Kommentar
09:52 Uhr, 18.07.2012

Mehr Rendite durch weniger Risiko

Was paradox klingt ist die wohl einzige Zauberformel, die es an der Börse gibt. Durchgesetzt hat sich diese Erkenntnis jedoch noch nicht, da allzu viele Vermögensberater, Vermögensverwalter und Fondsmanager seit Jahrzehnten in die gleiche Kerbe schlagen: Mehr Rendite bedeutet mehr Risiko. Wirklich verübeln kann man es ihnen nicht, da der Widerspruch von hoher Rendite bei niedrigem Risiko seit Markowitz einfach nicht mehr aus den Lehrbüchern wegzubekommen ist. Umso interessanter ist es da, dass viele Fonds bei hohem Risiko eine besonders niedrige Rendite aufweisen. Einen gewissen Zusammenhang zwischen Rendite und Risiko scheint es also tatsächlich zu geben.

Markowitz lag nicht vollkommen falsch

Bild 1 zeigt die klassische Theorie, die ich hier aber nicht lang diskutieren möchte. Wichtig ist lediglich, dass es Kombinationen aus Wertpapieren mit verschiedenen Rendite- und Risikoprofilen gibt. Portfolios, die über der roten Linie auf der Effizienzlinie liegen, also Kombinationen aus Aktien und evtl. auch risikolosen Assets, sind effizient. Sie sind im Vergleich zu allen Kombinationen unterhalb dieser Linie zu bevorzugen, da sie bei gleichem Risiko einen höheren Ertrag bringen. Optimal wäre es, ein Portfolio auf der Geraden CAL bzw. CML (Capital Allocation oder Capital Market Line) zu halten. Oft wird allein der schwarze Punkt als optimales Portfolio bezeichnet, allerdings liegt die Definition von optimal an der persönlichen Präferenz, die von Risikoneigung, Renditeerwartung und Bereitschaft zum Hebeln abhängt. Einige Trader, die wegen der Aufregung handeln und nicht wegen des Geldes, könnten ein Portfolio als optimal empfinden, welches ein möglichst hohes Risiko hat. Die Rendite ist eher sekundär. Der normale Anleger wird jedoch ein Maximum an Ertrag bei möglichst geringem Risiko bevorzugen. Markowitz gibt durch seine Theorie Aufschluss darüber, wie ein solches Portfolio zu finden ist.

Mich hat immer irritiert, dass es theoretisch möglich ist, eine unbegrenzt hohe Rendite zu verwirklichen, wenn man nur bereit ist, das entsprechende Risiko zu tragen. Unter Risiko wird für gewöhnlich die Varianz bzw. Volatilität verstanden. Ich muss also bei einer renditemaximierenden Strategie davon ausgehen, dass früher oder später heftige Drawdowns das Depot belasten. Bin ich aber risikoresistent, sollte das gleichgültig sein, solange das erhöhte Risiko langfristig zu einer exorbitanten Rendite führt. Das Problem ist allerdings, dass es diese exorbitante Rendite nicht wirklich zu geben scheint, zumindest nicht langfristig. Wer viel riskiert, kann Glück haben und über Wochen oder Monate eine sehr hohe Rendite erwirtschaften. Wer mit der wilden Spekulation dann aber nicht aufhört, ist fast mit Sicherheit langfristig pleite. Je länger man mit hohem Risiko spekuliert, desto geringer wird die Wahrscheinlichkeit auch weiterhin damit durchzukommen. Einigen gelingt das überraschend lange. Von diesen Fällen hört man immer wieder. Was dabei nicht erwähnt wird, sind die tausenden anderen Anleger und Trader, die durch hohes Risiko ihr Vermögen vermindert und nicht vermehrt haben. So ein Survivor Bias (man hört nur von den ganz wenigen, die es geschafft habe) verzerrt die Risikowahrnehmung.

Es gibt also einen gewissen Widerspruch zwischen der Theorie und empirischen Beobachtungen. Das verleitet dazu, die Theorie zu überdenken und die Effizienzkurve und den Ineffizienzbereich anzupassen. Tatsächlich deutet sich ein Verlauf an, wie er auf Bild 2 zu sehen ist. Der Unterschied zur Originalversion ist die Annahme, dass die Rendite mit steigendem Risiko nicht beliebig erhöht werden kann. Wird ein bestimmtes Maß an Risiko überschritten, steigt der Ertrag nicht mehr, sondern er sinkt wieder. Es bringt also nichts, ein höheres Risiko einzugehen. Im Gegenteil, jeder Prozentpunkt mehr reduziert die Rendite – und zwar erheblich

Die Rendite kann nur weiter gesteigert werden, indem jenseits des schwarzen Punktes, wie in der Originalversion, die Aktienquote über 100% liegt, also gehebelt wird. Insgesamt ist die im zweiten Bild dargestellte Beziehung von Risiko und Ertrag durchaus realistisch. Besonders überzeugte Verfechter des Minimum Varianz Portfolios gehen sogar von einer noch radikaleren Beziehung aus. Diese habe ich auf Bild 3 dargestellt. Hier wird davon ausgegangen, dass eine Reduktion des Risikos zu einer Erhöhung des Ertrags führt. Das dürfte allerdings eher die Ausnahme denn die Regel sein.

Die Zauberformel in der Praxis

Viel wichtiger als die vielen Ausgestaltungen der Theorie ist jedoch die Frage, was Anleger von diesen Überlegungen haben. Zuallererst ist es wichtig anzuerkennen, dass zuviel Risiko zu weniger Ertrag führt. Weniger Risiko muss aber nicht automatisch zu mehr Rendite führen. Vielmehr gibt es eine Risikobandbreite, innerhalb derer der Ertrag optimiert werden kann. Wo aber liegt diese Bandbreite?

Um diese Frage beantworten zu können, braucht man zunächst ein Maß für Risiko. Dafür wird der Betafaktor verwendet. Beta beschreibt das systematische Risiko eines Wertpapiers. Das angestrebte Portfolio besteht nur aus riskanten Anlagen, also keinen sogenannten risikolosen Anlagen wie etwa Bundesanleihen. Der Markt, oft ein Index, hat ein b von 1. Hat eine Aktie ein b größer 1, ist der Wert schwankungsanfälliger als der Markt. Ein b unter 1 heißt, dass eine Aktie weniger stark schwankt als der Markt. Da die Schwankungsanfälligkeit der Hauptgradmesser für Risiko ist, eignet sich der Faktor ganz gut, um ein Portfolio zu konstruieren.

Die Ideen der oben beschriebenen Theorien haben praktisch folgende Aussagen: Im ersten Fall ist durch die Erhöhung des Risikos eine höhere Rendite möglich. Im zweiten Fall steigt die Rendite mit höherem Risiko, allerdings nur bis zu einem gewissen Punkt. Steigt das Risiko, also das b weiter an, fällt die Rendite wieder. Im dritten Fall erreicht das Portfolio mit dem niedrigsten b die höchste Rendite. Zu diesem Thema gibt es inzwischen viele Untersuchungen. Das Ergebnis von fast allen Studien zeigt, dass der zweite Fall der realistischste ist. Natürlich sollte man nicht blind diesen Statistiken trauen. Ich habe daher sehr grob ähnliche Überlegungen angestellt. Dabei habe ich mehrere Portfolios mit dem Dax verglichen. Das Min Var Portfolio besteht aus 10 Aktien zu gleichen Anteilen mit Betas zwischen 0,3 und 0,9 (Dürr, Fresenius, Puma, Gerresheimer, Fresenius Medical Care, Software AG, Südzucker, United Internet, Beiersdorf, Vossloh) und aus einem Portfolio mit Betafaktoren zwischen 1,2 und 1,6 (Commerzbank, Klöckner, Deutsche Bank, Continental, Bauer, Rheinmetall, Lanxess, Deutz, Salzgitter, Gildemeister). Die Betas beziehen sich auf die Benchmark Dax über einen Zeitraum von einem Jahr. Das Ergebnis ist verblüffend. Während der Dax auf 12 Monatssicht mit ca. 15% im Minus ist, beträgt das Minus des Hochrisikoportfolios 32% und die Rendite des Minimum Varianz Portfolios liegt bei 5%.

Auch über die Gesamtsicht der letzten 12 Monate ist die Performance des Min Var Portfolios am besten. Der maximale Drawdown lag bei lediglich 12%, im Vergleich zu 30% beim Dax und 44% beim Max Var Portfolio. Über die Zeiträume von 12, 6 und 2 Monaten war das risikominimale Portfolio mit der Performance nicht negativ. Natürlich ist der Betrachtungszeitraum hier recht eingeschränkt und der Drawdown zeigt, dass es auch hier zu negativen Ergebnissen kommen kann, allerdings wird der Kernpunkt schön demonstriert: Mehr Risiko bringt nicht mehr Ertrag.

Da bleibt noch die Frage, ob nun das risikominimale Portfolio auch die höchste Rendite bringt. Um die Katze gleich aus dem Sack zu lassen: Nein, tut es nicht. Ich habe mehrere Portfolios verglichen, mit Betas zwischen 0,5 und 1,6. Exemplarisch sind die Ergebnisse im nächsten Chart zu sehen. Es handelt sich um Durchschnittswerte aus jeweils 5 Portfolios mit einem durchschnittlichen Beta von 0,5 dann 0,7 usw. Die X-Achse zeigt die Rendite über die letzten 2, 4, 6, 8, 10 und 12 Monate. Über die letzten zwei Monate haben alle Varianten eine positive Rendite gebracht. Am stärksten war das Marktportfolio mit 7%. Auf 12 Monatssicht waren alle Renditen negativ. Jene des Beta 0,7 Portofolios mit -2% aber noch deutlich am besten. Am schlechtesten schnitt das risikomaximale Portfolio ab. Wirklich interessant ist aber, dass das Portfolio mit dem geringsten Risiko keinesfalls die höchste Rendite verspricht. Man kann nicht einmal mit Überzeugung sagen, dass es langfristig mehr bringt als der Dax. Am glücklichsten wurde man mit einem Portfolio, welches nicht minimumvariant, aber weniger volatil als der Markt war.

Meine Ergebnisse könnten sicherlich Zufall sein, stimmen aber mit extrem aufwändigen Langzeituntersuchungen im Kernpunkt überein. In den vergangenen 15 Jahren schlugen die 50 Aktien mit dem niedrigsten Beta aus dem S&P 500 den Index um 150% - und das bei relativ geringem Aufwand. Das Portfolio wurde lediglich alle 6 Monate angepasst. Generell scheint allerdings eine Neuauswahl von Low Beta Aktien jedes Quartal zu den besten Ergebnissen zu führen wie eine Studie über 15-20 Jahre des japanischen, englischen, deutschen, amerikanischen und kanadischen Marktes zeigt. Für Anleger ergeben sich zwei Erkenntnisse: Aktien mit Betas unter 1 sind gegenüber Aktien mit Betas über 1 zu bevorzugen. Besonders gut ist die Kombination aus Betas zwischen 0,6 und 0,9 sowie einigen Werten mit negativen Betas, um Drawdowns abzumildern. Die zweite Erkenntnis ist, dass hohes Risiko (also über dem Marktrisiko) keine zusätzliche Rendite bringt. Das klingt banal, lässt sich aber auch in Geld ummünzen, indem man sein Portfolio mit Putoptionen auf Aktien mit hohen Betas absichert.

Die hier verwendeten Daten stammen übrigens von unserer neuen Screening und Analyseplattform www.boersenfuxx.de.

Viel Erfolg

Clemens Schmale

Technischer Analyst bei GodmodeTrader.de

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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