Mehr Risiko, mehr Credits
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Weil die Wirtschaft langfristig meist wächst, werden Investoren für Risiken belohnt. Trotz des Einbruchs 2022 hat man mit Aktien und Credits – gemessen an der Volatilität – ordentlich verdient, mit Staatsanleihen eher nicht. Jetzt könnte das Wachstum nachlassen, und die Staatsschulden könnten steigen, was für Staatsanleihen ungünstig wäre. Credits und Aktien sind attraktiver – wegen der niedrigen Zinsen, der weichen Landung der Konjunktur, der Aussichten auf höhere laufende Erträge und des möglichen Wachstumsschubs durch die KI-Revolution. Finanzen und Fundamentaldaten von Unternehmen und Haushalten sind durchweg gut. Den Märkten kann das nur nützen. Es kann sich lohnen, wieder Risiken einzugehen und Credits zu kaufen.
Kommando zurück? Die Notenbanken scheinen sich einig: Es gibt keine überzeugenden Gründe für baldige Zinssenkungen. War es das also? Noch immer befinden wir uns auf dem Tafelberg, und wahrscheinlich müssen wir auf die erste Zinssenkung noch bis zur Jahresmitte warten. Dennoch wird endlos darüber diskutiert, inwieweit aus den Falken von Fed, Bank of England und EZB jetzt Tauben geworden sind. Notenbanken haben immer das Recht, uns zu überraschen. Zwei Ausschussmitglieder der Bank of England stimmten am 1. Februar sogar für höhere Zinsen. Vielleicht wussten sie noch nicht, was bald angesagt ist.
Mehr Geduld: Das ändert aber nichts daran, dass die Zinsen fallen werden. Leitzinssenkungen bleiben eines der wichtigsten Investmentthemen des Jahres. Nur die Timing-Erwartungen haben sich geändert. In den USA wird die erste Senkung jetzt erst für Mai oder Juni erwartet, doch rechnet man noch immer mit um über 100 Basispunkte niedrigeren Leitzinsen zum Jahresende. Auch in Großbritannien geht man von Zinssenkungen um 100 Basispunkte aus, beginnend im Juni. Im Euroraum, wo ebenfalls der Juni als der wahrscheinlichste Monat gilt, rechnet man sogar mit 250 Basispunkten bis zum Jahresende, ausgehend von zurzeit 4,0 Prozent. Im Grunde sagen uns die Notenbanken, dass wir Geduld haben sollen. Man brauche erst noch mehr Anzeichen für ein schwächeres Wachstum und einen weiteren Inflationsrückgang. Angesichts der impliziten Markterwartungen könnten Investoren in den nächsten Wochen und Monaten aber enttäuscht werden, wenn sich die Daten nicht wie erhofft entwickeln.
Wieder seitwärts: Schon letzte Woche hielt ich es für wenig aussichtsreich, auf stärkere Zinssenkungen zu setzen als in den Kursen zurzeit berücksichtigt. Daher finde ich auch Staatsanleihen nicht besonders spannend, einmal abgesehen von ihren wieder höheren Coupons und der Aussicht auf Roll-down-Gewinne. Viele Staatsanleihen notieren nach dem Renditeanstieg in den Jahren 2022 und 2023 jetzt deutlich unter pari, sodass ihre Kurse allmählich steigen werden. Wie meine Anleihenkollegen sage auch ich gerne, dass Rendite nicht gleich Ertrag ist, vor allem auf sehr kurze Sicht. Aber zurzeit könnte es bei den meisten Industrieländer-Staatsanleihen durchaus so sein. Damit die Zinsstrukturkurven bei fallenden Leitzinsen wirklich steiler werden, müssen auch die Renditen kurz- bis mittelfristiger Anleihen fallen, sodass ihre Kurse steigen. Sehr viel verdient man dadurch allerdings nicht. Die zehnjährige Benchmarkrendite dürfte sich nämlich kaum verändern.
Niedrige Erträge mit sicheren Anlagen: Für sich betrachtet hat man mit Staatsanleihen in den letzten zehn Jahren nicht viel verdient. Gemessen am risikoadjustierten Gesamtertrag waren risikolose Langläufer wesentlich schwächer als Credits und Aktien. Als die Notenbanken mit Quantitative Easing für immer niedrigere Renditen sorgten, wurden Anleiheninvestoren implizit Schutz vor Kapitalverlusten und reichlich Liquidität versprochen. Das passte zum damaligen Konjunkturszenario und auch für Investoren, deren Anlagestrategie sich vor allem an ihren Zahlungsverpflichtungen orientierte. Sie akzeptierten durchaus niedrigere Erträge, wenn sie sich auf das Sicherheitsnetz der Notenbanken verlassen konnten. Aber damit war es 2022 vorbei. Nachdem Anleiheninvestoren lange Zeit im Gegenzug für die Unterstützung der Notenbanken auf Ertrag verzichtet haben, verdienen sie jetzt wieder mehr, müssen aber auch mit Zinsrisiken zurechtkommen. Ohne einen Einbruch der Weltwirtschaft dürften Staatsanleihen auch weiterhin hinter anderen Anlagen zurückbleiben.
Risiko lohnt sich: Risikoreichere Titel sind interessanter. Sie legten letztes Jahr ordentlich zu. Der NASDAQ Composite verzeichnete 45 Prozent Gesamtertrag, der S&P 500 26 Prozent und der Index für amerikanische High-Yield-Anleihen mit CCC-Rating 20,4 Prozent. In den letzten zwei Wochen war ich in Europa auf Roadshow und sprach mit vielen Anlegern. Allmählich glaube ich, dass die Risikobereitschaft zunimmt. Viele Investoren scheinen Investmentgrade- und High-Yield-Anleihen ebenso positiv einzuschätzen wie ich, während der Aktienmarktausblick unklarer ist. Konsens ist, dass die Leitzinsen nicht weiter steigen und dass Anleihen wegen der laufenden Renditen jetzt höhere Erträge in Aussicht stellen – und das, anders als Credits, ohne die Gefahr steigender Risikoprämien.
Wiederanlagerisiko: Die Staatsanleihenrenditen werden sich so lange weitgehend seitwärts bewegen, bis sich die Leitzinsen ändern. Credits scheinen daher aufgrund ihrer Spreads attraktiv, auch wenn das Durationsrisiko höher ist als am Geldmarkt. Schon letzte Woche schrieb ich, dass man bei fallenden Zinsen mit Geldmarktanlagen keine Kursgewinne erzielt, sich aber mit niedrigeren Erträgen begnügen muss. Das Wiederanlagerisiko ist erheblich. Wenn man heute zu 5,33 Prozent in dreimonatige US-Schatzwechsel investiert, spricht viel dafür, dass man im April nur noch 4,92 Prozent und im Juli nur noch 4,2 Prozent erhält – und im Oktober sind es wahrscheinlich nur noch etwa 4,0 Prozent. Das sagt jedenfalls die aktuelle Terminkurve. Insgesamt würde man 2024 also 4,7 Prozent einnehmen, und wenn die Märkte recht behalten, wäre es 2025 noch weniger. Credits stellen wesentlich mehr in Aussicht, beträgt die Einstiegsrendite bei amerikanischen Investmentgrade-Anleihen doch zurzeit etwa 5,1 Prozent. Außerdem sind Kursgewinne möglich.
Wir erwarten für dieses Jahr stabilere Anleihenrenditen und attraktive Credit Spreads. Auch die Fundamentaldaten sind gut, sodass ein großer Spreadanstieg unwahrscheinlich ist. Der aktuelle Marktzyklus unterscheidet sich von früheren. Die Unternehmen haben sich diesmal nicht wesentlich höher verschuldet, und die Verbraucher ebenso wenig. In der Coronazeit half die expansive Fiskalpolitik, und die Notenbanken stellten reichlich Liquidität bereit. Man brauchte sich nicht viel Geld zu leihen. Deshalb haben die steigenden Zinsen der Konjunktur bislang so wenig geschadet. Man schätzt, dass die Verschuldungsgrade amerikanischer Investmentgrade-Emittenten heute etwa 3,0 betragen, und für High-Yield-Emittenten geht man von etwa 4,0 aus (gemessen als Quotient aus langfristigen Schulden und Gewinnen). Zu Beginn der Pandemie und in früheren Zyklen war es wesentlich mehr.
Die Staatsverschuldung ist das Problem: Seit Ende 2008 sind die amerikanischen Bundesschulden um 289 Prozent gestiegen, die Unternehmensschulden hingegen nur um etwa 130 Prozent, heißt es im Flow of Funds Report der Fed. Die Staatsschulden sind heute etwa sechsmal so hoch wie die jährlichen Staatseinnahmen (also vor allem Steuern). Vielen Indikatoren zufolge ist der amerikanische Staat heute höher verschuldet als der amerikanische Unternehmenssektor. Ich bin mir nicht sicher, ob die Unternehmensanleihenspreads wirklich weiter steigen müssen. Andererseits könnte eine steigende Staatsverschuldung die Staatsanleihenrenditen nach oben treiben, sodass es sich irgendwann lohnen könnte, Durationsrisiken abzusichern. Bald wird viel darüber spekuliert werden, was Donald Trump tut, falls er im November die Präsidentschaftswahlen gewinnt. Vielleicht wird das Defizit dann noch weiter steigen. Und auch in anderen Ländern drohen höhere Staatsschulden.
Im Wirtschaftsausblick von November 2023 hat die OECD prognostiziert, dass die Bruttoverschuldung der US-Regierung dieses Jahr fast 124 Prozent des BIP betragen wird. Für Großbritannien werden 103 Prozent geschätzt, für Frankreich 120 Prozent und für Italien 148 Prozent. Die Schuldenstandsquoten der großen Industrieländer sind seit Corona gestiegen, und es spricht nur wenig dafür, dass sie so bald wieder fallen – zumal die nachlassende Inflation höhere Realzinsen zur Folge hat. Letzte Woche schrieb ich bereits, dass die Realzinsen deshalb wohl noch einige Zeit auf dem derzeitigen Niveau bleiben oder sogar zulegen werden.
Neue Probleme kleinerer Banken? Zeit für einen Exkurs. Entscheidend ist, dass Investoren mit Credits wohl weiterhin mehr als den risikolosen Zins verdienen. Unkenrufer könnten aber jetzt einwenden, dass diese Woche erneut eine amerikanische Regionalbank Probleme bekam und dass dies mit Gewerbeimmobilien zu tun hat. Die Probleme sind seit einiger Zeit bekannt, da die Nachfrage nach manchen Arten von Gewerbeimmobilien seit Corona schwach ist und die Zinsen für fremdfinanzierte Objekte steigen. Wird daraus ein systemisches Problem für das US-Finanzsystem? Ich glaube nicht, da der Großteil des amerikanischen Finanzsektors stabil ist. Aber wie immer muss man die Dinge genau im Blick behalten. Bei weiteren schlechten Nachrichten von kleineren Banken oder Immobilienfirmen und schwächeren Konjunkturdaten wird man wieder mehr über Zinssenkungen diskutieren, die dann vielleicht schon früher nötig werden können. Aber auch hier gilt, dass vieles bereits in den Kursen berücksichtigt ist.
Technologie wächst weiter: Mein anderes großes Thema für 2024 ist die amerikanische Sonderstellung, vor allem im Technologiesektor. Auch diese Woche legte er wieder hervorragende Ergebnisse vor. Im 4. Quartal 2023 haben Technologieunternehmen alles in allem die Erwartungen übertroffen. Während die Gewinne des S&P 500 nur um gerade einmal 7 Prozent zulegten, waren es bei Technologiefirmen 13 Prozent. Insgesamt hat man mit Technologieaktien seit Jahresbeginn 5,3 Prozent verdient, 140 Basispunkte mehr als am Gesamtmarkt. KI sorgt für immer neue Schlagzeilen. Noch immer scheint sehr viel in Technologie investiert zu werden, in Hardware ebenso wie in Software.
Die Prognosen für 2024 stimmen noch: Einen Monat nach dem Jahreswechsel sind die Aktienerträge noch immer höher als erwartet (+2 Prozent beim MSCI World), während Anleihen eher enttäuschten (‑1 Prozent beim ICE Global Bond Market Index). An den aus meiner Sicht wichtigen Investmentthemen für dieses Jahr hat sich aber nichts geändert. Da sind zunächst die stabilen bis fallenden Zinsen in den USA und Europa und die absehbare Lockerung der Geldpolitik aufgrund der eher weichen Landung der Weltwirtschaft. Das zweite Thema sind bessere Aussichten auf laufende Anleihenerträge, wobei High-Yield-Anleihen noch immer die höchsten risikoadjustierten Erträge erwarten lassen; schließlich sind die Ausfallquoten nach wie vor sehr überschaubar. Das dritte Thema sind höhere Aktienerträge durch Technologie. Gehen Sie also Risiken ein und investieren Sie in Credits, zumindest vorübergehend.
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