Markt unbeeindruckt von potenziell ausbleibenden US-Zinssenkungen
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Das nenne ich einen Boom! Die Märkte steigen auf Allzeithochs, die US-Wirtschaft überrascht immer wieder und schuf im März 303.000 neue Stellen (ohne Landwirtschaft) und auch in anderen Ländern sehen wir Erholungszeichen. Niemanden irritiert es noch, dass die Fed die Zinsen dieses Jahr vielleicht doch nicht senkt. Geldmarktanlagen bleiben einstweilen attraktiv, aber Aktien werden dieses Jahr vorn liegen und auch High Yield mit hohem Beta werden den Geldmarkt schlagen. Langlaufende Anleihen leiden unter den veränderten Erwartungen. Da die Zins-strukturkurven noch immer invers sind, bewegen sich die Langfristrenditen vermutlich seitwärts. Langläufer werden nur dann interessant sein, wenn Konjunktur und Inflation kräftig nachlassen. Aber damit rechne ich nicht.
Am Geldmarkt bleiben? Letzte Woche hatte ich das Vergnügen, Kunden in Uruguay und Argentinien zu besuchen. Trotz der bekannten wirtschaftlichen Schwierigkeiten in Teilen Südamerikas sind die Vermögen groß, und südamerikanische Investoren bevorzugen meist Dollaranlagen. Wie in anderen Regionen sind die Kassequoten der Portfolios noch immer hoch. Weil man am Geldmarkt dieses Jahr nach wie vor über 5 Prozent und nächstes Jahr vielleicht 4,5 Prozent verdienen kann, lassen sich Anleger zurzeit nicht leicht für Unternehmensanleihen oder Aktien begeistern. Beide Assetklassen sind teuer, und Investmentgrade-Unternehmensanleihen hilft es nicht wirklich, dass ihre Rendite in den USA unter dem Geldmarktzins liegt. High Yield ist attraktiver, aber auch hier wird registriert, wie sehr die Spreads zuletzt gefallen sind.
Ausreden? Beim aktuellen Ausblick für den Geldmarkt fällt Abwarten leicht. Man verweist auf diverse Bewertungsrisiken, und speziell auf den Inflations- und Zinsausblick. Der überraschend starke Anstieg der amerikanischen Verbraucherpreise (und ihres Kernindex) um 0,4 Prozent z.Vm. macht Zinssenkungen für die Fed nicht einfacher. Wir können endlos darüber diskutieren, wie sich die Inflation wirklich entwickelt, zumal es in etlichen Gütergruppen des Preisindex methodische Probleme gibt (etwa bei der kalkulatorischen Miete) und manche Preisentwicklungen wirklich seltsam scheinen. Beispielsweise legten die Prämien für Autoversicherungen im März 2024 um 22 Prozent z.Vj. zu. All das ändert aber nichts an der traurigen Wahrheit, dass die Inflation in den USA nicht mehr wirklich fällt und vielleicht sogar schon wieder steigt. Einige Offenmarktausschussmitglieder beruhigen sich damit, dass der Verbraucherpreisindex ohne Lebensmittel, Mieten und Energie im März nur um 2,4 Prozent höher war als ein Jahr zuvor. Die Inflation sei also unter Kontrolle. Aber das sieht nicht jeder so. Einstweilen scheint eine Zinssenkung im Juni vom Tisch, und der Markt sieht es genauso. Soll man überhaupt noch auf Zinssenkungen in die-sem Jahr wetten?
Tafelberg zum Zweiten: Vor etlichen Monaten schrieben wir, dass die US-Zinserwartungen dem Tafelberg glichen. Und das gilt jetzt wieder. Seit letztem Juli sind die Leitzinsen unverändert. Alles sieht danach aus, als würden sie mindestens ein Jahr lang zwischen 5,25 Prozent und 5,50 Prozent liegen. Zur Erinnerung: Mitte der 2000er Jahre blieb die Fed 15 Monate lang auf dem Zinsgipfel. Unabhängig vom neutralen Leitzins ist das nicht ohne Risiko. Wenn die Zinsen so lange unverändert bleiben und die Kreditzinsen dann weiter steigen, wird eine harte Landung der Konjunktur wahrscheinlicher.
Anleihen, Credits und kurze Duration: Für Anleiheninvestoren hat Higher for Longer unterschiedliche Konsequenzen. Zunächst einmal bleiben die Renditen generell höher, weil niemand mit deutlichen Zinssenkungen rechnet. Die laufen-den Erträge von Anleihen sind also weiterhin attraktiv, vor allem bei Unternehmensanleihen und Kurzläufern. Langläufer werden aber weniger interessant. Weil die Zinsstrukturkur-ven noch immer invers und die Langfristrenditen nicht besonders hoch sind, sind fallende Langfristrenrenditen eher unwahrscheinlich – außer bei einer harten Lan-dung, aber dafür spricht zurzeit wenig. In den letzten Jahren wurden Langläufer schon oft abgestraft, und diesmal ist es nicht anders. Ohne Anzeichen für Zinssenkungen oder einen echten Einbruch (mit Renditen über 5 Prozent) bleiben US-Langläufer teuer und werden sich auch in nächster Zeit nicht lohnen. Interessant könnten aber inflationsindexierte Anleihen sein, vor allem kürzer laufende. Sie bieten Schutz bei einer erneut überraschend hohen Teuerung. In den USA beträgt die fünfjährige Breakeven-Inflation zurzeit gerade einmal 2,55 Prozent
Oder gar eine Erhöhung? Unveränderte Leitzinsen sind keine Katastrophe, sobald sich der Markt damit abgefunden hat, dass man auf Zinssenkungen noch warten muss. Anders wäre es aber bei einer Erhöhung. Kein Vertreter der Fed hat sie öffentlich angedeutet, und sie wäre wirklich eine Überraschung. Durchaus denkbar ist aber eine Entwicklung wie Mitte der 1990er: Nach Zinserhöhungen um insgesamt 300 Basispunkte seit 1994 begann die Fed im Juli 1995 mit Senkungen – um dann schnell den Rückwärtsgang einzulegen und den Leitzins am Ende noch über das ursprüngliche Maximum hinaus anzuheben. Warum? Weil die Inflation stieg. Und das Ergebnis: Die Dotcom-Blase ist geplatzt. Damals waren die realen Kurz-fristzinsen zum letzten Mal längere Zeit positiv. Wenn die Inflation jetzt wieder in Richtung 4 Prozent steigt und die realen Kurzfristzinsen dadurch fallen, wäre eine Zins-erhöhung keineswegs undenkbar.
Höhere Zinsen sind für die Investoren alles andere als irrelevant. Die Geldmarkterträge steigen, Unternehmensgewinne werden stärker abdiskontiert und vielleicht bekommen manche Haushalte und Unternehmen Probleme durch einen teureren Schuldendienst. Im laufenden Konjunkturzyklus haben höhere Zinsen bislang kaum Probleme gemacht: Die meisten Immobilienkredite sind zinsgebunden und ihre Zinsen unter dem heutigen Marktniveau, die Kassen der Unternehmen sind gut gefüllt und viele Firmen haben die niedrigen Zinsen zur Verlängerung ihres Fremdkapitals genutzt. Irgendwann wird sich das Zinsumfeld zwar ändern, doch einstweilen scheinen Unternehmensanleihen stabil.
Seitwärts: Im März 2024 sind die amerikanischen Verbraucherpreise stärker ge-stiegen als im März 2023, aber wesentlich schwächer als im März 2022 – und die Kernrate war im 1. Quartal 2024 etwas niedriger als ein Jahr zuvor. Wenn einige der weniger volatilen Preise jetzt zu fallen beginnen und sich die Energiepreise stabilisieren, könnte die Inflation bis zum Jahresende zwischen 3,0 Prozent und 3,5 Prozent liegen. Nach dem starken Rückgang auf weniger als 4,0 Prozent im letzten Jahr bewegt sie sich jetzt weitgehend seitwärts. Das spricht eigentlich für unveränderte Leitzinsen und nicht für eine Erhöhung. Wie auch immer: Man sollte sich hüten, dieses Jahr einen starken Rückgang von Inflation oder Leitzinsen zu erwarten.
Aktienrisiken: Die Zinsentwicklung hat natürlich auch Auswirkungen auf Aktien. Wenn Anleihen negativer eingeschätzt werden und ihre Renditen steigen, beeinflusst das die Marktstimmung. Im Grunde gibt es für Aktien zwei Risikofaktoren: enttäuschende Unternehmensgewinne oder ein Kursrückgang infolge höherer Anleihenrenditen oder anderen Negativfaktoren.
Gewinne wohl stabil: Die Unternehmensgewinne beunruhigen mich nicht. Kon-sens ist zurzeit, dass die Gewinne je Aktie der S&P-500-Unternehmen dieses Jahr um 11 Prozent steigen. Für Kontinentaleuropa und Großbritannien werden 5,5 Prozent bis 6,5 Prozent erwartet. Wegen des höheren Wachstums und der hartnäckigeren Inflation dürfte das US-BIP nominal stärker wachsen als vor einigen Monaten. Konsum und Unternehmensinvestitionen scheinen stabil und es gibt keine wirklichen Gründe für einen Rückgang der Margen gegenüber 2023. Die bevorstehende Berichtssaison könnte durchaus positiv überraschen. Die Zahlen der wenigen S&P-500-Unternehmen, deren Quartalsberichte wir schon kennen, deuten das an.
Keine übertriebenen Bewertungen: Meist bewegen sich die Aktienmärkte weltweit in die gleiche Richtung. Ich habe mir einmal die z-Scores (also die Abweichungen der erwarteten 12-Monats-Gewinne vom Mittelwert, gemessen in Standardabwei-chungen) mehrerer internationaler Benchmarkindizes angesehen. Ihre hohe Korre-lation ist auffällig, auch wenn sich die KGVs voneinander unterscheiden. Ende 2022 begannen die erwarteten KGVs wieder zu steigen und haben seitdem konti-nuierlich zugelegt, mit dem S&P 500 an der Spitze. In den USA liegen sie zurzeit etwa eine Standardabweichung über dem gleitenden 3-Jahres-Durchschnitt, und außerhalb der USA sind sie nur wenig von ihrem 3-Jahres-Durchschnitt entfernt. Zweifellos profitieren US-Aktien vom überdurchschnittlichen Wirtschaftswachstum. Sie scheinen teuer, aber aus gutem Grund.
Das Momentum ist hoch und die Bewertungen sind gestiegen, ohne dass sie über-trieben scheinen. Seit Corona sind die KGVs durchweg höher als in den zehn Jah-ren zuvor, auch wegen der veränderten Lieferketten, des Technologiebooms und der stabilen Unternehmensfinanzen. Auch die seit einigen Jahren wieder größere Preismacht dürfte eine Rolle spielen.
Bewertungsrisiken? Was aber könnte die Bewertungen schwächen und die posi-tiven Auswirkungen des Gewinnwachstums auf die Erträge dieses Jahr neutralisieren? Ein Kandidat ist natürlich der Zinsausblick; denken Sie nur an 2022. Die Differenz zwischen der impliziten Gewinnrendite des S&P 500 und der US-Zehnjahresrendite ist fast null. Wenn die Anleihenrenditen steigen, müssen die KGVs dann fast zwangsläufig fallen. Ein anderer Kandidat wären Rezessionszeichen, weil man dann an den Unternehmensgewinnen zu zweifeln begänne. Doch wie ich schon schrieb, spricht zurzeit nur wenig für eine Rezession. Dann ist da noch die politische Unsicherheit. In den USA wird dieses Jahr gewählt, aber wir werden wohl erst im 3. Quartal wissen, was auf uns zukommt.
Größere Sorgen macht vielleicht die Weltlage. Anleger könnten daher höhere Aktienrisikoprämien verlangen. Es ist schwer einzuschätzen, wie es im Krieg zwischen Russland und der Ukraine wirklich steht. Mal heißt es, Russland habe die Ober-hand, mal ist von Infrastrukturproblemen und Unruhen in verschiedenen russi-schen Regionen die Rede, die Putin Probleme machen könnten. Im Nahen Osten droht die Eskalation des Kriegs durch ein Eingreifen des Irans. Vor den Wahlen in den USA werden sich auch wesentlich mehr Politanalysten zu Wort melden. All das kann Investoren verunsichern und damit für mehr Volatilität und Ertrags-schwankungen sorgen. Der jüngste Ölpreisanstieg könnte damit zu tun haben, dass man Angebotsprobleme bei wichtigen Rohstoffen befürchtet. Ebenso gut könnte er aber bedeuten, dass die Weltwirtschaft einfach nur stärker wächst als bisher vermutet.
Boom oder nicht? Zu Beginn schrieb ich, dass die Weltwirtschaft meiner Meinung nach gut dasteht. Das Wachstum nimmt zu, die Inflation geht noch immer zurück – trotz höherer Preise für Energie und andere Rohstoffe und der strukturellen Veränderungen des Ausgabeverhaltens und der Märkte seit Corona. Sicherlich ist das nominale Wachstum höher als vor der Pandemie, was wiederum höhere Zinsen zur Folge hat. Außerdem sind die Unternehmen stabil. Sie können wachsen, auf die Veränderungen von Angebot und Nachfrage reagieren und die Chancen neuer Technologien nutzen. Schon seit längerem schreibe ich, dass Investoren dadurch die Chance auf ausgewogenere Portfolios haben – bestehend aus Anleihen (wegen des laufenden Ertrags, aber achten Sie auf die Zinssensitivität), US-Aktien (wegen der Aussicht auf Kursgewinne) und internationalen Aktien (zur Diversifikation). Die Weltwirtschaft scheint heute ausgewogener, auch wenn dies wohl in erster Linie mit der starken US-Wirtschaft zu tun hat.
Tango: Zum ersten Mal in meinem Leben war ich in Buenos Aires. Eine Stadt, die bekannt für Rotwein und Fußball ist, hat viel zu bieten. Ich trank einen hervorragenden Malbec und machte eine Stadtrundfahrt, auch zu den Stadien von Boca Juniors und River Plate. Meiner Frau sagte ich, dass ich wieder nach Buenos Aires reisen möchte, um den Superclásico zu sehen. Sie war einverstanden – wenn wir auch eine Tangoshow besuchen. Es geht eben nichts über einen guten Kompromiss. Vamos!
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