Kommentar
19:14 Uhr, 27.04.2010

Ölpreise: Rücksetzer im Mai?

Charttechnische Situation

Die Rohölpreise befinden sich seit knapp drei Wochen in einer Seitwärtsbewegung und konnten in dieser Woche auf hohem Niveau konsolidieren. Zwei Pole prägten die Woche: Ein extrem bearisher DoE-Wochenbericht, dessen Wirkung nach einer Schrecksekunde verpuffte, und eine Reihe positiver Frühindikatoren für die Weltkonjunktur, einschließlich einer höheren Wachstumsprognose des IWF für die Weltwirtschaft.

Brent und WTI gaben zu Wochenbeginn zunächst wie erwartet nach und lagen bis zum Freitag unter dem Vorwochenschluss, konnten sich aber nach der Veröffentlichung positiver Konjunkturdaten mit einer heftigen Aufwärtsbewegung ins Plus retten. Am Ende schloss Brent die Woche 1,47 Prozent, WTI 2,26 Prozent höher. Die Produkte legten vergleichbar stark zu.

Brent hat damit den Ausbruch aus dem Winterkorridor (70/82) bestätigt, während die Lage bei WTI immer noch unklar ist, da die Preise sich nicht von der oberen Grenze des Winterkorridors (70/85) lösen können.

Finanzmärkte & Korrelationen

Die Aktienmärkte sind nach wie vor im Aufwärtstrend. Sie wurden dabei von einer Reihe sehr guter Frühindikatoren unterstützt, die auf eine Beschleunigung des weltweiten Wachstums deuten. Dabei sollte allerdings berücksichtigt werden, dass es sich vor allem um Stimmungs- und Auftragsindikatoren oder um Unternehmensgewinne und Aktienkurse handelte. Der Ölverbrauch hängt hingegen von der tatsächlichen, physischen Aktivität der Verbraucher und Unternehmen ab. Hier waren die Daten bis zuletzt wenig erbaulich.

Die Unruhe vom vorletzten Freitag, als die Klage gegen Goldman Sachs angekündigt wurde, scheint dennoch vergessen. Der Volatilitätsindex VIX ist wieder auf sorglose 16 Punkte gefallen.

Positionen & Strategien

Der Anstieg der Ölpreise wird in Medienberichten und von Tradern fast ausschließlich mit der Aussicht auf ein höheres Wirtschaftswachstum, und damit höhere Ölnachfrage, begründet. Diese Erklärung halten wir für ungenau und unvollständig:

1. Wenn ein Ölverbraucher damit rechnet, dass die Nachfrage im weiteren Verlauf des Jahres oder 2011 steil anziehen wird, dann würde er die zeitlich dazu passenden Lieferkontrakte kaufen, nicht aber die Frontmonate, die ihm während seiner "Wartezeit" monatliche Rollverluste bzw. Lagerkosten bescheren würden.

2. Wenn ein versierter Finanzinvestor mittelfristig optimistisch gestimmt ist, würde auch er die zeitlich passenden Terminkontrakte kaufen, nicht die Frontmonate.

3. Nur die weniger versierten Spekulanten oder Privatanleger kaufen über ETFs oder diverse Börsenprodukte die Frontmonate, sei es, weil ihnen der Mechanismus der Rollverluste nicht ausreichend bewusst ist, weil sie emotional handeln, oder weil sie einseitig auf die Nachfrageseite, aber nicht auf die Angebotsseite bei Öl blicken. Studien (z.B. von Trimtabs) stellen immer wieder fest, wie schlecht das Markttiming der ETF-Investoren ist.

4. Kurzfristig orientierte Trader kaufen den Frontmonat, weil er volatil ist und weil sie aus Erfahrung wissen, dass es ausreichend Spekulanten gibt, die trotz extremer Risiken und ohne ausreichende Hintergrundinformationen in die aktuellen Kontrakte investieren.

Höhere aktuelle Ölpreise können also mit Konjunkturaussichten kaum fundamental begründet werden. Dieses Erklärungsmuster verweist letztlich auf eine spekulative Gemengelage von Motiven und Akteuren.

Gesamtspekulation (OILSPEX): Der spekulative Bias der Ölpreise ist nun bereits die vierte Woche in Folge gestiegen. Am letzten Stichtag (20. April 2010) wurde mit netto 454 Mio. Barrel spekulativ auf steigende Ölpreise gewettet. Das sind 7 Mio. Barrel (bzw. 7.000 Kontrakte) mehr als in der Vorwoche. Das ist der höchste bislang von uns ermittelte Wert. Spekulative Positionen stellen allerdings mit 1,40 Mio. Kontrakten (short und long futures) nur noch 40,1 Prozent der erfassten Terminkontrakte. Das sind 0,9 Prozentpunkte weniger als zuvor.

Mit anderen Worten: Spekulanten ziehen sich etwas aus dem Terminmarkt zurück, aber in erster Linie durch den Abbau von Shortpositionen, die auf fallende Ölpreise setzen. Dadurch dominieren die Wetten auf steigende Ölpreise stärker als bisher. Offensichtlich wird ein steiler Rückgang der Ölpreise momentan von immer weniger Marktteilnehmern für möglich gehalten.

Hinzu kam der noch im März sehr enge Spread zwischen dem vorderen und dem hinteren Ende der Terminkurve. Angesichts der bullishen Langfristerwartungen lud diese Konstellation zum Kauf der hinteren Monate ein oder zumindest zum Kauf von Spreadkontrakten (hier wird z.B. ein weiter in der Zukunft liegender Kontrakt gekauft und ein zeitnaher Kontrakt verkauft). Das dadurch entstehende Contango wird im zweiten Schritt durch Akteure im physischen Markt stabilisiert. Hier wird die risikolose Strategie der Lagerarbitrage verwendet.

Das Contango muss also nicht zwangsläufig als physische Schwäche interpretiert werden. Es kann auch eine Stärke der Finanzinvestoren indizieren, so dass die Kurve als Ganze nach oben verschoben wird, obwohl das Frontende schwach ist.

WTI (Nymex, ICE): Ein detaillierter Blick auf die Positionen bei WTI offenbart, dass die Money Manager ihre Longpositionen leicht abgebaut haben. Sie reduzierten ihre Netto-Long-Wetten um 6.800 Kontrakte auf 190.500. Das wurde jedoch durch den Abbau der Shorts bei Swap Dealern (netto +12.100 gegenüber Vorwoche) und bei "Sonstigen Spekulanten" (netto +12.400) kompensiert (vgl. S.9 und 10). Die spekulative Orientierung des Gesamtmarktes wurde also durch eine breitere Basis stabilisiert.
Für sich genommen hätte dies die WTI-Preise steigen lassen können, aber die Zahl der Ölproduzenten/Ölhändler, die das hohe Preisniveau für Shortpositionen nutzen wollten, war groß genug, ein Gegengewicht zu bilden.

Brent: Die Dynamik hat sich immer stärker in den Brentraum verlagert. Er ist enger an die nachfragestarken asiatischen und Nahost-Märkte gekoppelt. Zudem können schon leichte technische (und nicht immer unwillkommene) Ausfälle bei einzelnen Nordseefeldern zu plötzlichen Verknappungen in Nordwesteuropa führen, die den BFOE-Preiskomplex und damit auch den ICE Brentkontrakt nach oben bewegen. Die aktuelle Stärke von Brent ist wohl auch auf eine physische Verknappung in der Nordseeregion zurückzuführen, da die Brent-Futures auf der ICE wichtige Preisimpulse aus den relativ großen physischen Forward Markets erhalten.

Spreads

Die Time Spreads zeigen eine starke Frontschwäche bei WTI, doch ab dem dritten Kontraktmonat (August) liegen Brent und WTI in etwa gleichauf. Ab dem zwölften Monat verläuft die Kontraktkurve nahezu flach.

Finanzinvestoren werden sich in dieser Situation zunehmend auf das Backend konzentrieren, wo die Rollverluste nahe Null sind und zahlreiche Angebote der Produzenten vorhanden sein dürften. In der Tat ist das Open Interest z.B. für den Dez.2011-Kontrakt seit Anfang März sprunghaft von 64.000 auf 86.000 Kontrakte angestiegen. Ein genereller Trend lässt sich aber nicht feststellen. So blieb das OI für Dezember 2010 und 2012 nahezu unverändert.

Retail Investors begnügen sich ohnehin mit Standard-ETFs, die sich am Frontende engagieren. Das führt zwar zu hohen Rollverlusten, kann aber die Laune anscheinend nicht trüben.

Die rechnerischen Crack Spreads halten sich im April in den USA auf hohem Niveau, geben aber bei europäischem Gasoil etwas nach, was auf die Stärke des Brentrohöls zurückzuführen sein dürfte. Unklar ist, ob die Vermutung stimmt, dass die tatsächlichen Raffineriemargen bei anderen Rohölsorten als WTI oder Brent deutlich niedriger liegen.

Fundamentaldaten - Deutschland

Ab dieser Ausgabe berichten wir regelmäßig über die Verbrauchslage in Deutschland.

2000-2009: Ein statistischer Überblick zeigt zunächst, dass der Gesamtabsatz an Mineralölprodukten seit Jahren konstant fällt. Das ist vor allem eine Folge des geringeren Verbrauchs von Ottokraftstoffen (Benzin) und von leichtem Heizöl. Mildere Winter und andere Heizformen haben den Verbrauch von Heizöl reduziert, während effizientere Fahrzeuge und der Trend zu Dieselmotoren für den Rückgang bei Ottokraftstoffen sorgte. Der Dieselverbrauch stieg trotz der Verlagerung nicht an, was u.a. eine Reaktion auf den höheren Anteil von Biodiesel und effizientere Motoren ist.

2008-2010: Ein Blick auf die aktuelle Entwicklung ohne Heizöl (S.4) zeigt überraschenderweise, dass die Ölnachfrage in Deutschland kaum auf den konjunkturellen Einbruch Anfang 2009 und die Konjunkturerholung Anfang 2010 reagiert hat. Der stark abweichende Wert vom März 2010 ist eine Schätzung und muss noch bestätigt werden.

Das könnte im Umkehrschluss bedeuten, dass der Ölverbrauch auch bei einer stärkeren konjunkturellen Erholung nicht steigen wird.

Fundamentaldaten - USA

Der aktuelle Wochenbericht des DoE war in jeder Hinsicht bearish. In allen größeren Produktgruppen fand ein starker Lageraufbau statt, der durch saisonale Effekte nicht erklärbar ist. Das gilt insbesondere für US-Benzin, wo sich die höhere Raffinerieproduktion nun negativ bemerkbar macht.

Der Bericht stützt die Vermutung, dass die US-Raffinerien derzeit überproduzieren und damit den Lageraufbau beschleunigen. Das vergrößert das Produkt-Contango, was zwar durch Lagerarbitrage kurzfristig die Frontpreise stabilisiert, aber über kurz oder lang einen weiteren Preisanstieg bremsen müsste.

Die Preisdämpfung könnte allerdings schon lange vorher einsetzen, wenn die amerikanischen Autofahrer ihren Benzinverbrauch aufgrund der Tankstellenpreise von knapp unter 3 Dollar/Gallone einschränken sollten. Hinzu kommt der Effekt der Arbeitslosigkeit: Etwa 19 Prozent aller Fahrten in den USA führen zum oder vom Arbeitsplatz. Weitere 9,5 Prozent sind zumindest "work-related".

Die gesamte Ölnachfrage in den USA scheint seit Februar saisonal bedingt wieder zu fallen, ohne bislang einen konjunkturellen Aufschwung anzudeuten. Der neue Monatsbericht am 29. April (PSM) wird mit revidierten Daten für Februar näheren Aufschluss geben.

Fundamental: Floating Storage

Immer wieder hört man die These, dass die Floating Storage fast völlig abgebaut worden sei. Das ist jedoch sehr unwahrscheinlich, wie Zahlen von Goldman Sachs und IEA zeigen. Die globalen Lagermengen onshore und offshore dürften im April sogar wieder gestiegen sein, wie erste Zahlen aus den USA und das attraktive Contango bei Rohöl und mehreren Produkten nahelegen. Durch das Flugverbot in Europa (Vulkanasche) sind außerdem die globalen Vorräte an Jet Fuel um circa 5 Mio. Barrel angewachsen. Weitere 30 Millionen Barrel soll der Iran in den letzten Wochen auf Tankern eingelagert haben.

Der Anstieg der Lagerarbitrage (auf dem Spotmarkt physische Ware kaufen, auf Termin zu höheren Preisen verkaufen) hatte 2009 die Ölpreise weltweit stabilisiert. Weitaus höhere Charterraten dürften diesen Effekt in diesem Jahr allerdings begrenzen. PIW vemutet, dass der globale Angebotsüberschuss nach wie vor hoch ist und bereits dazu führt, dass die "Asian Premium", also der Preisaufschlag für Term Contracts Richtung Asien, vielleicht demnächst einem "Asian Discount" Platz macht. Die längerfristigen Lieferverträge (Term Contracts) liefern demnach ein anderes Bild als die bullishen Spotkontrakte.

Ausblick
Das Sentiment und das Niveau der Rohölpreise stehen in einem immer größeren Widerspruch zur fundamentalen Lage. Der Frontmonat wird schwach bleiben, und der Effekt hoher Rollverluste sollte auch den zweiten und dritten Monat immer schwächer werden lassen. Die spekulativen Zuflüsse werden versiegen, sobald sich die Korrelationsstrategie Aktien-Öl erschöpft hat, womit wir spätestens im Laufe des Mais rechnen. Das sollte dann den bearishen fundamentalen Faktoren einen größeren Einfluss geben. Wir rechnen daher mit nachgebenden Preisen, die Brent und WTI bis in die Nähe von 80 $/b führen werden.

Autor: Dr. Steffen Bukold

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