Kommentar
15:01 Uhr, 19.11.2010

Öko-Experiment mit deutscher Beteiligung

Erwähnte Instrumente

Masdar, 2006 initiierte Blaupause für die Zukunft nachhaltiger Städte, gönnt sich einen Verschnaufer: Die geplante Ökostadt am Rand von Abu Dhabi, Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate, soll später und vor allem finanziell günstiger fertig werden.

Die Kosten des Projekts sind nach monatelangen Beratungen jüngst um gut ein Zehntel auf 20 Milliarden Dollar gekürzt worden, die Fertigstellung ist um zehn Jahre auf 2025 verschoben. Hintergrund sind die Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise, die auch vor den Ölstaaten nicht Halt gemacht hat: Bauherr Abu Dhabi, das finanzkräftigste und ölreichste der sieben Emirate, musste in der Krise u.a. dem in eine finanzielle Schieflage geratenen Nachbaremirat Dubai mit zehn Milliarden Dollar beispringen.

Ursprünglich sollte die sechs Quadratkilometer große und für fast 50.000 Menschen ausgelegte Stadt 30 Kilometer östlich der Hauptstadt Abu Dhabi, Versuchslabor für die Ära nach dem Ölzeitalter, auf einen 7,5 Meter hohen Sockel gestellt werden, um den Verkehr unter die eigentliche Stadt zu legen. Diese Version wurde jetzt zugunsten einer ebenerdigen Lösung fallengelassen. Die Ökostadt soll zugleich mit weniger Gebäuden auskommen, dafür in die Höhe wachsen. Auch die Zahl der vor vier Jahren geplanten führerlosen - und in der Anschaffung sehr teuren - Elektrotaxis wurde eingedampft – weil Autoanbieter weltweit inzwischen zur Massenfertigung von erschwinglichen E-Mobilen übergehen.


Retortenstadt im Wüstensand: Modell von Masdar City aus der Vogelperspektive.

Rund 1500 Firmen und Institute aus dem Ökologiesektor sollen in Masdar angesiedelt werden. Der erste Gebäudekomplex, das Masdar Institute of Science and Technology – erste Hochschule der Welt, die sich ausschließlich dem Komplex der ökologischen Nachhaltigkeit auf Basis der erneuerbaren Energien widmet –, ist seit Mitte 2010 fertiggestellt, die Studenten sind bereits eingezogen. Ein Drittel der Energie wird von Photovoltaik-Anlagen auf den Dächern erzeugt, drei Viertel des Warmwassers werden ebenfalls auf dem Dach aufbereitet. Ein Solarkraftwerk mit einer Kapazität von 10 Megawatt, das bislang größte der Golfregion, liefert derzeit den Hauptanteil des benötigten Stroms. Ursprünglich sollte Masdar seinen Energiebedarf allein aus stadteigenen Solarkraftwerken decken können. Doch in der Überarbeitung des Masterplans soll nun auch eine Stromzufuhr von außerhalb – etwa von Geothermie-Kraftwerken – die Stadt versorgen helfen.
Die zum Teil vom britischen Stararchitekten Norman Foster entworfene weltweit erste kohlendioxidneutrale Stadt, mit deren Bau im Februar 2008 begonnen wurde, soll vollständig durch erneuerbare Energien versorgt werden. Durch konsequentes Recycling fällt kaum Abfall an.

Rund um das Masdar Institute of Science and Technology soll in den nächsten Jahren ein erster Teil der Stadt entstehen. Ein noch zu errichtendes, größtes Gebäude der Stadt soll die Internationale Agentur für Erneuerbare Energien beherbergen. Im ersten Teil Masdars auf einem Sechstel der Stadtfläche sollen 8600 Menschen wohnen und rund 12.000 Pendler arbeiten. Fertiggestellt werden soll Masdar nach den jüngsten überarbeiteten Plänen bis 2025.


Keine Fatamorgana am Horn von Afrika: Masdar City soll bis 2025 fertig sein.

Siemens entdeckt die Retortenstadt als Experimentierfeld
Dabei soll der Elektrokonzern Siemens eine Schlüsselrolle spielen, wie jüngst bekannt geworden ist. Aufgrund der Technologieführerschaft des Konzerns soll Siemens unter anderem ein innovatives Stromnetz in Kombination mit energieeffizienter Gebäudetechnik errichten. Das Auftragsvolumen liegt im höheren zweistelligen Millionenbereich. Angekündigt hat der Konzern auch, sein Hauptquartier für die Region nach Masdar zu verlegen, sobald die Stadt stehe.

Siemens sieht Masdar als Großlabor für zukünftige Geschäfte mit der Wasser- und Stromversorgung in den wachsenden Metropolen der Welt. Laut einer Studie der Unternehmensberatung Booz, Allen & Hamilton wollen Megacitys in den nächsten 25 Jahren rund 27 Billionen Euro in den Ausbau der Wasser- und Stromnetze und der Verkehrsinfrastruktur stecken.

Siemens hat daher in Masdar die Möglichkeit entdeckt, neue Technologien wie komplexe intelligente Stromnetze – Smart Grids – in der Praxis zu testen. Dabei schalten sich Waschmaschinen zum Beispiel dann an, wenn erneuerbare Energien zur Verfügung stehen – etwa am späten Abend, wenn Wind aufkommt, der Windkraftanlagen antreibt. Beim künftigen Wachstumstreiber Smart Grids und deren Schlüsselkomponenten. rechnet Siemens bis 2014 mit Aufträgen im Gesamtvolumen von rund sechs Milliarden Euro.
Darüber hinaus will Siemens in Masdar an der Abscheidung und Speicherung des Klimakillers CO2 forschen. Insgesamt will der Konzern in Masdar rund 2000 Wissenschaftler mit ihren Mitarbeitern ansiedeln.


Steter Aufwärtstrend: Kursentwicklung der Siemens-Aktie im 1-Jahres-Verlauf.

Wie wichtig die CleanTech-Branche für den Münchner Münchner Industriegiganten wird, zeigen folgende Zahlen: Siemens hat vor wenigen Tagen verkündet, man wolle bereits 2014 die magische Umsatzmarke von 40 Milliarden Euro mit grünen Technologien übertreffen. Im laufenden Geschäftsjahr 2010 macht der Siemens-Konzern mit Produkten, Lösungen und Dienstleistungen des Umweltportfolios bereits rund 28 Milliarden Euro Umsatz.

Obwohl die Pläne Abu Dhabis für Masdar etwas eingedampft worden sind, will das Emirat weiter auf grünem Kurs bleiben: „Seit Beginn der Bauphase wollen wir kontinuierlich lernen, anpassen und unsere Vision für Masdar-City weiterentwickeln“, argumentiert Sultan Al Jaber, Direktor der Planung- und Investitionsgesellschaft Masdar. Der Schlüssel zum Erfolg liege darin, flexibel zu sein und sich „an die Entwicklungen von Markt und Technologie anzupassen“. Die Vision als Ganzes bleibe trotz der Abänderungen des ursprünglichen Masterplans erhalten, versichert Al Jaber.

Den oben stehenden Artikel lesen Sie in der aktuellen Ausgabe von "Nachhaltigkeit & Investment", die gestern erschienen ist. Die Publikation können Sie hier kostenlos abonnieren.

Passende Produkte

WKN Long/Short KO Hebel Laufzeit Bid Ask
Keine Ergebnisse gefunden
Zur Produktsuche

Keine Kommentare

Du willst kommentieren?

Die Kommentarfunktion auf stock3 ist Nutzerinnen und Nutzern mit einem unserer Abonnements vorbehalten.

  • für freie Beiträge: beliebiges Abonnement von stock3
  • für stock3 Plus-Beiträge: stock3 Plus-Abonnement
Zum Store Jetzt einloggen