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23:30 Uhr, 23.05.2008

Leitthema Weizen: Erwartete Rekordernte weltweit belastet Preise

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  • Weizen
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    Aktueller Kursstand:   (ARIVA Indikation)

In Zeiten immer neuer Rekordpreise bei Reis, Mais und Sojabohnen mag der Rückgang des Weizenpreises nicht so recht ins Bild passen. Weizen verbilligte sich von seinem Rekordhoch aus dem Frühjahr im Bereich von 13 Dollar pro Bushel zuletzt bis auf 8,40 Dollar. Der Grund ist schnell gefunden: Steigende Anbauflächen führen in diesem Jahr dazu, dass die Erntemenge wahrscheinlich ihrerseits einen neuen Rekordstand erreichen wird.

Zu den größten Herausforderungen im 21. Jahrhundert gehören die Verfügbarkeit von sauberem Wasser und von Nahrungsmitteln sowie die Gesundheit der wachsenden Weltbevölkerung. Vor einem halben Jahrhundert lebten nur 3 Milliarden Menschen auf der Erde, heute sind es über 6,5 Milliarden. Bis in 50 Jahren wird sich die Bevölkerungszahl unseres Planeten nach Schätzungen der Vereinten Nationen über die 10-Milliarden-Marke bewegen. Dies stellt hohe Anforderungen an die Arbeit der Landwirte, die mit nur begrenzt verfügbaren Anbauflächen pro Hektar Land einen möglichst hohen Ertrag erzeugen müssen. Dass in einem Jahr wie diesem eine Rekordernte erwartet ist, ist ein Segen, dürfte aber langfristig nicht dazu führen, dass sich das Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage erholen wird, wenn es nicht gleichzeitig weitere Fortschritte bei der Technologie geben wird, mit der die Pflanzen kultiviert werden. Dass die Getreidelager immer leerer werden, liegt nicht zuletzt an der hohen Nachfrage der zu Wohlstand findenden asiatischen Länder und der Verarbeitung verschiedener öl- und stärkehaltigen Getreidearten zu Biokraftstoffen. Die US „bezahlen“ jährlich 600 Milliarden Dollar für den Import von Erdöl und ein Teil dieser Einnahmen fließt an Nationen, die den USA nicht freundlich gestimmt sind. Daher ist es für die USA eine Frage der Sicherheit, nach Alternativen zu suchen. Als eine solche Alternative haben die USA Ethanol identifiziert und fördern die Herstellung des Benzinadditivs seit Verabschiedung des neue Energiegesetzes vor zwei Jahren. Dass die Ethanolherstellung nicht wirklich sinnvoll ist, zeigen mehrere Studien. Zur Ethanolherstellung muss mehr Energie aus fossilen Energieträgern investiert werden, als letztendlich aus Ethanol zu gewinnen ist. Diese negative Energiebilanz ist der Preis, den die USA dafür zu zahlen bereit sind, sich gegen Erdölimporte aus feindlich gesinnten Ländern zu emanzipieren. Dass darunter auch der Rest der Welt über steigende Nahrungsmittelpreise zu leiden hat ist, erfahren jetzt auch die USA selbst, die sich unter dem Druck des weltweiten Protests dazu hinreißen ließen, ihr Ethanolprojekt nun öffentlich in Frage zu stellen. Hinzu kommt, dass eine wachsende Zahl von Abgeordneten gegen die hohen Ethanolsubventionen wettert. Dass das Thema Energie und hohe Benzinpreise im laufenden Vorwahlkampf nicht zu hoch gekocht und eher gemieden wird, erscheint einleuchtend: Kein Kandidat will sich auf dieses Thema einlassen, zu dem es schließlich keine angenehmen Lösungen gibt. Selbst wenn die USA die Ethanolsubventionen einschränken, wird der Sektor weiter wachsen und somit auch die Maisnachfrage. Das schließlich führt dazu, dass in den nächsten Jahren immer mehr Flächen für Mais und nicht für Weizen zur Verfügung stehen werden, da Mais bessere Absatzchancen verspricht, da neben der für Weizen auch zur Verfügung stehende Nahrungsmittelbranche auch die Futtermittel- und Energiebranche als Käufer bereit stehen wird. So kann man als Maisproduzent immer an den höchst bietenden verkaufen. Als Weizenproduzent bleibt schließlich „nur“ die
Nahrungsmittelbranche als Abnehmer frei.

Das Angebot

Gute Wetterbedingungen werden in diesem Jahr zu einer guten Weizenernte führen. Die Winterweizenproduktion in den USA wird vom US-Landwirtschaftsministerium im Crop Production Report auf 1,78 Millionen Bushel geschätzt, das ist ein Anstieg um 17% gegenüber 2007. Der Ertrag wird auf 44,3 Bushel pro Acre geschätzt, das entspricht einem Anstieg um 2,1 Bushel gegenüber dem Vorjahr. Durch gute Wachstumsbedingungen in der Europäischen Union, in der Ukraine, Australien und den

USA wird die Weizenernte in diesem Jahr allen Erwartungen nach einen neuen Rekordstand erreichen. Die Anstiege in diesen Ländern werden erwartete Produktionsverluste in Indien, Pakistan oder China (Länder, in denen bereits im Vorjahr deutlich mehr geerntet werden konnte) kompensieren. Die Karten sind also auf dem Tisch: Jetzt hängt alles vom Wetter rund um den Globus ab. Es wird bestimmen, wie groß die Ernte in diesem Jahr tatsächlich sein wird.

Im letzten Erntejahr 2007/08 wurden weltweit 605 Millionen Tonnen Weizen geerntet, das ist ein Anstieg um 11,8 Millionen Tonnen. Der weltweite Durchschnittsertrag stagniert seit drei Jahren bei 2,8 Tonnen pro Hektar. Die stagnierenden Erträge sind vorwiegend auf schlechte Wetterbedingungen zurückzuführen.

EU: 10%-Brachflächen-Regelung ist abgeschafft

Der größte Weizenproduzent weltweit ist die Europäische Union mit einer Weizenproduktion in 2007 von 119,6 Millionen Tonnen. Die Anbauflächen für Winterweizen liegen in diesem Jahr deutlich über dem Vorjahr – die Zuwächse reichen von 4% in Frankreich bis zu 20% in Italien. In den letzten Jahren mussten Landwirte in der EU 10% Brachflächen festellen – 10% ihrer Flächen durften also nicht bewirtschaftet werden. Diese 10%-Brachflächenregelung wurde abgeschafft, was zu einer entsprechend wachsenden Anbaufläche führt. In diesem Jahr wird daher eine Rekordweizenernte in der EU erwartet.

China: Ertragsraten sind der Schlüssel

China ist der weltweit zweitgrößte Weizenproduzent (106 Millionen Tonnen in 2007). Subventionen der Regierung sowie gute Weltmarktpreise für Weizen haben auch in China die Winterweizenaussaat im Herbst 2007 erhöht. Berichte von den chinesischen Provinzen deuten auf einen kleinen Zuwachs bei den bewirtschafteten Ackerflächen hin. Die Wetterbedingungen waren im Süden schlecht, doch scheint der Winterweizen dies gut überstanden zu haben. Die Ertragsraten erreichten 2006 und 2007 neue Rekordstände. Dieser Trend wird Fachleuten zufolge auch weiter anhalten, sodass die Weizenproduktion in China in den nächsten Jahren weiter steigen könnte.

Russland und Ukraine: Rekordernte erwartet

Russland war in 2007 der drittgrößte Weizenproduzent der Erde mit einer Produktionsmenge von 93,5 Millionen Tonnen. Die Erntemengen werden den Erwartungen zufolge in 2008 massiv wachsen. Gute Wetterbedingungen und hohe Weltmarktpreise haben in Russland und der Ukraine zu stark ausgeweiteten Anbauflächen geführt und aktuelle Berichte deuten auf einen sehr guten Zustand der Pflanzen und damit auf eine gute Ernte in dieser Region hin.

Lagerbestände sehr knapp

Die Weltlagerbestände zu Beginn des Erntejahres 2008/09 sind mit 114 Millionen Tonnen auf dem niedrigsten Stand seit 30 Jahren und 14,7 Millionen Tonnen unter dem Vorjahr. Der größte Rückgang der Lagerbestände wird in den USA erwartet – dort sind die Bestände um 5,8 Millionen Tonnen auf 6,6 Millionen Tonnen gefallen. Daher werden die Lagerbestände keinen Puffer für mögliche Ernteverluste auf der Welt bieten und jede Nachricht über schlechte Ernten, Dürren oder Naturkatastrophen, welche die erwartete Weizenernte schmälern könnten, könnten zu Preissprüngen bei Weizen führen. Der Überschuss zum Jahresende wird vermutlich aber über dem erwarteten Rückgang der Weltlagerbestände von 14,7 Millionen Tonnen liegen, sodass sich die Vorräte zum Jahresende erholen dürften. Dies muss jedoch sehr stark am Wetter in diesem Jahr abhängig gemacht werden.

Die Nachfrage

In 2007/08 wuchs die Weizennachfrage den Prognosen des US-Landwirtschaftsministeriums zufolge um 3,9 Millionen Tonnen, obwohl die Nachfrage für Weizen als Futtermittel um 6,1 Millionen Tonnen gefallen ist. Der Grund für den Anstieg der Nachfrage war in einem Zuwachs der Verwendung von Weizen zur Nahrungsmittelherstellung um 9,9 Millionen Tonnen zu finden. Immerhin steigen die Einkommen in den Schwellenländern weiter an, sodass sich mehr Menschen Speisen aus Weizen leisten konnten. Trotz der steigenden Weizenpreise ist die Nachfrage aus der Nahrungsmittelbranche also weiter angestiegen, was die Preisinelastizität dieser Nachfrage aufzeigt. Außerdem treibt das Wachstum der Weltbevölkerung die Nachfrage. Nach Schätzungen des US-Landwirtschaftsministeriums führt derzeit ein Anstieg der Weltbevölkerung um 1% zu einem Nachfragezuwachs bei Weizen um 6 Millionen Tonnen. In 2008/09 rechnet das US-Landwirtschaftsministerium mit einem Zuwachs der Weizennachfrage um 10 Millionen Tonnen. Dieser deutliche Nachfrageanstieg wird den Anstieg der Weltlagerbestände zum Ende des Erntejahres begrenzen. Um die Lagerbestände zum Jahresende auf dem gleichen Niveau wie im letzten Jahr zu halten, muss die weltweite Ernte um 25 Millionen Tonnen ansteigen (15 Millionen Tonnen Rückgang der Lagerbestände zu Jahresbeginn + 10 Millionen Tonnen erwarteter Nachfrageanstieg). Die weltweite Ernte in 2008/09 wird laut Referenzszenario des US-Landwirtschaftsministeriums 605 Millionen Tonnen erreichen, jedoch müsste eine Ernte von 650 Millionen Tonnen erreicht werden, um die Weltlagerbestände wieder auf das Niveau des Jahres 2006 auffüllen zu können. Eine derart große Ernte kann jedoch nur bei sehr guten Wetterbedingungen erreicht werden.

Zusammenfassung:

Die Weizenbestände werden sich aufgrund einer erwarteten Rekordernte zum Ende des Jahres wohl erholen. Dies wurde von den Weizenpreisen bereits eskomptiert. Dennoch ist der Weizenpreis aktuell auf einer charttechnischen Unterstützung angelangt und scheint sich auf diesem Niveau zu stabilisieren (siehe Chart). Die Preisentwicklung bei Weizen wird sich in den nächsten Monaten an der Entwicklung der Wetterbedingungen und den Crop Progress Reports des US-Landwirtschaftsministeriums „entlanghangeln“. Denn sie werden genauen Aufschluss darüber geben, wie deutlich sich die stark dezimierten Weltlagerbestände zum Ende des Jahres werden erholen können.

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Über den Experten

Jochen Stanzl
Jochen Stanzl
Chefmarktanalyst CMC Markets

Jochen Stanzl begann seine Karriere in der Finanzdienstleistungsbranche als Mitbegründer der BörseGo AG (jetzt stock3 AG), wo er 18 Jahre lang mit den Marken GodmodeTrader sowie Guidants arbeitete und Marktkommentare und Finanzanalysen erstellte.

Er kam im Jahr 2015 nach Frankfurt zu CMC Markets Deutschland, um seine langjährige Erfahrung einzubringen, mit deren Hilfe er die Finanzmärkte analysiert und aufschlussreiche Stellungnahmen für Medien wie auch für Kunden verfasst. Er ist zu Gast bei TV-Sendern wie Welt, Tagesschau oder n-tv, wird zitiert von Reuters, Handelsblatt oder DPA und sendet seine Einschätzungen über Livestreams auf CMC TV.

Jochen Stanzl verfolgt einen kombinierten Ansatz, der technische und fundamentale Analysen einbezieht. Dabei steht das 123-Muster, Kerzencharts und das Preisverhalten an wichtigen, neuralgischen Punkten im Vordergrund. Jochen Stanzl ist Certified Financial Technician” (CFTe) beim Internationalen Verband der technischen Analysten IFTA.

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