Kommentar
10:13 Uhr, 09.01.2013

Neue Allzeithochs 2013? Teil II

Vor zwei Wochen konnte ich an dieser Stelle Euphorie verbreiten. Das Wachstum in diesem Jahr wird wahrscheinlich unterschätzt und die Märkte befinden sich in einem gesunden Zustand. Setzt man die Gesamtmarktkapitalisierung in Bezug zum Bruttoinlandsprodukt, ergibt sich ein solider Aufwärtstrend, bei dem wir eher an der unteren als der oberen Kante stehen. Die Bahn ist also anscheinend frei für weiter steigende Kurse, vielleicht sogar neuen Allzeithochs. Es gibt dabei leider nur ein Problem: Aktien sind bereits unverschämt teuer.

Anlagenotstand ist keine Zauberformel für alle Zeiten

Die zwei Hauptargumente für weiter steigende Kurse sind der Anlagenotstand und das günstige Bewertungsniveau. Während ersteres vielleicht noch immer zutreffen mag, ist letzteres äußerst fraglich. Man könnte sagen, dass Geld trotz des hohen Bewertungsniveaus nach wie vor in die Aktienmärkte fließt, da es nicht genügend alternative Anlageklassen gibt. Gold wird nach wie vor bejubelt, doch wer will knapp unter den historischen Höchstständen hier noch groß einsteigen? Sichere Anleihen bringen kaum Rendite und viele Rohstoffe eignen sich nicht besonders gut für langfristige Anlagen (z.B. wegen der Volatilität wie bei Erdgas oder der Marktgröße – der Markt für Schweinebäuche ist einfach vergleichsweise klein).

Der erste Chart zeigt, wie die Bewertung von Aktien im historischen Vergleich aussieht. Dabei gibt es zwei Maßstäbe. Der erste ist das klassische Kurs-Gewinn-Verhältnis. Als grober Indikator kann es durchaus herangezogen werden, ist aber in den meisten Marktphasen untauglich. In Rezessionen, wenn die Unternehmensgewinne zusammenbrechen, ist das KGV am höchsten und zeigt somit meist zum Tiefpunkt eines Bärenmarktes eine Überbewertung an. Ähnlich ist es im Aufschwung. Die Börsen nehmen Erholungen vorweg. Bis das KGV wieder billig aussieht, ist ein Großteil der Kursgewinne schon Geschichte (kommt Ihnen das bekannt vor? Viele reden davon, das KGV sei günstig. Eine Andeutung, dass der Großteil der Bewegung schon vorbei ist?).

Der zweite Indikator ist das Shiller KGV. Hier werden als Basis reale Werte herangezogen und nicht nominelle Werte wie beim klassischen KGV. Zudem werden die Daten geglättet, sodass es nicht zu absurden Ausschlägen kommen kann, wie etwa im ersten Quartal 2009, als das klassische KGV über 100 erreichte. Betrachtet man den Chart, fällt auf, dass das klassische KGV ziemlich genau beim historischen Durchschnitt liegt. Das Shiller KGV steht hingegen 30% höher.

Je nach Betrachtungsweise sind Aktien also fair- oder überbewertet. Eines sind sie jedenfalls nicht – billig. Natürlich stellt sich die Frage, ob es wirklich angebracht ist, 130 Jahre Geschichte als Maßstab anzusetzen. Vielleicht haben sich die Zeiten ja tatsächlich geändert. Ein Blick auf die Entwicklung des Shiller KGV zeigt einen stetigen Anstieg, von ursprünglich 13 auf nun 20. Bei einem aktuellen Wert von knapp über 21 relativiert sich die Überbewertung wieder ein wenig. Auch der gleitende Durchschnitt macht Hoffnung. Hier scheint sich ein Boden gebildet zu haben.

Also doch zugreifen? Ein Blick auf die Rendite stellt das infrage. Die Rendite ist hier die Gewinnrendite. Verdient ein Unternehmen pro Aktie z.B. einen Euro bei einem Aktienkurs von 10, dann ist die Gewinnrendite 10% bei einem KGV von 10. Der nachfolgende Chart zeigt die Shiller Rendite, die KGV Rendite und den S&P 500 auf inflationsbereinigter Basis. Stark steigende Renditen gehen mit stark fallenden Kursen einher (da es sich um den Kehrwert des KGV handelt ist der Verlauf genau reziprok zum KGV).

Was sagen diese Renditen aus? Sehr hohe Renditen bedeuten letztlich, dass niemand Aktien haben möchte, trotz attraktiver Bewertungsniveaus. Niedrige Renditen bedeuten, dass jeder Aktien kauft, trotz hoher Bewertungen. Woran liegt das? Wird die Zukunft als pessimistisch gesehen, hilft mir eine Rendite von 20% heute nichts, wenn sie in Kürze auf 2% fällt. Es wird also von fallenden Kursen ausgegangen. Umgekehrt kaufe ich Aktien bei hoher Bewertung nur, wenn ich von weiter steigenden Kursen ausgehe. Logisch ist das nur, wenn mittelfristig auch die Gewinne steigen. Lässt man das wilde Auf und Ab einmal außen vor, bewegt sich der Markt in langen Wellen. Der letzte markante Tiefpunkt der Renditen und Kurshochs war zur Jahrtausendwende. Seitdem hätte die Rendite eigentlich massiv ansteigen müssen. Tatsächlich aber sind die Kurse gefallen bzw. stagnierten und die Rendite mehr oder minder stabil geblieben. Eine so ausgedehnte Phase der Überbewertung ist vollkommen neu in der Geschichte.

Damit sind wir wieder beim Anlagenotstand angekommen. Obwohl Aktien bereits hoch bewertet sind, wird nach wie vor investiert, als gäbe es kein Morgen mehr. Das sollte skeptisch stimmen. Wegen Alternativlosigkeit kann sich dieser ungewöhnliche Zustand durchaus noch Jahre halten. Tritt aber irgendwann doch wieder eine Normalisierung ein, kommt es zu einem bösen Erwachen.

Das Fazit dieses Indikators ist also ernüchternd: es deutet sich an, dass sich der momentane Zustand fortsetzt. Es ist kein massiver Einbruch zu befürchten, aber auch kein Durchstarten. Vielmehr sind nominell steigende Kurse zu erwarten. Die reale Rendite von Aktien dürfte aber mittelfristig über 5% kaum hinauskommen, wenn sich keine neue Blase an den Märkten bildet. Das Shiller KGV könnte auf 25 ansteigen, was nominal einem Kursplus von 15-20% entspricht. Das ist das positive Szenario. Bei negativer Sichtweise lässt sich bei der Rendite ein Boden und moderater Aufwärtstrend ausmachen. In der Geschichte endete das in einem beschleunigten Anstieg, d.h. stark fallenden KGVs. Würde die Wirtschaft stagnieren, während Aktien abgestoßen werden, müsste mit einer ca. 25%igen Korrektur gerechnet werden. Fällt die Wirtschaft in eine Rezession, sind Abschläge von 40% und mehr einzukalkulieren.

Das sind moderate Aussichten für den US Markt. In Europa sieht es besser aus. Hier stehen wir bei einem Shiller KGV von 10. Das Niveau ist also durchaus interessant. Historisch lag das Tief bei 5. Das war Anfang der 80er Jahre und der Beginn eines 20-jährigen Bullenmarktes. Eine Korrektur von 20% in diesem Jahr wäre eine exzellente Einstiegschance für den EuroStoxx50.

Was ist eigentlich Wert?

Es wird gerne vom Über- oder Unterbewertung gesprochen. Etwas kann nur über oder unter Wert liegen, wenn es einen fairen Wert gibt. Als fairer Wert wird gerne ein historischer Durchschnitt herangezogen. Mangels Alternativen ist das nicht schlecht. Es sollte aber immer in der Perspektive der Marktphase gesehen werden. Die Märkte lagen seit 1991 durchwegs über ihrem fairen Wert und doch setzte sich der Trend ein Jahrzehnt lang weiter fort. Dann kommt es noch auf den Indikator an. Meist zeigen sie in die gleiche Richtung, allerdings kann das Ausmaß der Über- oder Unterbewertung stark divergieren.

Ein Versuch, eine möglichst realistische Einschätzung zu bekommen, ist Tobin’s Q. Der Quotient wurde von James Tobin populär gemacht. Der Quotient zeigt das Verhältnis von Marktwert zu Substanzwert an. Tobin definiert den Substanzwert als Wiederbeschaffungswert aller Anlagen eines Unternehmens. Werte über 1 bedeuten, dass ein Unternehmen an der Börse über den Vermögenswerten gehandelt wird. Werte unter 1 bedeuten, dass ein Unternehmen unter den Vermögenswerten gekauft werden kann. Ein Kauf und Abwicklung würde einen sicheren Gewinn bedeuten. Werte um 1 herum erscheinen also sinnvoll. Tatsächlich handeln Unternehmen häufig unter 1. Der Durchschnitt der vergangenen 60 Jahre liegt bei knapp 0,8. Das ist ein realistischer Wert, bedankt man, dass zunächst durch den Kauf eines Unternehmens über die Börse und der Abwicklung, die Jahre dauern kann, hohe Kosten entstehen. Theoretisch sollten diese Kosten bei 20% des zu verwertenden Vermögens liegen. Wir gehen also von einem fairen Wert von 0,8 aus.

Werte über bzw. unter 0,8 spiegeln die Zukunftserwartungen wieder. Ist der Wert unter 0,8, wird angenommen, dass in Zukunft kein Mehrwert geschaffen wird, damit also eine Bewertung über dem eigentlichen Vermögen nicht gerechtfertigt ist. Liegt der Wert z.B. bei 1,5 wird von Wertsteigerung ausgegangen. Der Wert würde dann langfristig zwar zu 0,8 konvergieren, der Kurs der Aktie aber mindestens gleich bleiben, da das Unternehmen mehr und mehr Vermögen anhäuft und mehr wert wird (so das Idealszenario; die Aktie könnte natürlich auch einfach fallen, damit das faire Niveau wieder erreicht wird).

In den vergangenen 60 Jahren lag Q nur in zwei Phasen über 1 – Ende der 60er Jahre und zur Jahrtausendwende. Diesen Hochs folgten über 10 Jahre Stagnation an den Märkten. Derzeit liegt der Quotient bei 0,95 und damit gerade einmal 9 Punkte unter dem Hoch der 60er Jahre. Hier also noch einmal der Hinweis, dass Aktien keinesfalls unterbewertet sind. Auf dem Chart ist den Q Werten eine Trendlinie hinzugefügt. Diese zeigt seit 2009 wieder aufwärts. Das ist ermunternd. Anderseits sind die absoluten Werte so hoch, dass bei moderaten Kurssteigerungen bereits wieder von Mehrwertschaffung ausgegangen wird. Implizit nimmt der Markt also einen Aufschwung an. Entweder das oder wir sind wieder beim Anlagenotstand angekommen, der die Kurse künstlich hochhält...

Was auch immer die Wahrheit ist, wir sind auf Bewertungsniveaus, die momentan den Glauben an einen neuen, langen Bullenmarkt auf die Probe stellen. Kurz- bis mittelfristig ist Luft nach oben. Innerhalb der kommenden zwei Jahre wäre ein massiver Kurssturz aber durchaus gerechtfertigt. Dann könnte sich das Szenario der 80er und 90er Jahre wiederholen. Eine Wiederholung ausgehend vom derzeitigen Niveau ist zwar nicht unmöglich, aber unwahrscheinlich. Um die Frage aus dem Titel zu beantworten: Neue Allzeithochs sind 2013 absolut möglich, aber mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht nachhaltig. Vom unsicheren Umfeld sollte man sich dabei nicht zu sehr irritieren lassen. Ein Börsensprichwort besagt: „A bull market climbs always a wall of worry.“ (frei übersetzt: Kurse steigen entlang der Unsicherheit)

Viel Erfolg

Clemens Schmale

Technischer Analyst bei GodmodeTrader.de

Eröffne jetzt Dein kostenloses Depot bei justTRADE und profitiere von vielen Vorteilen:

  • 25 € Startguthaben bei Depot-Eröffnung
  • ab 0 € Orderprovision für die Derivate-Emittenten (zzgl. Handelsplatzspread)
  • 4 € pro Trade im Schnitt sparen mit der Auswahl an 3 Börsen & dank Quote-Request-Order

Nur für kurze Zeit: Erhalte 3 Monate stock3 Plus oder stock3 Tech gratis on top!

Jetzt Depot eröffnen!

Keine Kommentare

Du willst kommentieren?

Die Kommentarfunktion auf stock3 ist Nutzerinnen und Nutzern mit einem unserer Abonnements vorbehalten.

  • für freie Beiträge: beliebiges Abonnement von stock3
  • für stock3 Plus-Beiträge: stock3 Plus-Abonnement
Zum Store Jetzt einloggen

Das könnte Dich auch interessieren

Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

Mehr über Clemens Schmale
  • Makroökonomie
  • Fundamentalanalyse
  • Exotische Basiswerte
Mehr Experten