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18:09 Uhr, 12.09.2024

Lindner: Haben längst nicht nur konjunkturelle Eintrübung

Von Andreas Kißler

BERLIN (Dow Jones) - Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hat Maßnahmen zur Ankurbelung der Wirtschaft gefordert und die von der Regierung vorgeschlagene Wachstumsinitiative bekräftigt. "Wir brauchen einen Impuls, um wieder auf die wirtschaftliche Erfolgsspur zu kommen", sagte Lindner beim Chemie- und Pharmagipfel des Verbands der Chemischen Industrie (VCI) in Berlin. "Wir haben es längst nicht mehr zu tun mit einer konjunkturellen Eintrübung. Wir haben es in unserem Land zu tun mit einem beschleunigten Strukturwandel. Und wir haben es zu tun mit grundlegenden Mängeln unserer Wettbewerbsfähigkeit", sagte Lindner.

Deutschland sei innerhalb von zehn Jahren von Platz 6 auf Platz 24 bei der globalen Wettbewerbsfähigkeit gefallen. "Es sprechen ja alle immer über Energiewende und Verkehrswende, alles soll gewendet werden. Ich finde, wenn man von Platz 6 auf Platz 24 durchgereicht wird, das Wichtigste, was dann kommen muss, ist eine Wirtschaftswende", sagte der FDP-Vorsitzende. Die Koalition habe nun einen "ersten Wachstumsimpuls" verabredet. Die Wachstumsinitiative sei nicht nur ökonomisch mit dem Bundeshaushalt verbunden, weil sie Ausgaben reduziere und Einnahmen steigere. "Sie ist auch politisch mit diesem Bundeshaushalt verbunden", betonte er.

Maßnahmen seien "zunächst und zumeist im Bereich der Energiepolitik" nötig. Es bestehe unverändert ein hohes Energiepreisniveau, insbesondere getrieben durch steigende Netzentgelte. Die Koalition habe bereits die EEG-Umlage abgeschafft, die Stromsteuer für das produzierende Gewerbe auf das europäische Minimum reduziert und verstetigt und bei der Strompreiskompensation Forderungen der Chemiebranche entsprochen. "Das wird alleine nicht reichen. Wir müssen die Steigerung der Netzentgelte brechen", forderte Lindner aber. Deshalb müsse die Netzplanung überarbeitet werden. Angesichts der Situation der Wettbewerbsfähigkeit sollte Deutschland hinnehmen, über einige Zeit auch wieder Freileitungen zu haben. Auch müsse eine Einspeisevergütung für negative Strompreise der Vergangenheit angehören.

Im Haushalt sei "Mut zur Prioritätensetzung" nötig, sagte der Finanzminister. "Wir haben zu lange in Deutschland uns der Verteilungspolitik hingegeben. Jetzt muss eine neue Phase der Investition und des Erwirtschaftens vor uns stehen", forderte Lindner. "Wir haben noch enorm viele Reserven im Haushalt, die wir nicht nutzen." Der größte Etat sei der Sozialbereich, und es gebe allein 24 Milliarden Euro an flüchtlingsbezogenen Ausgaben im Haushalt. "Und bevor ich jetzt sage, ich mache neue Schulden, sorge ich doch für Konsequenz und Kontrolle bei der Einwanderung in unser Land und reduziere den Magnetismus unseres Sozialstaats für irreguläre oder illegale Einwanderung", meinte er.

Auch sollten alle Menschen, die arbeiten könnten, "das Bürgergeld nicht mehr als ein bedingungsloses Grundeinkommen missverstehen können". Lindner bekräftigte zudem seine Forderung nach einer schrittweisen Abschaffung des Solidaritätszuschlags. Dieser sei "eine Sondersteuer auf genau das, was wir für Wachstum brauchen - nämlich Einsatzbereitschaft, Qualifikation, unternehmerisches Risiko, private Investitionen".

Kontakt zum Autor: andreas.kissler@wsj.com

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