Neue EU ist einmalige Chance
- Lesezeichen für Artikel anlegen
- Artikel Url in die Zwischenablage kopieren
- Artikel per Mail weiterleiten
- Artikel auf X teilen
- Artikel auf WhatsApp teilen
- Ausdrucken oder als PDF speichern
Aktuelle Original Tagesschau Meldungen:
Schröder: Neue EU ist einmalige Chance
Einen Tag vor dem Beitritt von zehn weiteren Ländern zu Europäischen Union haben Vertreter aller im Bundestag vertretenen Parteien die EU-Erweiterung gewürdigt. Zugleich gab es im Bundestag aber auch Streit über die Ausformung der Erweiterung.
Bundeskanzler Gerhard Schröder bezeichnete die EU-Erweiterung als Erfüllung einer historischen Mission. Die Aufnahme der Staaten sei eine konsequente Fortsetzung der europäischen Einigung, sagte Schröder in einer Regierungserklärung vor dem Bundestag. Völker, die seit langem Teil Europas seien, kämen zurück in die europäische Familie, betonte der Kanzler in Anwesenheit der Botschafter aus den alten und neuen EU-Mitgliedsländern.
Schröder warnte davor, die europäische Erweiterung vor allem als Gefahr zu betrachten. Die Angst vor einem Verlust von Arbeitsplätzen durch den Beitritt weiterer Staaten in die EU werde in teilweise unverantwortlicher Weise geschürt. Es könne sein, dass deutsche Unternehmen Arbeitsplätze ins Ausland verlagerten. Dadurch könnten sie aber auch ihre Wettbewerbsfähigkeit erhöhen, was wiederum zu mehr Beschäftigung in Deutschland führe. "Deutschland wird am meisten von der Erweiterung profitieren", sagte er.
Merkel sieht Deutschland nicht genügend vorbereitet
Unions-Fraktionschefin Angela Merkel begrüßte die EU-Erweiterung als "zweiten großen Schritt zur Wiedervereinigung Europas" und sprach von einem "Tag der Freude". Der Beitritt der neuen EU-Mitglieder bedeute politisch, wirtschaftlich und kulturell eine Bereicherung für alle Beteiligten. Dies eröffne vor allem für junge Menschen Perspektiven.
Zugleich warf sie Schröder vor, seine Regierung versäume es, durch tief greifende Reformen die Wirtschaft zu stärken und damit wettbewerbsfähig zu machen. Vor allem in der Steuerpolitik sei die Bundesrepublik nicht ausreichend auf die europäischen Entwicklungen vorbereitet. Bayerns Ministerpräsident Stoiber erklärte, die Bundesregierung habe keine ausreichende Antwort auf die Ängste der Bevölkerung vor der EU-Erweiterung. Über diese Sorgen dürfe nicht leichtfertig hinweggegangen werden, mahnte Stoiber. Der CSU-Chef kritisierte unter anderem, deutsche Steuergelder flössen in EU-Fördermittel, mit denen Arbeitsplätze aus Deutschland verlagert würden.
Neuer Streit um Steuern und Grenzen der Erweiterung
Schröder warnte davor, die EU-Erweiterung als Grund für Steuer- und Lohnsenkungen in Deutschland zu betrachten. Die Zukunft der Bundesrepublik könne nicht in einer gnadenlose Konkurrenz um niedrige Löhne und Steuersätze liegen. Die Bundesregierung werde darauf achten, dass es keinen einseitigen Steuerwettbewerb zu Lasten der Nettozahler der Union gebe. Während Schröder Beitrittsverhandlungen mit der Türkei ausdrücklich unterstütze, sprach sich die Union erneut gegen deren Aufnahme aus. (Mehr.) Schröder wie Außenminister Fischer hoben die Notwendigkeit hervor, sich bald über die EU-Verfassung zu einigen.
"Ende der schmerzlichen Teilung Europas"
Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) betonte zu Beginn der Parlamentssitzung, mit der EU-Erweiterung ende die schmerzliche Teilung Europas. Die Erweiterung sei aber nicht nur die Antwort auf die "Erfahrung von Krieg, Zerrissenheit und Leid", sondern "vor allem ein Zukunftsbündnis", sagte Thierse.
Am 1. Mai werden Polen, Tschechien, Ungarn, Slowenien, die Slowakei sowie der drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen sowie die beiden Mittelmeerinseln Malta und Zypern der EU beitreten.
Rau: Osterweiterung beendet willkürliche Teilung Europas
Unmittelbar vor der EU-Osterweiterung hat Bundespräsident Johannes Rau als erstes deutsches Staatsoberhaupt eine Rede vor beiden Häusern des polnischen Parlaments gehalten. "Für Deutsche und Polen beginnt ein völlig neuer Abschnitt unserer Nachbarschaft", betonte er in Warschau. Der Weg in die EU habe eine gewaltige Umstellung nötig gemacht. "Der Beitritt der neuen Mitgliedstaaten ist aber wahrlich kein westeuropäischer Gnadenakt. Er ist eine historische Notwendigkeit", sagte der Bundespräsident weiter. Die Erweiterung beende die willkürliche Teilung des Kontinents.
"Alte Wirtschaftsräume werden wieder zusammenwachsen"
Zugleich verwies er auf die Sorgen der Bürger in den Grenzregionen. Man müsse die Ängste vor einem Verlust von Arbeitsplätzen oder vor der Verlagerung von Firmen ernst nehmen. Aber hinter diesen Schwierigkeiten dürfe "die epochale Bedeutung des Beitritts nicht verschwinden". Es müsse deutlich werden, was es bedeute, dass die so lange umstrittenen Grenze an Oder und Neiße am 1. Mai zur Binnengrenze werde. "Alte Wirtschaftsräume werden wieder zusammenwachsen."
Der Bundespräsident, der von seiner Ehefrau begleitet wird, folgte einer Einladung des polnischen Präsidenten Aleksander Kwasniewski. Vor Rau haben erst drei ausländische Persönlichkeiten vor beiden Kammern des Parlaments in der polnischen Hauptstadt gesprochen: der ehemalige US-Präsident Bill Clinton, Papst Johannes Paul II. und die britische Königin Elizabeth II.
Blair: Einfluss Großbritanniens wird wachsen
Der britische Premierminister Tony Blair verspricht sich von der EU-Erweiterung eine Stärkung des freien Handels und der Rolle Großbritanniens in Europa. Der Beitritt von zehn neuen Staaten werde London mehr Einfluss bei der Gestaltung des Kontinents geben, da die Beitrittsländer die pro-amerikanische Haltung und die Politik des Freihandels unterstützten, schrieb er in einem Artikel für die Tageszeitung "The Times".
EU-Staats- und Regierungschefs feiern in Dublin
Polen, Tschechien, Ungarn, Slowenien, die Slowakei, die drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen sowie die beiden Mittelmeerinseln Malta und Zypern werden der EU heute Nacht um 00.00 Uhr beitreten. Mit der Erweiterung gewinnt die Union 74 Millionen neue Bürger hinzu. Die dann 25 EU-Staats- und Regierungschefs feiern das historische Ereignis im irischen Dublin. Darüber hinaus sind in Deutschland wie in den Beitrittsländern vom Baltikum bis nach Malta viele Festlichkeiten geplant.
Anbei eine Kopie eines aktuellen Kommentars aus der FAZ:
Kommentar
Auf dem Gipfel
Von Berthold Kohler
30. April 2004 Es ist ein großer Schritt, trotz aller Sorgen und Bedenken: Europa tritt aus dem langen Schatten Hitlers und Stalins. Am 1. Mai 2004, dem Tag der Ost-Erweiterung der EU, überwindet es endgültig seine ein halbes Jahrhundert dauernde Teilung, die das Werk beider Despoten war.
Das nach dem Zweiten Weltkrieg im Westen wiederaufgenommene Einigungsprojekt, das schon dem Willen seiner Väter nach auch das östliche Europa umfassen sollte, zielt allerdings weit über die Restauration des alten europäischen Staatensystems hinaus.
Die Nationen, die sich dieser paneuropäischen Einigungsbewegung verschrieben haben, wollen sich enger zusammenschließen als jemals zuvor in der Geschichte des modernen Nationalstaats, manche bis hin zu dessen Ablösung durch den europäischen Bundesstaat. Er soll Europa wieder den Einfluß in der Welt verschaffen, den es durch die Bruderkriege des vergangenen Jahrhunderts verlor.
Eine Geschichte des Erfolgs
Doch auch für die EU-Mitglieder, alte wie neue, die weniger revolutionäre Vorstellungen von der "Finalität" des Vorhabens hegen, ist die Nichtteilnahme undenkbar geworden. Die bisherige Geschichte des Einigungsprozesses ist bei allen Unzulänglichkeiten eine Geschichte des Erfolgs.
Sie reicht von der Versöhnung von Erzfeinden über die Stabilisierung junger Demokratien bis zur Vertreibung des Elends aus den einstigen Armenhäusern Westeuropas. Der Anziehungskraft dieser Friedens- und Wohlstandsproduzentin haben sich auch jene Nationen nicht widersetzen wollen, die nach dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums einen historischen Wiedergutmachungsanspruch für Jalta geltend machten.
Sanfte Ordnungsmacht
Die Selbstverständlichkeit, mit der die Beitrittsländer Teilhabe am Einigungsprojekt verlangten, hat der EU großen Einfluß auf die Entwicklung dieser Gemeinwesen und damit auf die Ordnung eines Raumes gegeben, der sich erstmals seit den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts wieder selbstbestimmt organisieren konnte. Die Bedingungen der EU für den Beitritt wirkten so disziplinierend, modernisierend und befriedend auf die mit Grund "Reformländer" geheißenen Beitrittsaspiranten, daß man sich wünschte, die alten EU-Mitglieder müßten sich ebenfalls einem solchen Prüfungsprozeß unterwerfen.
Die sanfte Ordnungsmacht EU trug nicht nur maßgeblich dazu bei, daß der größte Teil des europäischen Ostens nach dem Zusammenbruch der alten Hegemonialmacht nicht in einem vormodernen Chaos versank; sie hat dort auch eine Erneuerungspolitik in Staat und Gesellschaft unterstützt, die aus Ländern wie der - lange verunglimpften - Slowakei Vorbilder für reformlahme Alteuropäer machte.
Gefahr des Niedergans
Gleichwohl besteht die Gefahr, daß der 1. Mai 2004 den Gipfelpunkt des Erfolgs der EU markieren könnte, dem der Niedergang folgt. Denn die EU hat das Reformprogramm, das sie sich selbst auferlegt hatte, um nach der Rekorderweiterung entscheidungs- und handlungsfähig zu bleiben, nur unzureichend absolviert. Das wird sich rächen, nimmt doch mit der Vergrößerung die Uneinheitlichkeit der EU in fast jeder Hinsicht erheblich zu.
Die politische Kultur der Europäer des Westens und des Ostens ist in Jahrhunderten von denselben geistesgeschichtlichen Prozessen geformt und harmonisiert worden; nur mit einer solchen Verwandtschaft im Geiste kann ein übernationales Gemeinwesen überhaupt funktionieren. Doch haben die alten und die neuen Mitglieder im vergangenen Jahrhundert auch unterschiedliche Erfahrungen gemacht, die ihre Geschichtsbilder, ihr Denken und Handeln beeinflussen.
Nationale Wiedergeburg
Als Deutschland von Hitler erlöst wurde, kamen die Völker im Osten unter ein neues Joch. Sie haben - die Lettin Kalniete sagte es jüngst - nicht vergessen, daß auch Stalin ein Völkermörder war. Deutschland suchte und fand nach der Niederlage sein Heil in der Flucht in eine unbelastete europäische Identität. Die von der Breschnew-Doktrin befreiten Nationen hingegen erfüllten sich den Traum von der nationalen Wiedergeburt im eigenen Staat; sie werden nicht so schnell von ihm lassen.
Für Völker wie Polen und Tschechen mit düsteren Erinnerungen an die Mittellage zwischen Deutschland und Rußland vollendet sich die wiedergewonnene Souveränität ihrer Staaten in der EU-Mitgliedschaft, die ihnen mehr noch als die Nato Sicherheit vor der Großmacht im Osten und Gleichberechtigung mit der großen Macht im Westen verschafft. Auch das besondere Interesse des "neuen Europa" an guten Beziehungen zu Amerika erklärt sich aus den Albträumen der mitteleuropäischen Vergangenheit.
Innere Konsolidierung
Diese und andere Interessenunterschiede, bei der Umverteilung des Wohlstands wie in der Frage der historischen Mission der EU, werden häufigere und schärfere Konflikte zur Folge haben als bisher. Wird sich der größere Kreis aber auf Regeln zu deren Lösung einigen können, ohne die eine Lähmung im Innern wie nach außen droht?
Sich nach Osten zu öffnen war für die EU vergleichsweise leicht. Nun folgt der schwerere Teil: die innere Konsolidierung, weit über das bloße institutionelle Gerüst hinaus.
Identitäts- und Finalitätsdebatte
Vor allem muß sich die EU endlich darüber klarwerden, was sie sein und wie weit sie reichen will. Der Identitäts- und Finalitätsdebatte darf sie nicht länger ausweichen, denn aus Größe wird nicht automatisch Stärke. Obwohl neue und alte Mitglieder eine tausendjährige gemeinsame Geschichte und Kultur verbindet, werden ihre Unterschiede und Gegensätze das (noch schwache) Zusammengehörigkeitsgefühl Europas, ohne das es eine nachhaltige Bereitschaft zu Wohlstandsteilung und Souveränitätsverzicht nicht geben kann, auf Jahrzehnte hinaus einer Prüfung unterziehen.
Ihr Ausgang ist ungewiß. Wer in dieser Zeit auch noch den Beitritt eines großen nichteuropäischen Landes betreibt, das ganz andere Wurzeln hat, riskiert alles; er macht aus der Möglichkeit des Scheiterns der europäischen Einigung eine Wahrscheinlichkeit.
Nachrichtenmeldung der AFP
Europa feiert Anbruch einer neuen Epoche
Brüssel/Berlin (AFP) - Europa feiert den Anbruch einer neuen Ära: Am Vortag der Aufnahme von zehn neuen Mitgliedern würdigten Politiker über den gesamten Kontinent hinweg die EU-Erweiterung als epochale Zäsur in der Geschichte Europas. Entlang des früheren "Eisernen Vorhangs" und in den Hauptstädten der Alt- und Neumitglieder liefen die letzten Vorbereitungen für die Feiern zu Ehren der erweiterten Union, die fortan von Finnland im Norden bis Zypern im Süden und von Portugal im Westen bis zu den baltischen Staaten im Osten reicht.
Es begann eine Abfolge symbolträchtiger Inszenierungen, mit denen Politik und Zivilgesellschaft das Ende der 50-jährigen Spaltung Europas besiegelten und das Entstehen eines Staatenblocks mit 25 Mitgliedern und 450 Millionen Bürgern feierten. So trafen sich im alpinen Bergland des Dreiländerecks zwischen Österreich, Italien und Slowenien in 1500 Metern Höhe Regierungschefs und Minister der Anrainerländer.
Bundeskanzler Gerhard Schröder und die Ministerpräsidenten von Tschechien und Polen, Vladimir Spidla und Leszek Miller, schrieben in einem gemeinsamen Zeitungsbeitrag für die "Lausitzer Rundschau": "Mit dem heutigen Tag schließen wir symbolisch die leidvollen Kapitel unserer gemeinsamen Geschichte, die durch die Teilung unseres Kontinents, die Trennung seiner Bürger und die Unfreiheit von Staaten geprägt waren."
Der amtierende EU-Ratspräsidenten Bertie Ahern würdigte das "unwiderrufliche Ende der künstlichen Teilung Europas". Kommissionspräsident Romano Prodi sagte: "Wir werden endlich in der Lage sein, weltweit eine bedeutsame Rolle zu spielen."
In mehreren Städten entlang der deutschen Grenzen zu Polen und Tschechien waren Feiern zum Beitritt vorgesehen. Irland, das derzeit die Ratspräsidentschaft innehat, bereitete große Jubelfeierlichkeiten in seiner Hauptstadt Dublin vor. Für Samstag werden dort die Staats- und Regierungschefs der dann 25 EU-Länder erwartet, ebenso wie 100.000 Gäste zu einem europäischen Volksfest.
Malta, der kleinste Beitrittsstaat, plant für die Nacht das größte Feuerwerk aller Beitrittsländer. Zypern plant zweitägige Freudenfeiern. In Estland sollen ab Samstag eine Million Bäume gepflanzt werden. In Budapest wurden drei Donaubrücken für EU-Partys gesperrt. In Warschau will Polens Präsident Aleksander Kwasniewski um Mitternacht die Flaggen aller 25 Mitglieder hissen.
Dem Beitritt von Zypern, Malta, Tschechien, der Slowakei, Ungarn, Polen, Slowenien, Litauen, Lettland und Estland waren sechsjährige Beitrittsverhandlungen vorausgegangen.
Keine Kommentare
Die Kommentarfunktion auf stock3 ist Nutzerinnen und Nutzern mit einem unserer Abonnements vorbehalten.