Mario Draghi - Er kam, sah und siegte (nicht)
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Die EZB hat ernüchternde Konjunkturprognose abgegeben. Ihre verringerten Wachstumsprojektionen (2016: 1,4 statt 1,7; 2017: 1,7 statt 1,9) korrespondieren mit der sich seit Ende 2015 eingetrübten Stimmung im Verarbeitenden Gewerbe und dem Dienstleistungssektor der Eurozone.
Katastrohale „Erfolge“ der EZB bei Inflation und Konjunktur
Geradezu katastrophal sind die „Erfolge“ der EZB auf der Inflationsebene. Die dramatisch gesenkten Inflationsprojektionen (2016: 0,1 statt 1,0 und 2017: 1,3 statt 1,6 Prozent) signalisieren, dass die EZB in puncto Deflationsbekämpfung de facto nichts erreicht hat. Denn der fehlende Lohndruck und die mangelnde Preisdurchsetzungskraft der Unternehmen kommen ebenso in einer schwachen Kerninflationsrate - also ohne Berücksichtigung schwankungsanfälliger Preise für Energie und Nahrungsmittel - zum Ausdruck. Diese befindet sich auf dem niedrigsten Stand seit Beginn des Anleihenaufkaufprogramms.
„Viel hilft viel“ ist nicht immer ein erfolgreiches Motto
Insgesamt zieht die EZB daraus den Schluss, noch nicht genug für die Konjunktur getan zu haben. Sie setzt jetzt alles auf eine Karte. Und selbst wenn die Inflation z.B. wegen der Rohstofferholung zunehmen sollte, wird sie angesichts der Konjunkturschwäche nicht von ihrer radikal-üppigen Geldpolitik Abstand nehmen. Denn sie weiß, dass geldpolitische Restriktion in die Rezession führen würde. Damit betritt sie sehr gefährliches Terrain: Sie wird Inflation ignorieren bzw. sich auf Inflationsindices als Alibi berufen, die ihre Geldpolitik unterstützen.
Die Konjunktur-Hoffnung stirbt zuletzt
Die EZB folgt dem Prinzip Hoffnung und vertraut unbeirrt auf den Hebel sinkender Kreditkosten für die Realwirtschaft. Den Leitzins hat sie nun auf 0,00 gesetzt. So weit ist selbst die Fed nicht gegangen. Die EZB hat die US-Notenbank links und rechts überholt. Zudem erhöht sie das Volumen ihres Anleiheaufkaufprogramms von monatlich 60 auf 80 Mrd. Euro und bezieht nun auch Unternehmensanleihen (außer von Banken) höchster Bonität mit ein. So will sie ebenso die Refinanzierung der Unternehmen zinsgünstiger gestalten. Um noch mehr Liquidität für die Kreditvergabe zur Verfügung zu stellen, bietet sie den Kreditinstituten für die vier Quartale ab Juni 2016 Sonderkredite (TLTROs) mit einer Laufzeit von vier Jahren an. Je stärker Banken ihre Kredite an die Realwirtschaft erhöhen, desto näher soll der Zins dieser Tender am negativen Einlagensatz liegen, so dass Banken mit der Refinanzierung bei der EZB sogar Zinsgewinne erwirtschaften können. Und um Anreize zu geben, dass diese Liquidität verstärkt in Form von Krediten weitergegeben wird, senkt die EZB die Einlagenzinsen der Banken von minus 0,3 auf minus 0,4 Prozent. Man hofft, dass die Banken statt Strafzinsen dann doch lieber Kredite an Haushalte und Unternehmen vergeben.
Die letzten Stabilitätshüllen der EZB sind gefallen - Mit ihrer prallen nackten Schönheit will sie die Konjunktur reizen
Doch der konjunkturelle Ernteerfolg der geldpolitischen Saat dürfte spärlich ausfallen. Die im Vorjahresvergleich nur schwache Trendwende der Kreditvergabe an die Privatwirtschaft der Eurozone dürfte kaum Dynamik erfahren.
Der Reiz der EZB auf die Konjunktur ist begrenzt
Zunächst wirkt die europäische Bankenpolitik mit ihren strengen Regulierungs- und Eigenkapitalvorschriften als massives Handicap auf die Kreditvergabe der Banken. Auf der Gegenseite ist aber auch die Kreditnachfrage schwach ausgeprägt. Denn Konsumenten und Unternehmen fahren in puncto Ausgaben und Investitionen angesichts der Inflation an Krisen und Verunsicherungen sowie angesichts der Reformwüste Eurozone auf Sicht.
Es könnte sogar zu unerwünschten Nebenwirkungen durch die Zinspolitik der EZB kommen: Die Banken könnten versuchen, den Zinskostennachteil durch Strafzinsen in Form steigender Kreditzinsen an die Kreditnehmer weiterzugegeben. Die Kreditbedingungen würden sich wegen der Zinspolitik der EZB also noch verschlechtern und das Kreditvolumen noch schwächer ausfallen.
Auch der Vermögenseffekt hilft der EZB nicht bei der Konjunkturstimulierung. Denn im Gegensatz zu den USA können steigende Aktienkurse nicht die Konsumneigung verstärken, da der europäische Durchschnittshaushalt mehr Geld für Bananen als für Aktien ausgibt.
Nur weil mehr Liquidität zur Verfügung steht, werden die Banken ihrer primären Aufgabe insgesamt nicht gerecht werden können. Bislang haben sie auch Strafzinsen nicht davon abgehalten, massive Überschussreserven zu horten. Ein Ende ist nicht abzusehen.
GRAFIK DER WOCHE
Überschussliquidität bei der EZB und Kreditvergabe an Unternehmen und Haushalte
Auch dem inoffiziellen Ziel der Euro-Schwächung kommt man kaum näher. Die währungsschwächende Geldpolitik der EZB verläuft zuletzt deshalb so kraftlos, da sich die US-Notenbank allmählich von der Leitzinswende verabschiedet. Daneben halten sich Gerüchte über ein neues Liquiditätsprogramm in den USA - QE 4 - hartnäckig. Das würde das bis zuletzt sinkende Verhältnis der Liquiditätsausstattung der USA gegenüber der Eurozone, das Euro-abwertend wirkt, wieder umkehren.
Daneben hat Mario Draghi angedeutet, dass vorerst nicht mit weiteren Zinssenkungen zu rechnen ist. Vorerst hat die EZB ihr Pulver weitgehend verschossen.
Insgesamt ist zwar festzustellen, dass der Euro - auf handelsgewichteter Basis - 2014 und 2015 deutlich nachgegeben hat, seit Jahresanfang 2016 trotz offensiver Geldpolitik der EZB jedoch wieder klar zulegt. Neben weltkonjunktureller Eintrübung hat auch dieses Argument dem Exportwachstum geschadet.
Die Fiskalpolitik muss eine größere Rolle spielen…
Die ausbleibenden konjunkturellen Erfolge der Geldpolitik und die Reformignoranz der Euro-Staaten - die umfängliche Unternehmensinvestitionen verhindert - geben der Fiskalpolitik eine Hauptrolle in der Konjunkturstimulierung.
Und dabei unterstützt sie die Geldpolitik indirekt sehr kräftig. In Deutschland ist die staatliche Kreditaufnahme bis fast zur Anleihelaufzeit von 8 Jahren nicht mit Zinskosten, sondern mit Zinsgewinnen verbunden. Deutschland verdient also an der Aufnahme neuer Kredite. Zusätzlich kauft die EZB insbesondere deutsche Staatspapiere monatlich massiv auf. Mit der erneuten Senkung des Einlagenzinssatzes - bis zu dem Anleihenkäufe durch die EZB möglich sind - auf minus 0,4 Prozent hat sich das Ankaufvolumen deutscher Staatspapiere sogar weiter erhöht. Es gibt für den Bund also weder ein Finanzierungs- noch Absatzproblem.
Diese staatlichen Finanzmittel sollten jedoch nur der Verbesserung der deutschen Infrastruktur zugutekommen. Es geht um die Sanierung von Brücken und Straßen, die konsequente Fortsetzung der Energiewende, den digitalen Netzausbau und Forschung und Bildung. Das sind Basisinvestitionen, die ebenso zu privatwirtschaftlichen Folgeinvestitionen in realwirtschaftliche Güter und nicht in Anlageblasen führen. Die Investitionsrenditen werden attraktiver und damit nicht zuletzt der deutsche Investitionsstandort, der in den letzten Jahren stiefmütterlich behandelt wurde. Die schwarze Null im Bundeshaushalt darf kein Selbstzweck sein. Denn volkswirtschaftlich lässt die Bundesregierung Chancen so ungenutzt verstreichen. Wenn sich diese Investitionsidee auch in anderen Euro-Ländern verbreiten würde, wäre ebenso viel für die wirtschaftspolitische Reputation Europas gewonnen: Mehr Investitionen, mehr Arbeitsplätze, mehr Steuereinnahmen, mehr sozialer und politischer Frieden in der EU.
…lasst auch die Versicherungen mitspielen
Und genau an diesen Infrastrukturinvestitionen sollte man Versicherungen und Pensionsfonds beteiligen, die ohnehin händeringend nach Anlagemöglichkeiten suchen, die sie im Zinsbereich nicht mehr finden und auch zukünftig nicht mehr finden werden. Infrastruktur ist renditeträchtige Substanz, die als Anlageobjekt gut zu verkaufen ist. Die Anlagegelder der Kunden wären gut investiert.
Aktuelle Marktlage und Anlegerstimmung – Finanzmärkte stabil, aber volatil
Die EZB allein wird konjunkturell keinen großen Erfolg haben. Auf Seiten der Finanzmärkte ist sie jedoch ein Beruhigungsfaktor, eine Kapitalmarktversicherung für Aktien, auch wenn der „Draghi-Effekt“ nicht mehr so spürbar wie noch im Vorjahr ist. Immerhin werden massive Einbrüche an den Aktienmärkten durch den geldpolitisch induzierten Anlagenotstand verhindert. Dabei hilft auch, dass angesichts verstärkter Anleihenaufkäufe bei gleichzeitig sinkenden Einlagenzinsen die Anlageklasse „Zinsvermögen“ immer unattraktiver wird. Wer spart, spart sich arm. Zinsanlagen werden immer mehr zu prekären Anlagen.
Die Geldpolitik hat zwar die Zunahme der Volatilität seit etwa Mitte 2014 nicht verhindern können. Dennoch, mit Blick auf die vielfältigen Krisen wirkt ihre Geldpolitik übertriebenen Kursschwankungen, die früher bei weniger Krisensymptomen zu beobachten waren, kräftig entgegen.
Charttechnik DAX und Euro Stoxx 50 - Verschnaufpause nach dem Höhenflug
Charttechnisch trifft der DAX auf dem Weg nach oben zwischen 9.905 und 9.925 Punkten auf ersten Widerstand. Darüber liegen nennenswerte Hürden bei 10.123 und in der starken Widerstandszone zwischen 10.485 und 10.500 Punkten. Im Falle einer Konsolidierung findet der DAX Halt an der Unterstützung bei 9.394, bevor er die Marken bei 9.332, 9.125 und 9.079 ins Visier nimmt.
Kommt es im Euro Stoxx 50 zu einer dynamischen Überwindung des Widerstands bei 3.050 Punkten, liegen die nächsten Barrieren bei 3.137 und darüber bei 3.200 Punkten. Auf der Unterseite wartet zwischen 2.950 und 2.930 eine starke Auffangzone. Im Falle einer Korrektur bietet die nächste nennenswerte Auffanglinie bei 2.800 Punkten Halt.
Der Wochenausblick für die KW 11 - Keine Zinswende im März
In Japan unterstreichen erneut schwache Exportzahlen die angeschlagene Konjunktursituation. Der Druck auf die Bank of Japan, auf der anstehenden geldpolitischen Sitzung weitere Liquiditätsmaßnahmen zur Finanzierung der Fiskalpolitik zu ergreifen, wächst.
In den USA kommt die anhaltende Konjunkturskepsis in Form rückläufiger Einzelhandelsumsätze und einem blutleeren Verbrauchervertrauen der University of Michigan zum Ausdruck. Auch die US-Industrieproduktion und der Einkaufsmanagerindex der Fed von Philadelphia senden keine markanten Erholungssignale, während der Immobiliensektor gemäß Baubeginnen und -genehmigungen seinen volatilen Seitwärtstrend fortsetzt. Die US-Inflationsdaten dürften sich somit wieder entspannter zeigen.
Entsprechend erhöht die Fed ihre Leitzinsen auf der geldpolitischen Sitzung nicht weiter. Der Fokus der Anleger gilt den Konjunkturprojektionen und der anschließenden Pressekonferenz, die auf jegliche Informationen bezüglich zukünftiger Zinsschritte abgeklopft wird.
In der Eurozone bestätigen erneut schwache Inflationsdaten die geldpolitischen Lockerungsschritte der EZB. Auf dem EU-Gipfel in Brüssel am 17. und 18. März wird eine Lösung in der Flüchtlingsfrage Europas mit einer dramatisch zunehmenden Abhängigkeit von der Türkei sehr teuer bezahlt. Solange es Europa nicht aus eigener Kraft schafft, die eigenen Probleme zu lösen, lässt sich die Eurosklerose nicht heilen und dem Brexit nicht entgegenwirken.
Dann bleibt Europa als systemisches Risiko auch für die Aktienmärkte erhalten.
HALVERS WOCHE
Europa - Wirtschaftlich ein Riese, politisch ein Zwerg
Europa ist groß und mächtig. Ja, die EU ist der größte Wirtschaftsraum der Welt. Ein Economic Powerhouse, das sich mit den USA und China auf Augenhöhe befindet.
Und wie sieht es politisch aus? Bei allem Respekt, da ist selbst Mickey Mouse größer. Um gegenüber den global Großen politisch mitstinken zu können, ist nämlich Einigkeit gefragt. Einigkeit wie sie im Wappenspruch der Vereinigten Staaten von Amerika verbrieft ist: „E pluribus unum“, frei übersetzt: „Aus vielen eines“. Aber vom Status der Vereinigten Staaten ist Europa weit entfernt: Die EU tritt nicht harmonisch wie die Fischer-Chöre auf, sondern eher wie eine angetrunkene Partygemeinschaft, die um Mitternacht Happy Birthday singt.
Die EU ist sich darin einig, uneinig zu sein
Es ist zum Haare raufen, dass sich Europa selbst in den elementarsten politischen Dingen nicht grün ist. Wie erbärmlich ist es, wenn es der größte Währungsraum der Welt nicht schafft, eine Lösung der Flüchtlingskrise hinzubekommen. Welches zerrüttete Bild transportiert man in die Welt, wenn es die große EU-Familie nicht schafft, in Grenzfragen zusammenzuarbeiten. Nichts verdeutlicht dieses Zerwürfnis so sehr wie die Streitereien zwischen den Brudervölkern Deutschland und Österreich.
Die EU ist so zerstritten wie eine Ehe, die nur noch durch das gegenseitige Bewerfen mit Porzellan in Bewegung bleibt. Und jetzt bildet man sich ein, den Beziehungsstress mit einem Paartherapeuten in den Griff zu bekommen. Er soll dafür sorgen, dass Europa, wenn schon keine Liebesbeziehung, dann doch zumindest eine Vernunftehe führen kann. Dieser Therapeut steht außerhalb der EU und heißt Türkei. Zur Stressentspannung in der EU-Familie bietet er die Rücknahme aller nach Griechenland gelangenden Flüchtlinge an. Dafür verlangt er eine Gegenleistung. Das ist zunächst legitim. Kein Beziehungstherapeut muss umsonst arbeiten.
Doch dieser wähnt sich angesichts der schweren Zwietracht in der EU in einer besonders starken Position, die es ihm erlaubt - ein Schelm, wer Böses dabei denkt - den Preis für seine Dienste hoch zu treiben. Aus drei Mrd. Euro Beratungshonorar sollen sechs werden, also 100 Prozent mehr. Und warum sollte es bei dieser Höhe bleiben? Vielleicht stellt man ja fest, dass die Beherbergungskosten von Flüchtlingen - ganz unerwartet und plötzlich - höher ausfallen. Davon abgesehen wurden bereits Abstriche an der Rücknahmeabsicht von Flüchtlingen geäußert. Und überhaupt, wenn man glaubt, am längeren Hebel zu sitzen, warum sollte man dann nicht ebenso den politischen Preis wie auf einem Basar richtig hochtreiben? Ein Fuchs kann niemals Oberaufseher über den Hühnerstall werden.
Die EU darf für die Fremdsicherung der Außengrenze nicht jeden Preis zahlen
Zu so einer folgenreichen Abhängigkeit darf es die EU niemals kommen lassen. Europa hat so viel erreicht. Da muss es dann auch in Flüchtlings- und Grenzfragen sagen: Wir schaffen das und zwar ohne fremde Hilfe. Bevor man den Klatsch und Tratsch der Beziehungsprobleme nach außen trägt und ein schwaches Bild abgibt, rauft man sich zusammen und spricht miteinander. So macht man es privat doch auch. Nicht zuletzt dafür hat uns der liebe Gott einen Mund gegeben. Das Bestreben der EU muss sein, erst gar keinen Paartherapeuten zu brauchen, der Eigeninteressen verfolgt.
Das setzt allerdings voraus, dass man innerhalb der EU eigene Maximalpositionen überdenkt und auf andere zugeht. Ich behaupte, hier ist die deutsche Seite noch nicht vollständig an ihre Grenzen des Möglichen gestoßen. Wenn Politik die Kunst des Möglichen ist, dann sollte man in Berlin auch Kunst möglich machen.
Ein Eingehen auf andere EU-Länder ist keine Schwäche, sondern zeugt von politischer Reife und der Einsicht in die Notwendigkeit einer harmonischen und friedlichen Koexistenz. In einer Beziehung kann niemand dem Anderen den eigenen Willen aufzwängen, auch dann nicht, wenn man sich im Recht fühlt und schon gar nicht mit Unterstützung durch einen Außenstehenden. Auch sollte man sich schnell vom Begriff „Koalition der Willigen“ trennen. Dieser Begriff war schon 2003, als es darum ging, wer im Irak-Krieg mitmacht, fatal. Damit setzt man die andere Seite nur unter Druck, der bekanntlich Gegendruck erzeugt. Und dann machen am Ende alle dicht. Ach wäre es doch schön, wenn man sich nach den drei kommenden Landtagswahlen - wenn Ruhe einkehrt - wieder zusammenraufen könnte. In der EU muss wieder das Musketier-Prinzip gelten.
Europa ist zu groß, um klein zu sein
Hat man dann intern die Wogen geglättet, kann man auf dieser Basis Lösungen in der Flüchtlingsfrage finden. Dabei sollte Europa sich auch nicht von anderen Fremdinteressen leiten lassen. Wir müssen uns nicht vor den Karren Amerikas mit seiner teilweise unreflektierten „Hau den bösen Iwan-Politik“ spannen lassen. Die Wirtschaftsblockade hat Europa politisch nicht genutzt, aber wirtschaftlich - gerade Deutschland - schwer geschadet. Amerika leidet dagegen nicht.
Die USA sind mindestens ein Mitverursacher der Flüchtlingskrise. Hier habe ich mich jetzt noch sehr diplomatisch ausgedrückt. Doch das Verursacherprinzip kennt offensichtlich keinen „Schadensersatz“. Wie schön, dass es den Atlantik zwischen Amerika und Europa gibt.
Insgesamt ist es für die EU gerechtfertigt, nach ganz eigenen Lösungen zu suchen. Wenn man mit einem Staatspräsidenten aus dem Südosten spricht, warum sollte man es nicht auch mit einem aus dem Osten tun. Einen Schönheitswettbewerb gibt es hier nicht. Wladimir Putin ist in der Syrien-Frage nicht nur Statist, sondern spielt eine bedeutende Rolle. Wir können uns in der aktuell angeschlagenen Situation keinen lupenreinen Demokraten in Moskau backen. Russland ist mit seinem Trumpf Assad zwar Teil des Syrien-Problems, aber auch Teil seiner Lösung. Das ist eine nicht zu leugnende Realität.
In diesem Zusammenhang sollte Europa endlich begreifen, dass Russlands eitler Präsident geopolitisch wieder dabei sein will. Auf dieser Klaviatur sollte die EU spielen: Wir geben dir mehr geopolitisches Spielzeug und du hilfst uns in Syrien bei der Errichtung einer befriedeten Region, Leistung gegen Gegenleistung. Es ist dringend Zeit für europäische Interessen und nicht Fremdinteressen aus dem Südosten oder Westen.
Wenn die EU keinen unterwürfigen, sondern einen handlungsfähigen und politisch stabilen Rahmen schafft, tut sie etwas für den EU-Familienzusammenhalt. Dem Brexit als Nummer gegen britischen EU-Kummer wirken wir damit entgegen. Übrigens, wer politisch stark ist, ist sexy und zieht Investitionskapital an. Und umgekehrt, wer politisch schwach ist, wird früher oder später auch wirtschaftlich unter Muskelschwund leiden.
Die Lust am politischen Untergang Europas muss enden. Dafür müssen auch deutsche Politiker die eine oder andere Kröte schlucken, die aber im nationalen Interesse ist: Die deutsche (Export-)Wirtschaft und den deutschen Aktienmarkt wird es freuen.
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