Analyse
10:40 Uhr, 25.07.2008

Ölpreisrückgang entlastet, aber wie lange?

Erwähnte Instrumente

Externe Quelle: Unicredit

Wir sehen das mittelfristige Umfeld für Aktien weiter skeptisch. Wie letzte Woche dargestellt haben sich die Chancen auf eine technische Erholungsbewegung kurzfristig verbessert. Wir werten die Kurserholung im Finanzsektor jedoch im Wesentlichen als technisch getriebene Reaktion auf die vorangegangenen heftigen Kursverluste. Zusammen mit dem in den letzten Tagen zu verzeichnenden, deutlichen Rückgang des Ölpreises ergibt sich damit jedoch zunächst eine Entlastung in den zentralen Belastungsfaktoren der letzten 2 Monate. Zudem hat sich bei den Unternehmensberichten für das 2. Quartal bisher zwar eine sehr gemischtes Bild ergeben (siehe ebenso im Sektorteil), außerhalb des Finanzsektors scheint es jedoch bislang wie bereits von uns vermutet weiterhin nicht zu einer breit angelegten Verschlechterung gekommen zu sein. Nachdem rund ein Drittel der S&P 500 Unternehmen berichtet haben liegen die Quartalsergebnisse der Nichtfinanzunternehmen gemäß Bloomberg weiterhin rund 10% über dem Vorjahr. Solange das globale Wachstumsbild jedoch eher in Richtung einer weiteren Abschwächung neigt (letzte Indikation hierfür: niedrigeres Q2-Wachstum in China von 10,1% nach 10,6%) ist das Risiko eines letztlichen Überspringens der Finanzkrise auf den Rest des Marktes als deutlich höher einzuschätzen als die Chance auf eine dauerhafte Abkopplung.

Den Unternehmen droht sowohl von operativer Seite als auch über eine Verschlechterung der Refinanzierungsbedingungen eine Belastung. Die jüngsten Daten zum Auftragseingang in der Eurozone bestätigen das Bild einer noch länger anhaltenden Eintrübung in den harten Konjunkturzahlen.

Mit einem Rückgang um 4,4% gegenüber Vorjahr hat sich in der in den letzten Monaten deutlich gewordene Abwärtstrend verfestigt, was für ein rückläufiges Volumenswachstum und eine schlechtere Kapazitätsauslastung in der Industrie spricht. Vor diesem Hintergrund ist zu erwarten, dass die gestiegenen Input-Kosten (höhere Löhne und Preise für Rohstoffe bzw. Vorprodukte) die Margenentwicklung zunehmend belasten werden. In vergangenen Abschwungszyklen wurde diese Belastung regelmäßig durch fallende Zinssätze abgemildert, die eine Entlastung auf der Finanzierungsseite bewirken. Dies zeichnet sich derzeit jedoch noch nicht ab, da sich die Renditen von Staatsanleihen weiterhin im Aufwärtstrend befinden und sich die Corporate Bond Spreads zuletzt wieder ausgeweitet haben. Die langfristigen Finanzierungssätze für Fremdkapital (gemessen an der IBOXX Corporate Non-Financial Rendite für 7-10jährige Anleihen) sind somit zuletzt auf den höchsten Stand seit nahezu 6 Jahren gestiegen. Seit Anfang letzten Jahres hat sich die Refinanzierung somit um fast 2 Prozentpunkte verteuert.

Wir reduzieren unsere Kursziele aufgrund derzeit noch nicht absehbarer Entspannung in den Belastungsfaktoren für die Bewertungskennzahlen. Zwar befinden sich die absoluten KGV’s und Dividendenrenditen nicht nur in Europa sondern auch global betrachtet auf im historischen Vergleich sehr attraktiven Niveaus. Dies gilt auch wenn man statt der noch immer als klar zu hoch anzusehenden Konsensgewinnschätzungen zyklisch bereinigte KGV’s verwendet. Vor dem aktuellen Hintergrund global zunehmender Stagflationstendenzen ist jedoch davon auszugehen, dass der Derating- Prozess der letzten Monate nicht nur sentimentgetrieben ist, sondern durch fundamentale Trends unterstützt wird. Kombiniert man die Entwicklung eines globalen Frühindikators mit der aktuellen Inflationsrate, so lassen sich die aktuellen Bewertungsniveaus des MSCI World gut nachvollziehen. Eine nachhaltigere Bewertungsausdehnung setzt folglich entweder eine Aufhellung in den Frühindikatoren voraus, die sich derzeit jedoch noch nicht abzeichnet, oder eine deutliche Zurückbildung in den Inflationsraten. Da unsere Rohstoff-Analysten für die nächsten Monate nur einen moderat niedrigeren Ölpreis um 125 USD erwarten, sehen wir folglich keine nachhaltige Entspannung in dem dargestellten Bewertungsindikator. Wir revidieren daher unsere Kursziele für Ende 2008 wie bereits angekündigt nochmals nach unten. Für den STOXX 600 erwarten wir nun 295 nach 340 Punkte, für den S&P 500 erwarten wir 1310 nach 1450 Punkte und für den DAX erwarten wir 6700 nach 7200 Punkte. Somit sehen wir zwar zum Jahresende Chancen auf höhere Aktienkurse, die weiter bestehenden Rückschlagsgefahren (eine Ende der Kreditkrise ist weiter nicht in Sicht, kein klarer Reflationsimpuls, Gefahr einer restriktiver werdenden Geldpolitik, zunehmende Schwierigkeiten bei der Rekapitalisierung von Finanzinstituten) sprechen jedoch für nochmalige Rücksetzer in den nächsten Monaten. Die Gefahr neuer Jahrestiefs sehen wir daher noch nicht gebannt.

Den Ölpreis sehen wir in den nächsten Monaten weiterhin als wichtigsten singulären Einflussfaktor für die Aktienmärkte. Bereits seit Wochen ist der Ölpreis stark übergekauft, weshalb die derzeitige Korrektur technisch geprägt ist und sich an unserem generellen Bild nichts ändert. Das globale Nachfragewachstum bleibt im Falle einer graduellen Abschwächung der Emerging Markets (unser Szenario) hoch, gleichzeitig dürften sich die Indizien für begrenzter werdende Möglichkeiten der Angebotsausdehnung verstärken (Peak Oil Hypothese). Da der Ölpreis jedoch als entscheidende Stellschraube der derzeitigen Stagflationsdiskussion anzusehen ist, kommt ihm in Hinblick auf die Aktienmarktentwicklung eine zentrale Bedeutung zu. Bis zum Jahresende weiter steigende Ölpreise (Hurrikans, geopolitische Risiken, klarer werdende Brisanz der Angebots-/Nachfragesituation) würden die ohnehin bestehenden Risiken für die Konjunktur zusätzlich verstärken. Andererseits könnte ein nachhaltigerer Rückgang (z.B. um rund 35% wie in H2/2006, d.h. auf unter 100 USD) die Belastung durch die Stagflationsdiskussionen schneller abkühlen lassen als derzeit angenommen. Vor diesem Hintergrund ist klar die Sensitivität von Kurszielen in Abhängigkeit der zugrundeliegenden Ölpreisannahmen zu betonen.

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Über den Experten

Alexander Paulus
Alexander Paulus
Technischer Analyst und Trader

Alexander Paulus kam zunächst über Börsenspiele in der Schule mit der Börse in Kontakt. 1997 kaufte er sich seine erste Aktie. Nach einigen Glückstreffern schmolz aber in der Asienkrise 1998 der Depotbestand auf Null. Da ihm das nicht noch einmal passieren sollte, beschäftigte er sich mit der klassischen Charttechnik und veröffentlichte seine Analysen in verschiedenen Foren. Über eine Zwischenstation kam er im April 2004 zur stock3 AG (damals BörseGo AG) und veröffentlicht seitdem seine Analysen auf stock3.com (ehemals GodmodeTrader.de)

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