Fundamentale Nachricht
08:15 Uhr, 04.10.2018

Keine Angst vor einer Inversion der Zinsstrukturkurve

Aus zyklischer Sicht ist nach Einschätzung von Karsten Junius, Chefökonom bei der Bank J. Safra Sarasin, in einem Portfolio ein Aktienübergewicht weiter angebracht.

Basel (GodmodeTrader.de) - Die Zinserhöhung der amerikanischen Notenbank (Fed) von letzter Woche und die von ihr aktualisierten Prognosen machen klar, dass die Leitzinsen in den USA nächstes Jahr auf über drei Prozent steigen können. Sie würden dann über ihrem langfristig zu erwartendem Niveau liegen und vermutlich auch über dem langfristiger Anleihen, wie Karsten Junius, Chefökonom bei der Bank J. Safra Sarasin, in seiner aktuellen Finanzmarktkolumne schreibt.

Eine derartige Inversion der normalerweise aufwärtsgerichteten Zinsstrukturkurve habe es zuletzt in den Jahren 2006, 2000, 1988, 1982 und 1980 gegeben. Was bei den letzten drei Inversionsphasen folgte, sei eine Rezession innerhalb von 13 bis 19 Monaten gewesen, was auch jetzt die Angst vor zu stark steigenden kurzfristigen Zinssätzen erkläre. Ökonomisch lasse sich dies damit erklären, dass Investoren bei einer Zinsstrukturkurveninversion einen stärkeren Anreiz hätten, in kurzfristige Finanzinstrumente anstatt in risikoreichere realwirtschaftliche Projekte zu investieren, heißt es weiter.

„Banken haben geringere Anreize, Kredite zu vergeben, da sie von einer grossen Zinsdifferenz ihrer meist kurzfristigen Einlagen und langfristigen Krediten profitieren und Haushalte sind bei der Nachfrage nach Immobilienfinanzierungen zurückhaltender. Unsicher ist allerdings mit welchem zeitlichen Abstand sich die Wirtschaft abschwächt und in eine Rezession fällt. Bei der letzten drei Rezessionsphasen war dies innerhalb von 13 bis 19 Monaten der Fall, bei den ersten beiden Anfang der 1980er Jahre erfolgte die Inversion erst innerhalb der Rezession“, so Junius.

Teils werde argumentiert, dass die Zinsstrukturkurve aufgrund der Anleihekäufe der Zentralbanken in diesem Zyklus natürlicherweise flacher sei, sodass ihre Signalwirkung verzerrt sein könnte. Mag sein; er finde allerdings, dass auch in diesem Zyklus ihre Verflachung einen hohen Gleichlauf mit anderen Rezessionsindikatoren habe – wie beispielsweise die Einschätzung der Verbraucher bezüglich ihrer gegenwärtigen versus ihrer zukünftig erwarteten Lage, heißt es weiter.

„Wir würden eine Inversion der Zinsstrukturkurve daher auch in diesem Zyklus ernst nehmen. Vor dem nächsten Sommer rechnen wir allerdings nicht damit. Halten die vergangenen Zusammenhänge, wäre eine Rezession dann erst gegen Ende 2020 wahrscheinlich. Für die Anlagepolitik ist dies weit entfernt, schließlich besteht auch noch die Möglichkeit, dass die US-Administration mit einem weiteren Fiskalprogramm versuchen könnte, die US-Wirtschaft in dem so wichtigen Wahljahr 2020 vor einer Rezession zu bewahren“, so Junius.

Aufgrund des stark variierenden Vorlaufs einer Inversion auf eine Rezession habe man untersucht, wieviel Zeit Aktieninvestoren bleibe, ihre Investitionsquoten zu reduzieren und in risikoärmere Anlagen zu wechseln. Die Ergebnisse seien erstaunlich: Im Durchschnitt hätten US-Aktien in den zwölf, sechs und drei Monaten vor einer Inversion positive Renditen erwirtschaftet. Dies gelte auch für die anschließenden drei-, sechs- und zwölfmonatigen Perioden. Das Bild sehe für Investoren in europäischen Aktienmärkten etwas anders aus. Europäische Aktienmärkte hätten in den zwölf Monaten vor einer Inversion der US-Kurve eine klar positive Performance aufgeweisen. Dafür würfen sie im Durchschnitt nur eine bescheidene positive Rendite in den folgenden zwökf Monaten ab und hätten in einigen Fällen ihr Maximum kurz nach der Inversion überschritten, heißt es weiter.

„Staats- und Unternehmensanleihen erzielten in der Periode nach der Zinskurveninversion höhere Renditen als vor dieser, ein Indiz dafür, dass Anleiheinvestoren nach der Inversion vorausschauend von einer Konjunkturabschwächung ausgingen. Umgekehrt schnitten Rohstoffe vor einem Inversionsbeginn stärker ab; danach blieben sie positiv, fielen aber deutlich geringer aus. Dies ist ebenfalls konsistent mit der Erwartung einer Konjunkturverlangsamung“, so Junius.

Interessant sei die sektorale Betrachtung der Aktienmärkte. Die meisten zyklischen US Sektoren wie Industrie, Roh-/Grundstoffe und Konsumgüter hätten vor und nach der Zinskurveninversion ähnlich gut abgeschnitten. Eine Ausnahme sei der IT-Sektor, der zwölf Monate nach einer Inversion eine negative Rendite abgeworfen habe. Defensive Sektoren wie Gesundheit und Versorger hätten hingegen nach der Inversion deutlich zugelegt, was mit dem Verhalten der Anleihemärkte übereinstimme. Bei den europäischen Aktienmärkten sei die Sektorrotation deutlicher ausgefallen. Zykliker seien vor einer Inversion stark gewesen, dafür im Anschluss deutlich schwächer. Defensive Sektoren hätten hingegen nach der Inversion herausgeragt. Eine Rotation in defensive europäische Sektoren nach einer Inversion der US Zinskurve scheine also historisch gerechtfertigt, heißt es weiter.

„Schlussfolgernd nehmen wir die Prognoseeigenschaften der Zinsstrukturkurve ernst, sind aktuell aber noch nicht sonderlich beunruhigt, da eine Inversion in den nächsten Monaten noch nicht zu erwarten ist, eine Rezession erst mit einem weiteren zeitlichen Abstand folgte und Aktienmärkte vor einem Inversionsbeginn sich meist noch gut entwickeln. Ohne Berücksichtigung weiterer Bestimmungsfaktoren bleibt daher aus zyklischer Sicht ein Aktienübergewicht in einem Portfolio weiter angebracht. Allerdings wäre es ratsam vor einer Inversion von zyklischen in defensive Aktienmarktsektoren zu wechseln“, so Junius.

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Über den Experten

Tomke Hansmann
Tomke Hansmann
Redakteurin

Nach ihrem Studium und einer anschließenden journalistischen Ausbildung arbeitet Tomke Hansmann seit dem Jahr 2000 im Umfeld Börse, zunächst als Online-Wirtschaftsredakteurin. Nach einem kurzen Abstecher in den Printjournalismus bei einer Medien-/PR-Agentur war sie von 2004 bis 2010 als Devisenanalystin im Research bei einer Wertpapierhandelsbank beschäftigt. Seitdem ist Tomke Hansmann freiberuflich als Wirtschafts- und Börsenjournalistin für Online-Medien tätig. Ihre Schwerpunkte sind Marktberichte und -kommentare sowie News und Analysen (fundamental und charttechnisch) zu Devisen, Rohstoffen und US-Aktien.

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