Kommentar
09:45 Uhr, 16.03.2016

Ölkrise: Entspannung, aber nicht Entwarnung

Die Erholung des Ölpreises ist nicht weniger als bemerkenswert. Nach fast 50% Plus innerhalb eines Monats ist von Entwarnung allerdings noch keine Spur. Es kann noch immer richtig hässlich werden.

Im Zentrum der Ölkrise stehen Entwicklungsländer. Der niedrige Ölpreis ist der prominenteste Vertreter einer viel größeren Krise. Rohstoffpreise – ob Kohle, Kupfer, Zink, Erdgas oder Öl – sind stark gefallen. Das hat viele Länder in die Rezession gedrängt und zu einem Kollaps lokaler Währungen geführt. Notenbanken hoben daraufhin die Zinsen an, um die Inflation zu bekämpfen und die Währungen zu stabilisieren. Das drückte das Wirtschaftswachstum noch tiefer.

Steigende Rohstoffpreise sind für Entwicklungsländer wichtig. Kurz gesagt: steigen Rohstoffpreise, dann fließt Kapital ins Land. Fallen Rohstoffpreise, dann beginnt Kapitalflucht. Das verstärkt die Konjunkturzyklen ungemein. Seitdem Rohstoffpreise ihre vorläufigen Tiefs im Februar markiert haben, atmen einige Regierungen auf. Das ist verfrüht.

Für die OPEC Länder zeigt Grafik 1 den geschätzten, fiskalischen Breakeven Preis von Öl. Wird der Breakeven Preis erreicht, dann müssen Staaten keine Schulden aufnehmen. Die Breite an Schätzungen ist groß. Sie reichen z.B. für den Iran von 72 bis 130 Dollar je Barrel. Die Unsicherheiten sind entsprechend groß. Man kann mit hoher Wahrscheinlichkeit jedoch die Aussage treffen, dass der Ölpreis aktuell deutlich unter den Breakeven Preisen liegt.

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Man muss nicht lange analysieren, um das festzustellen. Saudi-Arabien hat im vergangenen Jahr ein Defizit von 100 Mrd. Dollar angehäuft. Das geschah bei einem Durchschnittspreis im vergangenen Jahr von ca. 48 Dollar. Obwohl Öl wieder deutlich gestiegen ist liegt der aktuelle Preis noch wesentlich unter dem Durchschnittspreis des vergangenen Jahres.

Damit 2016 zumindest der gleiche Durchschnittspreis wie 2015 erreicht werden kann, muss der Ölpreis ab jetzt bis Jahresende kontinuierlich über 50 Dollar notieren. Wie wahrscheinlich das ist, kann man sich vorstellen. Bis 50 Dollar je Fass fehlen noch 25 % Preisanstieg.

Die Defizite des vergangenen Jahres waren schon dramatisch. Man kann sich vorstellen, wie es aussieht, wenn der Durchschnittspreis in diesem Jahr bei 40 Dollar liegt. Für viele Staaten ist ein solches Szenario eine Katastrophe. Die meisten Regierungen haben ihren Budgets für dieses Jahr einen Durchschnittspreis von 45 bis 55 Dollar zugrunde gelegt. Selbst jene Staaten, die mit niedrigen Preisen rechnen (Kuwait) und planen, erwarten ein Haushaltsdefizit von 5 % bis 10 % der Wirtschaftsleistung.

Grafik 2 zeigt OPEC Länder mit ihrer Wirtschaftsleistung sowie den Ölleinnahmen bei einem Preis von 40 und 100 Dollar je Barrel. Vor 2 Jahren lag der Preis noch bei 100 Dollar, heute steht er bei 40. Für die abgebildeten OPEC Länder bedeutet dieser Preisrückgang zusammen einen Verlust von Einnahmen von 500 Mrd. Dollar pro Jahr. Das entspricht im Durchschnitt 13 % der gemeinsamen Wirtschaftsleistung.

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Der einzige Grund, weshalb die meisten Wirtschaften nicht zusammengebrochen sind, liegt in den konstanten Staatsausgaben. Die Ausgaben sind noch immer so hoch wie 2013 oder 2014. Da die Einnahmen drastisch geschrumpft sind, müssen die Ausgaben durch Schulden finanziert werden.

Länder wie der Iran und Qatar sind weniger stark betroffen. Der Rückgang der Einnahmen aus Ölexporten drückte die Wirtschaftsleistung um weniger als 5 %. Entsprechend „harmlos“ waren die Haushaltsdefizite dieser Länder. Grafik 3 zeigt die 2015 realisierten bzw. erwarteten Defizit sowie die Gesamtverschuldung der Länder. Die meisten Staaten können sich über eine niedrige Verschuldungsquote freuen. Algerien, Saudi-Arabien und Kuwait sind mit weniger als 10 % ihrer Wirtschaftsleistung verschuldet.
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Das wird sich 2016 ändern. Die erwarteten Defizite liegen 2016 auf ähnlichen Niveaus wie 2016. Zwar bemühen sich viele Staaten zu sparen, doch ein niedrigerer Ölpreis als 2015 macht diese Bemühungen wieder zunichte. So dürften die Defizite im besten Fall bei 2 % (Nigeria) liegen und im schlechtesten Fall bei 20 % (Venezuela). Venezuela kocht sein eigenes Süppchen. Die Verschuldung wird derzeit durch die Notenpresse finanziert. Die Folge ist eine hohe Inflation und eine extrem brenzlige Lage im Land.

Die Verschuldung wird 2016 stark steigen. Daran kann man gar nicht zweifeln. Interessant ist, dass die Staatsverschuldung bisher noch nicht deutlicher angestiegen ist. Der Grund dafür liegt in den Rücklagen einiger Länder. Anstatt sich tatsächlich über die Ausgabe von Anleihen zu verschulden, werden die Staatsfonds geplündert.
Einige Länder haben hohe Vermögen in diesen Fonds. Kuwait kann auf mehr als das Dreifache seiner Wirtschaftsleistung zurückgreifen. Die Vereinigten Arabischen Emirate haben ebenfalls ein Vielfaches ihrer Wirtschaftsleistung in mehreren Fonds liegen.

Nicht jeder dieser Fonds kann komplett geplündert werden. Einerseits sind mehrere Pensionsfonds unter den Vehikeln, andererseits lässt sich nicht jede Anlage von heute auf morgen liquidieren (z.B. Immobilienbestände). Länder wie Algerien, Nigeria oder der Iran haben so geringe Rücklagen, dass sie sich auf diese ohnehin nicht verlassen können. Jene Länder, die hohe Rücklagen haben, können nicht alles liquidieren.

Saudi-Arabien hat einen Fonds, der 85 % der Wirtschaftsleistung schwer ist. Bei einem jährlichen Defizit von 15 % ist auch das nicht sonderlich viel. Vermutlich werden viele Staaten ihre Fonds in diesem Jahr weniger stark Mittel entziehen und stattdessen lieber Schulden aufnehmen. Es lässt sich auf Dauer schlecht verkaufen, wenn die Ersparnisse aus über 20 Jahren innerhalb von weniger als 5 Jahren verschleudert werden.

Bei den nach wie vor niedrigen Ölpreisen hat sich für die meisten OPEC Länder nichts geändert. Sie sind nach wie vor in der Situation, dass sie die Staatsverschuldung entweder explodieren lassen müssen oder die Ersparnisse deutlich senken. Die Staatsfonds sind für schwierige Zeiten angelegt worden, doch diese Zeiten sollten eigentlich erst kommen, wenn sich die Ölquellen erschöpfen. Stattdessen können viele Staaten in Kürze wieder bei null beginnen ihre Rücklagen zu bilden.

Die Geschwindigkeit, mit der Rücklagen aufgebraucht werden, lässt auch daran zweifeln, ob Staatsfonds allein ausreichen, um die Zukunft der OPEC Länder zu sichern. Noch fließt ja Öl. Tut es das eines Tages nicht mehr, dann sind die Staaten innerhalb von 5 Jahren bankrott. Es zeigt sich, dass die Wirtschaften in den vergangenen 20 Jahren überhaupt nicht entwickelt wurden. Von Diversifikation ist keine Spur. Der Großteil der OPEC Länder hat – etwas übertrieben ausgedrückt – nichts, aber auch gar nichts außer Öl. Das ist kein Überlebensmodell und jetzt, da gespart werden muss, werden kaum Investitionen in neue Wirtschaftszweige getätigt werden können.

Die aktuelle Ölpreiskrise wirft die OPEC in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung mindestens ein Jahrzehnt zurück. Auch unter dem hohen Leidensdruck, der derzeit herrscht, wird nicht reformiert. Wenn es nicht in den kommenden Jahren böse endet, dann spätestens, wenn Öl in 20 Jahren als Energieträger massiv an Bedeutung verlieren wird.

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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