Kommentar
08:34 Uhr, 25.05.2016

Leitzinserhöhung - wie wirkt sich das auf Aktien aus?

Der US-Immobilienmarkt gewinnt wieder an Fahrt, wie gestern veröffentlichte Zahlen zeigen. Das untermauert die Idee einer Zinsanhebung im Sommer. Was aber bedeutet das für die Bewertung von Aktien?

Als vor gut einer Woche US-Notenbanker wieder eine Zinserhöhung ins Spiel brachten, reagierten Anleger sofort mit Verkäufen. Das funktioniert inzwischen wie ein Reflex. Bleiben die Zinsen niedrig, dann kaufen Anleger. Gibt es auch nur die Andeutung einer Zinserhöhung, dann wird verkauft.

Glücklicherweise relativierte sich der Zinsschock nach zwei Handelstagen wieder. Die Märkte konnten steigen und wendeten an wichtigen, charttechnischen Unterstützungen wieder nach oben. Das war so nicht zu erwarten. Nun kann man trefflich darüber streiten, woran das lag. Ist die Zinsangst vielleicht übertrieben? Haben Anleger erkannt, dass eine Zinsanhebung von 0,25 % vollkommen irrelevant ist?

Wie relevant oder irrelevant eine Zinsanhebung ist erkennt man nicht sofort. Am Wochenende las ich einen Artikel im Wall Street Journal, indem argumentiert wurde, dass eine Zinsanhebung vollkommen irrelevant für die Bewertung des Marktes sei. Rein formal ist das auf den ersten Blick korrekt. Wieso?

Es gibt mehrere Modelle wie man Unternehmen bewerten kann. Eines davon zinst die zukünftig zu erwartenden Dividenden ab. Andere Modelle basieren z.B. auf Buchwerten oder Eigenkapitalrendite. Stimmen die Modelle, dann sollten alle zu dem gleichen Ergebnis bei der Bewertung führen.

Der Einfachheit halber kann man auch nur ein Modell verwenden. Zinst man alle zukünftigen Dividenden ab und ergibt das den Unternehmenswert, dann ist eine Zinsanhebung von 0,25 % absolut irrelevant. Wenn man davon ausgeht, dass ein Unternehmen ewig existiert, dann zinst man die Dividenden bis in alle Unendlichkeit ab. Soweit muss man allerdings nicht gehen.

Um sich die Sache besser vorstellen zu können reicht ein Zahlungsstrom von 100 oder 200 Jahren vollkommen aus. Beträgt die Dividende heute z.B. 10 und wächst das Unternehmen nicht, dann erwarte ich über die kommenden 100 Jahre jedes Jahr eine Dividende von 10.

10 Euro Dividende sind heute mehr wert als in 100 Jahren, wenn man davon ausgeht, dass es so etwas wie Inflation gibt. Um es nicht zu kompliziert zu machen errechne ich den Barwert der Dividenden, indem ich sie mit dem Leitzins abzinse. Gibt es keine Zinserhöhung in den kommenden zwei Jahren, dann zinse ich die Dividenden mit 0,5 % in diesem und im nächsten Jahr ab. Danach rechne ich mit einer Zinserhöhung auf 0,75 %. Das ergibt einen Barwert von 701,82.

Gehe ich nun davon aus, dass die Zinsen im Juni angehoben werden, dann werden alle Dividenden mit 0,75 % abgezinst. Der Abzinsungsfaktor ist also in den ersten beiden Jahren höher als in der ersten Variante, dann aber alle folgenden 98 Jahre gleich. Der Barwert beträgt in diesem Fall 701,75. Der Unterschied zu Variante 1 ist kaum wahrnehmbar.

Man kann statt der Leitzinsen auch 5,5 % für die ersten beiden Jahre und dann 6 % verwenden. Der Barwert wird dann signifikant kleiner. Der Unterschied zu 5,5 % zu einer Abzinsung mit 6 % über alle Jahre bleibt jedoch minimal.

Eine Zinsanhebung sollte der Theorie nach also keinen Effekt auf die Bewertung der Unternehmen haben. Die Realität ist natürlich etwas komplexer. Ich halte die Argumentation für ziemlich nutzlos, da sie wenig mit der Realität zu tun hat.

In der Realität nutzen Unternehmen die niedrigen Zinsen, um sich zu verschulden. Mit den Schulden kaufen sie eigene Aktien zurück. Das erhöht den Gewinn je Aktie. Solange sich der Gewinn je Aktie stärker erhöht als die Kosten der Schulden, kann das Ganze Sinn machen. Beginnen die Zinsen nun aber zu steigen, dann steigen auch die Kosten der Schulden und das Wachstum des Gewinns je Aktie schrumpft. Letztlich schrumpft auch das Wachstum der Dividenden.

In obigem Beispiel wurde Wachstum außen vorgelassen. Je schneller und höher die Zinsen steigen, desto eher macht das derzeitige Financial Engineering der Unternehmen keinen Sinn mehr. Das Wachstum der Gewinne je Aktie und der Dividenden geht zurück.

In dem Beispiel belasse ich die Abzinsungsfaktoren so wie sie sind. Ich unterstelle nun aber ein Wachstum von 5 %, wenn die Zinsen niedrig bleiben und ein Wachstum von lediglich 4 %, wenn sie steigen. Der Unterschied der Barwerte wird dann größer. Liegt die Wachstumsdifferenz nur über einen Zeitraum von zwei Jahren vor, dann ist der Unterschied nicht groß. Er liegt bei 2 %.

Zieht die Notenbank ihren Zinserhöhungszyklus durch und man unterstellt, dass das Wachstum über 10 Jahre durch niedrigere Zinsen höher bleibt, dann sieht die Sache anders aus. Die Bewertungsdifferenz steigt auf 10 %.

Verändert man dann noch den Verlauf der Zinsanhebungen wird es so langsam dramatisch. In einem Fall unterstelle ich, dass die Zinsen jedes Jahr um 0,25 % steigen, bis sie 2 % erreichen. Dort verharren sie dann für die nächsten knapp 100 Jahre. Im zweiten Fall unterstelle ich, dass die Zinsen immer 0,5 % unterhalb der Zinsen im ersten Fall verharren. Der Unterschied der Barwerte steigt auf über ein Drittel.

Eine Zinsanhebung von 0,25 % macht auf den ersten Blick wirklich keinen Unterschied. Bedenkt man die ganzen Sekundäreffekte und insbesondere das früher oder später kommende Ende des Financial Engineering, dann ist die nächste Zinsanhebung sehr wohl relevant. Man mag es vielleicht nicht wahrhaben, doch selbst wenige Zinsschritte lassen den Markt schnell extrem überbewertet aussehen.

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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