Krise? Welche Krise?
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Geht es nach dem Bild, das viele Ökonomen derzeit von der deutschen Wirtschaft zeichnen, müssen wir uns wohl auf einen Konjunktureinbruch gefasst machen. Die Prognosen führender Wirtschaftsforschungsinstitute lassen derzeit einen BIP-Rückgang im Gesamtjahr 2023 zwischen 0,3 Prozent und 0,7 Prozent erwarten. Die EU-Kommission ist für die deutsche Wirtschaft deutlich pessimistischer als für die europäischen Nachbarn und rechnet hierzulande ebenfalls mit einer Rezession. Nach der in dieser Woche aktualisierten EU-Wachstumsprognose dürfte die deutsche Wirtschaft im laufenden Jahr um 0,4 Prozent schrumpfen, während für die Eurozone insgesamt noch ein Wachstum von 0,8 Prozent erwartet wird. Nicht wenige Ökonomen erwarten besonders für den Herbst eine schrumpfende Wirtschaft.
Echtzeitdaten zur wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland zeigen derzeit allerdings ein anderes Bild. Der Wöchentliche Aktivitätsindex (WAI) der Bundesbank, der die Entwicklung der deutschen Wirtschaft annähernd in Echtzeit abbilden soll, hat sich zuletzt deutlich stabilisiert.
In den WAI fließen neben der monatlichen Industrieproduktion und dem vierteljährlichen BIP auch 9 hochfrequente Datenreihen ein, die wöchentlich und damit quasi in Echtzeit erfasst werden. Diese Indikatoren sind der realisierte Stromverbrauch, der Lkw-Maut-Fahrleistungsindex, die weltweite Anzahl von Flügen, die Häufigkeiten der Google-Suchbegriffe „Arbeitslosigkeit“, „Kurzarbeit“ und „Staatshilfe“, die Anzahl von Passanten in den Einkaufsstraßen von 21 deutschen Großstädten, die Konzentration von Stickstoffdioxid (NO2) in der Luft und die Höhe der Kreditkartenzahlungen in Deutschland.
Nach einer ausgeprägten Schwäche im zweiten Halbjahr 2022 und im ersten Halbjahr 2023 hat sich der WAI vor allem im Juni und Juli deutlich erholt. Im August gab es erneut eine leichte Abschwächung, auf die aber im September eine Stabilisierung folgte.
Für die vergangene Kalenderwoche (KW) lag der WAI bei 0,0, was für die 13 Wochen bis zum 10. September trendbereinigt einem Nullwachstum gegenüber den vorherigen 13 Wochen entspricht. Ohne Trendbereinigung liegt die WAI-implizierte BIP-Wachstumsrate sogar bei plus 0,4 Prozent. Dabei handelt es sich um das Wachstum gegenüber den vorangegangenen 13 Wochen und nicht um das Wachstum gegenüber dem Vorjahr. Auf das Gesamtjahr hochgerechnet (annualisiert) entspricht der aktuelle WAI-Wert also ungefähr einem Wachstumstempo von 1,6 Prozent.
Der WAI zeichnet aktuell also ein deutlich anderes Bild der deutschen Wirtschaft, als es die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute tun. Auch die Diskrepanz zu umfragebasierten Indikatoren wie dem Ifo-Geschäftsklima und den Einkaufsmanagerindizes ist groß. Die letztgenannten Indikatoren haben zuletzt ebenfalls eine deutliche Abschwächung der deutschen Wirtschaft gezeigt.
Der große Vorteil des WAI ist, dass er tatsächlich datenbasiert ist, nicht auf Umfragen oder Erwartungen beruht und trotzdem annähernd in Echtzeit zur Verfügung steht. Dies hebt ihn von klassischen Wirtschaftsdaten wie BIP-Daten (die immer erst mit großer Verzögerung veröffentlicht werden) und umfragebasierten Datenreihen wie dem ifo-Geschäftsklima oder den Einkaufsmanagerindizes ab.
Ein großer Nachteil des WAI ist allerdings, dass es häufig zu größeren nachträglichen Revisionen kommt, was unter anderem damit zu tun hat, dass die monatliche Industrieproduktion und das vierteljährliche BIP ebenfalls erst mit Verzögerung in den WAI einfließen.
Die späteren Revisionen können das Bild, das der WAI von der deutschen Wirtschaft zeichnet, nachträglich teilweise deutlich verändern. So lag der WAI für die 13 Wochen bis zum 2. Juli ursprünglich bei einem Wert von 0,7. Durch spätere Revisionen hat sich dieser Wert für die 13 Wochen bis zum 2. Juli allerdings inzwischen auf 0,1 verringert.
Fazit: Geht es nach dem Wöchentlichen Aktivitätsindex (WAI) der Bundesbank, so steht es um die deutsche Wirtschaft deutlich besser, als Stellungnahmen führender Wirtschaftsforschungsinstitute oder Datenreihen wie das ifo-Geschäftsklima vermuten lassen. Dem WAI zufolge ist die Wirtschaft gerade dabei, sich von einer Schwächephase in den vergangenen 12 Monaten zu erholen. Allerdings kommt es beim WAI häufig zu nachträglichen Revisionen, die das Bild deutlich verändern können. Ein schwerer Konjunktureinbruch dürfte dennoch weniger wahrscheinlich sein, als das mediale Bild derzeit vermuten lässt.
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