Kommentar
14:01 Uhr, 19.05.2015

Öl: Zurück auf Los?

Öl, egal welcher Sorte, steht nach einer 40% Rallye wieder bei über 60 USD pro Fass. 60 USD sind noch nicht die 100 USD wie noch vor einem Jahr, aber die Erholung des Preises ging jetzt schneller als von vielen gedacht. Kann man die Krise damit abhaken?

Wenn es nach der OPEC geht, dann bleibt der Ölpreis noch lange niedrig. Bei einem Treffen in Wien wurden verschiedene Szenarien bis 2025 durchgespielt. Ein Preis von über 100 USD kommt in keinem Szenario vor. Optimistische Prognosen sehen den Preis bei 76 USD in 10 Jahren. Die US Ölsorte WTI (West Tedas Intermediate) steht mit 60 USD nur gut 20% darunter. Ein Anstieg des Ölpreises auf 76 USD bis 2015 würde real einen stagnierenden Preis bedeuten. Wenn man aus der Ölpreisgeschichte allerdings eines lernen konnte, dann sicherlich, dass der Ölpreis alles macht, außer stabil bleiben.

Historisch gesehen schwankt der Ölpreis innerhalb von 10 Jahren sehr stark. Nach unten kann man Abweichungen von bis zu 85% erwarten. Nach oben hin ist die Skala fast offen. Den größten Anstieg gab es in den 70er Jahren. Damals verteuerte sich Öl innerhalb von 10 Jahren um den Faktor 19. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Ölpreis auf Sicht von 10 Jahren stagniert, liegt praktisch bei Null. Wieso also redet die OPEC den Ölpreis klein?

Diese Frage stellen sich viele seit Beginn des Crashs. Von Ende 2014 bis weit in der erste Quartal 2015 hinein verging fast kein einziger Tag, an dem nicht ein OPEC Ölminister noch tiefere Preise verkündete. Den Anfang machte Saudi Arabien mit der Aussage: Öl wird nie wieder über 100 USD steigen. Danach kündigte der Irak an seine Förderkapazität noch einmal um 20% zu steigern. Daraufhin sprach Saudi Arabien davon, dass sie auch mit einem Ölpreis von 25 USD leben könnten.
Es wurde getan, was nur möglich war, um den Ölpreis verbal in den Keller zu drücken. Geholfen hat das letztlich wenig. Der Ölpreis der Sorte WTI lag lediglich 34 Tage lang unter der Marke von 50 USD. Das war weit weniger schlimm als von vielen befürchtet.

Die OPEC hätte den Preis stabilisieren können, wenn sie gewollt hätte. Sie wollte aber nicht. Stattdessen musste man den Eindruck gewinnen, dass der OPEC ein Ölpreis von 0 am liebsten gewesen wäre. Das ist jetzt natürlich übertrieben, ändert aber nichts an der Kernaussage: Der Ölpreis wurde klein geredet. Gründe dafür gibt es viele.
In den vergangenen Wochen ist es wieder etwas ruhiger geworden. Jetzt kommen erneute Verbalattacken auf den Preis. Möglicherweise ist der OPEC der Preis zu schnell gestiegen. Die ersten Schieferölunternehmen aus den USA verkündeten bereits, dass sie die Produktion bald wieder steigern werden. Die meisten Unternehmen warten auf Preise von 65 bis 70 USD. Dann würde sich eine Produktionssteigerung wieder lohnen. Damit ist eigentlich sofort klar: der Preis ist zu hoch.

Die Konkurrenz durch Fracking ist für OPEC Länder ein Problem. Die Produktionssteigerung in Ländern wie den USA nimmt der OPEC Marktanteile weg. Ein niedriger Ölpreis über eine Dauer mehrerer Jahre könnte die Konkurrenz aus den USA beseitigen. Dazu wird es nun wohl nicht mehr kommen. Die OPEC befindet sich damit in einer Zwickmühle. Letztlich will sie möglichst viel Geld verdienen. Zu hohe Preise fördern aber die Konkurrenz. Preise im Bereich von 50 bis 60 USD sind wahrscheinlich wünschenswert. Die Margen für US Schieferölunternehmen wären in dieser Range äußerst dünn. Große Investitionen würden sich wegen der niedrigen Rendite kaum lohnen.

Auf der anderen Seite bedeuten niedrige Preise auch geringere Staatseinnahmen. Viele Haushalte sind auf deutlich höhere Preise angewiesen, um keine Schulden zu machen. Betrachtet man die Haushalte der wichtigsten OPEC Länder, dann sieht die Lage größtenteils nicht so düster aus. Die Staaten der arabischen Halbinsel sind gut gerüstet. Sofern alle anderen Faktoren gleich bleiben, könnten sich die Schulden zwar über die kommenden 10 Jahre verdoppeln oder verdreifachen. Sie lägen dann aber immer noch bei unter 50% der Wirtschaftsleistung. Anders sieht es bei Ländern wie Venezuela aus. Hier würden die Staatsschulden auf über 100% des Bruttoinlandsproduktes steigen. Bevor es allerdings soweit kommt dürfte Venezuela in den Bankrott gehen. Viele Schwellenländer haben bereits bei 50 oder 60% Staatsverschuldung große Probleme sich über den Markt zu finanzieren.

Einige Faktoren sprechen für niedrige Ölpreise. Da ist zum einen die Konkurrenz durch Fracking, Tiefsee und Arktis Öl, zum anderen steht Öl vermehrt auch in der Konkurrenz zu alternativen Energiequellen. Steigt der Ölpreis zu schnell und zu hoch, dann ist der Anreiz groß auf alternative Energiequellen umzusteigen.

Die große Kehrseite niedriger Ölpreise ist eine politische. Viele Staaten haben als Einnahmequelle fast nur das Öl. Brechen hier die Einnahmen weg, dann verschärft sich die ohnehin schwierige Lage. Länder wie Venezuela würden vermutlich einfach einen Schuldenschnitt bekommen, doch in anderen Ländern ist die Situation nicht so „geordnet.“ Was passiert mit den ohnehin instabilen arabischen Ländern, wenn auf einmal die Einnahmen so tief sinken, dass der Staat nicht mehr Aufrecht erhalten werden kann? Schon jetzt sind die Probleme groß Staaten zusammenzuhalten. Viele Länder könnten scheitern und im Chaos versinken – mit allen Problemen, die das mit sich bringt (langer Bürgerkrieg, Machtergreifung des ISS).

Was OPEC Länder momentan ebenfalls fürchten, das sind die zahlreichen Initiativen, die den Klimawandel stoppen sollen. Je mehr Umweltauflagen es gibt, desto weniger Öl wird nachgefragt. In den vergangenen Jahrzehnten gab es zwar immer wieder Bestrebungen den CO2 Ausstoß zu reduzieren, doch die Politik tat wenig, um die Vorhaben auch umzusetzen. Seit wenigen Jahren wird es nun aber immer ernster. Die Zahl an Gesetzen, die auf die Reduktion von Treibhausgasen abzielt, hat sich in den letzten Jahren vervielfacht. Vor wenigen Jahren ließ sich die Zahl an Gesetzen weltweit noch an einer Hand abzählen. Inzwischen sind es hunderte.

Diese verschiedenen Faktoren werden den Ölmarkt mittel- bis langfristig verändern. Daran besteht eigentlich überhaupt kein Zweifel mehr. Kurzfristig bzw. auf Sicht weniger Jahre haben sie kaum einen Einfluss und wenn man ehrlich ist, dann interessiert die wenigsten die wirklich langfristige Perspektive.

Kurzfristig wird der Markt von US Daten gesteuert. Grafik 2 zeigt die Zahl der aktiven Bohrtürme in den USA. Der beispiellose Einbruch ist inzwischen gut bekannt. Neben der drastisch sinkenden Bohraktivität scheint jetzt auch die Produktion langsam nicht mehr zu steigen. Substantiell sinken wird die Produktion nur, wenn der Ölpreis bald wieder fällt. Bleibt der Preis von WTI über 60 USD oder steigt sogar Richtung 70 USD, dann werden viele Schieferölunternehmen ihre Produktion wieder steigern. Bis Jahresende wäre dann wieder eine höhere Produktion zu erwarten.

Die Zahl aktiver Bohrungen in den USA bekommt die meiste Aufmerksamkeit, sie ist aber längst nicht die einzige Kenngröße, die man im Auge behalten sollte. Das Überangebot ist momentan so groß, dass es nicht abgebaut wird, wenn ein paar kleine US Unternehmen in die Insolvenz gehen. Dafür muss deutlich mehr geschehen – und das tut es.
Grafik 3 zeigt die Zahl an aktiven Bohrtürmen weltweit. Der Rückgang ist stark von den USA geprägt, aber nicht nur. Grafik 4 zeigt wie viel des Rückgangs aus welcher Region kommt. In 2015 kamen bisher 20% der Gesamtreduktion von 30% aus den USA. Damit sind die USA derzeit noch treibende Kraft. Was allerdings vor einigen Wochen noch nicht so deutlich war: in allen Regionen der Welt sinkt die Bohraktivität ebenfalls. Das hat Seltenheitswert. In den vergangenen 40 Jahren, für die es Daten gibt, geschah so etwas lediglich in drei anderen Jahren: 1986, 1999 und 2009. Luftsprünge darf man hier nicht erwarten. Sofern sich der Trend nicht bald umkehrt kann man aber einen weltweiten Produktionsrückgang von 1 bis 2% erwarten. Das würde reichen, um das Überangebot abzubauen.

Der Ölpreis wird seine Rallye nicht ungebremst fortsetzen. Ein Rücksetzer von WTI bis mindestens 55 sollte eingeplant werden. Danach wird sich der Ölpreis weiter erholen. Langfristig spricht vieles gegen eine Normalisierung. Kurzfristig bzw. auf Sicht von wenigen Jahren kann man nicht erkennen, dass sich die Dynamik des Ölmarktes bereits verändert hat. Daher gilt: alles wieder beim Alten, zumindest vorerst.

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2 Kommentare

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  • Dieter_HW
    Dieter_HW

    Herr Schmale, welche Krise? Ich bekam regelmäßig die Krise, wenn ich vor einer Tankstelle stand und mir wunderbare Zahlen von 1,70 Euro /l Super ins Auge stachen. DAS waren Krisen. Man wurde ja schon fast depressiv angesichts der völlig überzogenen Preise.

    Schreiben Sie doch mal einen Artikel mit der Headline „Ölpreis sinkt endlich. Wir werden alle wieder gesund". Oder hauen auf die Ölbarone ein, die sich jahrzehntelang auf Kosten ganzer Volkswirtschaften die Taschen vollgestopft haben.

    Wenn ich könnte, würde ich den Kurs auf mind. 25,-- Euro shorten.

    17:40 Uhr, 19.05.2015
  • Eulen_spiegel
    Eulen_spiegel

    Das hochschießen des Ölpreises ist meiner Meinung nach nur eine Markreaktion - es ist halt viel mehr Geld im Markt als Öl, letztendlich ist auf dem Terminmarkt reales Öl nur störend und überflüssig.

    Technisch (Real-) ist das Ganze ein Schweinezyklus, den Tiefpunkt haben wir noch nicht gesehen. In den letzten Jahren des 100-Dollar-Öls wurden jede Menge unkonventionelle Förderungen mit Billionensummen produktiv gebracht. Tiefseeöl, Ölsande, auch das Fracking, Reaktivieren von alten Feldern mit Dampf und neuen Bohrungen.

    Diese sind jetzt alle nahezu gleichzeitig produktiv geworden (es dauert ja einige Jahre bis solche Riesenprojekte fertig sind) und werden die nächsten Jahre das Angebot hoch halten.

    Und dann schlägt der Schweinezyklus wieder zu - heute erschließt keiner mehr 60-80 Dollar-Quellen, die Investitionen werden stark zurückgefahren auf das Melken vorhandener Quellen, der Decline der aktuellen Quellen nimmt seinen Lauf bis es wieder Bumm macht und der Ölpreis nach oben schießt.

    Alternative Energien können diesem Zyklus dann ein Ende setzen - man wird dann nur noch das preiswertere Öl als Chemiegrundstoff brauchen.

    14:37 Uhr, 19.05.2015

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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