf von einem halben bis zu einem Jahr.

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Dargestellt ist die Zinsdifferenz zwischen 2jährigen und 10jährigen US-Anleihen. Die graue Schattierung zeigt frühere US-Rezessionen an. Immer dann, wenn die Differenz null war, kam es zu einer Rezession.

Die Nullzinspolitik der Fed zerstörte diesen Indikator. Sollte man meinen. Aber was wäre, wenn die Fed den Leitzins erhöhen würde, so dass die Rendite zweijähriger US-Anleihen von aktuell 0,70 Prozent auf sagen wir 1,50 Prozent steigen würde. Und was, wenn gleichzeitig die Rendite 10jähriger Anleihen von aktuell 2,12 Prozent auf 1,50 Prozent sinken würde? Dann länge die Zinsspanne – wie gestrichelt dargestellt – bei null. Damit würde eine US-Rezession angezeigt, der Indikator wäre wieder im Spiel.

Wir wissen, dass die QE-Phasen in den vergangenen Jahren jeweils zu höheren Zinsen am langen Ende führten. Im Umkehrschluss müssten Straffungen der Geldpolitik - wie eine Zinserhöhung sie nun einmal darstellt - zu fallenden Zinsen am langen Ende führen.

Fallende Renditen am langen Ende und steigende Renditen am kurzen Ende wären Anzeichen für aufkommenden Stress in der US-Wirtschaft. Die Fed selbst hat es in der Hand, diese Situation zu verzögern, indem sie den Leitzins nicht erhöht. Die verhaltenden Renditen am langen Ende sind - so oder so - aus konjunktureller Sicht ein Zeichen der Schwäche.

Ein Prima Echtzeit-Mechanismus stellt beispielsweise der vorauslaufende Dow Jones Transportation Index dar. Die letzten vier Rezessionen wurden von der Dow Theorie identifiziert.

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Bezeichnend für Versuche, Rezessionen in Echtzeit zu prognostizieren, sind Tests einiger Marktbeobachter, die eine positive Korrelation zwischen dem ECRI-Leading-Index und dem S&P 500 von 90 Prozent festgestellt haben wollen. Modelle rücken dicht an den Realtime-Handel heran, um möglichst schnelle Ergebnisse zu liefern. Der S&P 500 wird als Konjunkturindikator geschätzt.

In unserem im Dezember 2006 erstellten Jahresausblick für 2007 legten wir dar, warum wir zum damaligen Zeitpunkt den Beginn einer US-Rezession für wahrscheinlich hielten. Unsere Denk- und Herangehensweise kann hier nachvollzogen werden (Seite 25ff.)

https://www.wellenreiter-invest.de/sites/default/files/jahresausblick/ausblick2007.pdf

Die Daten – auch nicht die Echtzeitdaten - geben eine gesicherte Rezessionsvorhersage aktuell noch nicht her. Aber wir halten die Entwicklung einer US-Rezession im kommenden Jahr durchaus für wahrscheinlich, wenn sich die nachfolgend genannten Prämissen erfüllen sollten. Der klassische Auslöser einer Rezession wäre ein kurzes Aufbäumen der Inflationsrate, gepaart mit einem Renditeanstieg am kurzen Ende, aber stagnierenden bis fallenden Renditen am langen Ende. Wir erwarten - allein schon aufgrund des Basiseffekts - höhere Inflationsraten im ersten Quartal 2016. Eine kurzfristige Renaissance der Rohstoffpreise würde unterstützend wirken. Ein Bruch des S&P 500-August-Tiefs würde die Wahrscheinlichkeit einer Rezession genauso erhöhen wie ein steigender US-Dollar, der eine Auflösung von Yen- und Euro-Carry-Trades mit sich bringen würde. Dies würde den Märkten weitere Liquidität entziehen.

Ende 2006 war die Datenlage deutlich auf eine Rezession ausgerichtet. So weit ist es derzeit noch nicht. Aber die Gefahr nimmt zu.

Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest

P.S. Ein kostenloses 14tägiges Schnupperabonnement erhalten Sie unter www.wellenreiter-invest.de

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