Kommentar
12:09 Uhr, 22.02.2023

Lügen mit Statistik? Warum die Inflation nachträglich viel niedriger war

Das Statistische Bundesamt hat revidierte Inflationsdaten veröffentlicht, die für 2022 eine niedrigere Teuerung als bisher zeigen. Woran liegt das?

Es ist überhaupt nicht ungewöhnlich, dass statistische Daten im Nachhinein revidiert werden. Bei der deutschen Verbraucherpreisstatistik kommt es alle fünf Jahre zu einer größeren Revision. Eine solche hat das Statistische Bundesamt (Destatis) nun auch mit der Veröffentlichung der Inflationsdaten für Januar 2023 vorgenommen. Konkret wurde die Statistik vom Basisjahr 2015 auf das Basisjahr 2020 umgestellt. Damit verbunden ist ein neuer Anteil der einzelnen Güter im statistischen Warenkorb, auf dessen Basis die Inflation ermittelt wird.

Die neue Basis kommt nicht nur bei den neuen Daten zur Anwendung, sondern vielmehr werden auch die Verbraucherpreisdaten seit Anfang 2020 auf Grundlage der veränderten Basis neu berechnet. Vergleicht man die revidierten Daten mit den ursprünglich veröffentlichten Daten, fällt vor allem auf, dass die Inflationsraten für die einzelnen Monate des Jahres 2022 und für das Gesamtjahr 2022 deutlich niedriger ausfallen als ursprünglich gemeldet.

Für das Gesamtjahr 2022 weist das Statistische Bundesamt auf Basis des neuen Basisjahres 2020 nun eine Inflationsrate von nur noch 6,9 % aus, nachdem zuvor auf Basis des Jahres 2015 eine Inflationsrate von 7,9 % gemeldet wurde.

Noch stärker fällt die Änderung in einzelnen Monaten des vergangenen Jahres aus. Für Oktober 2022 wurde die Inflationsrate nachträglich beispielsweise von 10,4 % auf 8,8 % nach unten revidiert. Die folgende Grafik vergleicht die bisher gemeldeten Inflationsraten in den einzelnen Monaten der Jahre 2021 und 2022 mit den revidierten Daten.

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Was ist für die nachträglich deutlich niedrigere Inflation verantwortlich? Wie das Statistische Bundesamt bei einem Presse-Hintergrundgespräch am Vormittag ausführlich erläuterte, ist die große Veränderung bei der ermittelten Inflation vor allem auf ein "neue Wägungsschema für Waren und Dienstleistungen" zurückzuführen. Mit anderen Worten: Der Statistische Warenkorb wurde angepasst, wie dies bei der Anpassung des Basisjahres jedes Mal passiert.

Bei der Anpassung des Wägungsschemas hat das Statistische Bundesamt dieses Mal allerdings ein gegenüber der Vergangenheit verändertes Vorgehen gewählt, was auch hauptverantwortlich für die großen Unterschiede zwischen den bisher gemeldeten und revidierten Daten für 2022 sein dürfte, wie das Statistische Bundesamt selbst erläutert. Entscheidend sind dabei u.a. die beiden folgenden Punkte:

  • Weil das Konsumverhalten im Jahr 2020 durch die Corona-Pandemie und die Eindämmungsmaßnahmen temporär stark verändert wurde, hat das Statistische Bundesamt auf der sogenannten "obersten Wägungsebene" bei der Bestimmung der Gewichte der einzelnen Anteile des Warenkorbes nicht wie eigentlich zu erwarten die Daten des Jahres 2020 verwendet, sondern einen Mittelwert der Jahre 2019, 2020 und 2021. "Insofern konnten mit der Berücksichtigung von drei Jahren besonders gravierende, nur vorübergehende Konsummuster in ihrer Auswirkung auf die Wägung gedämpft werden", erläuterte das Statistische Bundesamt.
  • Zur Berechnung der Gewichte im Warenkorb wurden "nicht wie bisher direkt die Ergebnisse von amtlichen Haushaltsbefragungen verwendet, sondern Ergebnisse der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR). Diese verwenden neben den Haushaltsbefragungen weitere Datenquellen." Das Statistische Bundesamt spricht in diesem Zusammenhang von einem "verbesserten Vorgehen bei der Wägungsableitung".

Das veränderte Vorgehen bei der Bestimmung der Gewichte im Warenkorb zusammen mit einem veränderten Konsumverhalten führt dazu, dass der Bereich "Wohnen", in dem auch die Kosten für "Haushaltsenergie" (also unter anderem Gas, Strom und andere Brennstoffe) enthalten sind, im neuen Warenkorb auf Basis des Jahres 2020 eine deutlich geringere Rolle spielt als im Warenkorb 2015. "Die größte Verschiebung ist im Bereich des Wohnens zu verzeichnen. Der Ausgabenanteil für diese Güter ist um 65 Promillepunkte niedriger als bisher", erläutert das Statistische Bundesamt. Dies ist aber gerade der Bereich, in dem 2022 auch die stärksten Preisanstiege zu verzeichnen waren.

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Quelle: Statistisches Bundesamt

Obwohl Haushalte also 2022 tendenziell für Energie sehr viel mehr ausgegeben haben als in den Vorjahren, fällt der Bereich "Wohnen" inklusive der "Haushaltsenergie" im Warenkorb durch die Anpassung des Basisjahres weniger ins Gewicht als bisher. Das Vorgehen mag aus statistischer Sicht nicht zu beanstanden sein, könnte aber trotzdem dazu führen, dass die offiziellen Inflationsdaten die Lebenswirklichkeit vieler Menschen nicht mehr so gut abbilden wie der bisherige Warenkorb. Denn im Vergleich zum tatsächlichen Anteil an den Ausgaben der Haushalte im Jahr 2022 dürften die Kosten für Haushaltsenergie im Warenkorb 2020 nun deutlich unterrepräsentiert sein.

Durch die Anpassung der Zahlen wird auch das historische Ausmaß der Teuerung im vergangenen Jahr nachträglich verringert. Nach den bisherigen Daten war die Inflation in der Bundesrepublik im Jahr 2022 so hoch wie noch nie seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Durch die revidierten Daten war die Inflation Anfang der 80er-Jahre jetzt aber im Vergleich höher als die Teuerung im Jahr 2022. Auf dem Presse-Hintergrundgespräch des Statistischen Bundesamtes wies ein Experte allerdings darauf hin, dass Vergleiche über sehr lange Zeiträume wegen starken Veränderungen des Konsumverhaltens ohnehin problematisch sind.

Fazit: Das Statistische Bundesamt hat durch eine Anpassung des "Wägungsschemas" die hohe Inflation im Jahr 2022 nachträglich "kleiner gerechnet". Das Vorgehen mag aus statistischer Sicht durchaus angemessen sein. In der Konsequenz könnte die Revision allerdings dazu führen, dass die statistischen Daten stärker von der Lebenswirklichkeit vieler Menschen abweichen und die hohen Ausgaben für Energie nicht mehr angemessen berücksichtigt werden. Gleichwohl bleibt die Inflation auch nach den neu berechneten Daten viel zu hoch.

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1 Kommentar

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  • fossibaer
    fossibaer

    ist doch schön, dass auf diesem Amt viele Menschen einen warmen und sicheren Arbeitsplatz haben.

    "Lebenswirklichkeit" und "Statistik" sind zwei Begriffe aus vollkommen unterschiedlichen Welten.

    Wie Historiker und Sience Fiction Autor.

    Darum: Wen interessiert, was oder wie dieses Amt rechnet?

    Ich bleib dabei: Es freut mich für die Menschen, die dort arbeiten, dass es Ihnen gut geht.

    Aber bitte denkt nicht, dass ihr da etwas WICHTIGES macht.

    WICHTIG wäre Eure Arbeit, wenn daraus irgendwelche Konsequenzen erwachsen würden.

    Z.B. Dass Übergewinne bei Konsumgütern a) festgestellt und b) abgeschöpft werden.

    Beispiele: Klopapier oder ganz aktuell Sahne: Kostet plötzlich überall 1,09 den 200 g Becher.

    Egal ob ALDI, REWE; EDEKA, LIDL oder NORMA.

    ÜBERALL: Wo bleibt das Kartellamt ?

    +20%?: Wie war das nochmal mit Wucher?

    AMT und MASSNAHME = LEBENSWIRKLICHKEIT und STATISTIK.

    Schon klar, dass Wohnen und Heizung jetzt weniger gewichtet werden.

    Unsere Amtmänner und -frauen haben warm.

    Gut so. Weitermachen.

    😂

    PS: Ich werde jetzt Sience Fiction Autor. Titel hab ich schon:

    "Deutschland 2100 - wie der Phönix aus der Asche"

    12:54 Uhr, 22.02.2023