Kommentar
09:48 Uhr, 02.10.2015

Kapitalmärkte im Schlussquartal 2015 - Wo stehen wir?

Es gibt Zeiten, da kommt es knüppeldick, es gilt Murphys Gesetz, wonach alles, was schiefgehen kann, auch tatsächlich schiefgeht. Das spüren im III. Quartal auch deutsche Aktien. Banken, Versicherungen und Versorger sind fundamental angeschlagen. Dies allein wäre schon belastend genug für den DAX. Jetzt kommt auch noch die Wachstumsschwäche Asiens und Lateinamerikas, eine unentschlossene Fed und die skeptische Frage nach „Made in Germany“ hinzu. Wie könnte das Kapitalmarktjahr 2015 schließen?

China-Aktien haben das Schlimmste hinter sich

Chinas Wirtschaft konsolidiert. So bröckelt der Immobilienmarkt weiter. Und die Industrie wird durch eine sogar oberhalb der Wirtschaftsleistung Chinas liegende Verschuldung belastet. Leider zeigt sich der Konsum, der bei der Nachhaltigkeit des chinesischen Wirtschaftswachstums die Hauptrolle spielen sollte, auch noch schwach. Durch die Propaganda der KP in Peking haben Chinesen Aktien auf Kredit gekauft. Da sie nach dem letzten Aktienkursverfall insofern unter einem zweifach negativen Vermögenseffekt leiden, ist ihre Konsumeuphorie naturgemäß gebremst. Eine gemäß Einkaufsmanagerindex trübe Industriestimmung unterhalb der Expansion anzeigenden Schwelle zieht schrumpfende Gewinne nach sich. Die KP ist zu unkonventionellen Maßnahmen gezwungen: Die Notenbank wird umfangreiche staatliche Konjunkturprogramme gegenfinanzieren müssen. Immerhin scheint die Unterstützungszone von 3.000 Punkten im Shanghai Composite Index zu halten.

Die Geldpolitik verfolgt Japan wie ein Schatten

Japan kommt aus der Rezession nicht heraus. Die als „Abenomics“ bekannten Konjunkturmaßnahmen haben angesichts der demographischen Überalterung und dem nachlassenden Importsog Chinas keinen überkompensierenden Erfolg zeigen können. Das angekündigte Wachstumsziel von 20 Prozent - zu dem es verwirrenderweise ohnehin keinen Zeitbezug gibt - bleibt reine Utopie. Zukünftig wird der Bank of Japan notgedrungen eine noch größere Bedeutung zukommen. Bereits aktuell kauft sie netto die komplette Neuverschuldung Japans auf, da die Aufnahmefähigkeit bei inländischen Investoren erschöpft ist. Weitere, noch massivere Konjunkturpakete werden ebenfalls von der Geldpolitik gedeckt werden müssen. Zur Bekämpfung der wieder erscheinenden hässlichen Fratze der Deflation ist ein Eingreifen der Notenbank ohnehin alternativlos. Die japanische Liquiditätsschwemme ist damit so etwas wie der geldpolitische Blankoscheck, der den Nikkei 225 bis Jahresende zu Indexständen von 19.000 Punkten treiben wird.

Die VW-Krise unterzieht die deutsche Industrieleitkultur einem „TÜV-Anlagetest“

Schon länger leiden Banken unter der Regulierung, Versicherungen unter geringen Zinserträgen und Versorger unter einem wahlpopulistischen Atomwende-Manöver. Nach der dicken Luft bei VW hinterfragt jetzt auch noch das große angelsächsische Kapital das Geschäftsmodell „Made in Germany“ und sinniert, ob die zyklische deutsche Aktienkultur nicht ohnehin nur der „old economy“ zuzuordnen ist und damit an Sexappeal verliert. Ja, tatsächlich könnte man ins Grübeln kommen, wenn man bedenkt, dass die zwei amerikanischen Zukunftsfirmen Apple und Google mehr wert sind als der gesamte DAX zusammen. Wo sind denn unsere deutschen digitalen Zukunftsunternehmen, unsere aufstrebenden Biotech-Firmen? Die finden sich schwerpunktmäßig auch eher in Amerika und Asien. Droht den deutschen Schicksalsbranchen im Vergleich zu anderen Indices also ein Bewertungsabschlag? Auch zur Neuen Markt-Zeit war „old economy“ wenig gefragt. Doch sie wurde gewaltig rehabilitiert. Solange die Weltwirtschaft wächst - und dafür wird mit Konjunkturprogrammen global gesorgt - kommt man an „good old german economy“ nicht vorbei. Unsere Qualität ist grundsätzlich gut und das Wolfsburger Problem wird zur Not „Auto-deutsch“ gelöst. Der Oktober mag für den DAX noch volatil sein.

Der MDAX ist der wahre Held der deutschen Aktienkultur

Warum schaut man immer nur auf den DAX? Der MDAX läuft dem Leitindex schon seit Jahren den Rang ab. Ja, ausgerechnet der MDAX als Sammelbecken besonders konjunkturzyklischer Aktien, also „old economy“. Das zeigt sehr deutlich, dass die deutsche industrielle Leitkultur für ausländische Investoren sehr lebendig ist. Zahlreiche mittelständige Werte besetzen mit ihren spezialisierten Qualitätsprodukten, Industriepatenten und einer effizienten Kostenstruktur die Position als Weltmarktführer auch in Nischenmärkten. Insofern haben wir es derzeit klar mit einer Übertreibung in puncto deutsche Aktienkursverluste zu tun. Hinzu kommt das anlagetechnische Argument, wonach der Kapitalabzug internationaler Investoren vor allem Standardtitel aus dem DAX betrifft.

Sollten sich die ifo Geschäftserwartungen weiter stabilisieren, bleibt die relative Stärke des MDAX erhalten. Ende des Jahres ist dem MDAX ein Indexstand von 20.500 Punkten zuzutrauen.

GRAFIK DER WOCHE

Grafik: ifo Geschäftserwartungen und relative Wertentwicklung MDAX zum DAX, indexiert

Die Volatilität nicht als Feind, sondern als Freund des Anlegers betrachten

Die Risikoaversion an den Aktienmärkten hat sich markant erhöht. Die steigende Schwankungsbreite macht finanztechnisch betrachtet Discount- und Bonusprodukte sowie Aktienanleihen laufend attraktiv. Mit ihnen lassen sich Teilabsicherungen gegen zwischenzeitliche Börsenverluste günstig darstellen.

Vor allem jedoch schreit das verstärkte Auf und Ab an den Aktienmärkten förmlich nach Aktienansparplänen. Und das am besten auf Aktienindices, um das Einzelwertrisiko zu mildern und am besten regelmäßig, um das Risiko größerer einmaliger Anlagen zu umgehen. Denn des Anlegers bester Freund ist der Durchschnittskosteneffekt. Bei monatlichem Ansparen erhält man als Anleger bei steigenden Kursen zwar weniger Aktienanteile, dafür nimmt man jedoch die Kurssteigerungen mit. Und wenn die Kurse zwischenzeitlich fallen, erhält man bei gleichbleibendem Ansparplan mehr Aktienanteile. Bei wieder steigenden Kursen macht sich das kaufmännische Motto „Im Einkauf liegt der Gewinn“ positiv bemerkbar.

Aktuelle Marktlage und Anlegerstimmung: Wer Deflation hat, hat auch Liquidität

Das III. Quartal hat wie ein reinigendes Gewitter gewirkt. Es ist besser, dass alles Negative - also China, VW, US-Zinswende - auf einmal auf den Tisch gekommen ist, als wenn die Probleme schleppend abgearbeitet werden müssen. Immerhin kann jetzt niemand mehr von einer technischen Überkauft-Situation sprechen.

VW wird sich einer scharfen Zäsur unterziehen müssen. Dividendenstreichungen, eine Kapitalerhöhung, die Abgabe auch heiß geliebter Unternehmensteile sind möglich. Aber egal, was in Wolfsburg oder in der deutschen Autoindustrie passiert, das politische und unternehmerische Deutschland wird gemeinsam die deutsche Autokultur aufrechterhalten. Das sollte im Übrigen niemand für verwerflich halten, das passiert in anderen Ländern regelmäßig, ohne dass dort die Nase gerümpft wird. Schauen Sie nach Frankreich, Großbritannien oder in die USA.

Im November und Dezember werden sich die Wogen wieder geglättet haben und der DAX wird wieder steigen. Die Jahresend-Rallye ist also nicht abgesagt, auch wenn sie weniger schwungvoll verlaufen wird als bislang erwartet. Für Häme seitens angelsächsischer Anleger in puncto deutsche Aktien besteht kein Anlass: Vor dem Morgen ist die Nacht am schwärzesten.

Darüber hinaus sorgt eine erneut negative Inflationsrate von -0,1 Prozent in der Eurozone dafür, dass die Geldpolitik der EZB auf die wieder zunehmenden Deflationsgefahren reagieren muss. Auch prospektiv - unter Berücksichtigung der Inflationserwartungen - ist der Preisdruck in der Eurozone noch weit von normalen Verhältnissen entfernt. Selbst die Deutsche Bundesbank müsste anerkennen, dass das Inflationsniveau zu gering ist. Vor diesem Hintergrund ist die Ausweitung des Anleiheaufkaufprogramms ab 2016 zu erwarten. Damit ist zwar keine automatische konjunkturelle Besserung verbunden. Doch dient mehr Liquidität zumindest als Teilkaskoversicherung für die Aktienmärkte in Europa und Deutschland.

Die Fed steht nicht im Zugzwang, die Leitzinsen in diesem Jahr erhöhen zu müssen. Sollte sie dies dennoch tun, wird Frau Yellen der Finanzwelt aber deutlich machen müssen, dass darüber hinaus zinspolitische Behutsamkeit die Mutter der Porzellankiste ist.

Charttechnik DAX und Euro Stoxx 50: Die Lage bleibt angespannt

Aus charttechnischer Sicht gilt es im DAX, die Zone um das Jahrestief bei 9.338 Punkten zu verteidigen. Misslingt dies, dürften die nächsten nennenswerten Unterstützungen bei rund 8.900 und 8.500 Punkten angesteuert werden, bevor der Index auf den seit 2009 bestehenden langfristigen Aufwärtstrend bei derzeit 8.360 Punkten trifft. Damit sich die kritische Lage entspannt, sollte der DAX über der ersten Hürde bei 9.712 Punkten schließen. In diesem Fall wartet die nächste Herausforderung bei 9.787 Punkten. Darüber verläuft eine Widerstandszone zwischen 9.935 und 10.079 Punkten. Weitere Barrieren liegen bei 10.437 und 10.652 Punkten.

Im Euro Stoxx 50 zeigt der kurzfristige Trend weiter abwärts. Neues Ungemach droht, wenn der Index den Auffangbereich zwischen 3.000 und 2.970 Punkten signifikant durchbricht. Dann müssen weitere Abgaben bis zur starken Unterstützung bei 2.850 Punkten einkalkuliert werden. Darunter verlaufen mögliche Haltelinien am Vorjahrestief bei 2.790 und bei 2.550 Punkten. Chancen auf eine nennenswerte Aufwärtsbewegung ergeben sich dagegen erst, wenn der Widerstand bei 3.160 Punkten deutlich überwunden wird. Die nächsten Barrieren warten dann zwischen 3.290 und 3.325 Zählern.

Und was passiert in KW 40?

Auf Unternehmensebene eröffnet Alcoa die US-Berichtsaison für das zurückliegende III. Quartal. Vor dem Hintergrund der angespannten weltkonjunkturellen Lage ist mit einem stagnierenden Ergebnis zu rechnen. Im Mittelpunkt dürften Informationen zur geplanten Unternehmensaufspaltung stehen.

Auf Makroebene klopfen die Anleger in den USA nach dem verbalen Zick-Zack-Kurs von Fed-Chefin Yellen das Protokoll der vergangenen Zinssitzung auf Hinweise zum genauen Zeitpunkt der ersten Zinserhöhung ab.

In der Eurozone stehen die Parlamentswahlen in Portugal im Fokus. Auch wenn die neue Regierung der bisherigen Sparpolitik ein Ende setzen dürfte, sorgt das Wahlergebnis für wenig Verunsicherung an den Märkten: Jegliche Finanzkrise, die die bereits angeschlagene EU erschüttern könnte, wird notgedrungen unterdrückt.

Das Sentix Investorenvertrauen in der Eurozone dürfte weiter nachgeben.

HALVERS WOCHE

Die Eurozone in der Pubertät - Nehmen jetzt die Zerfallserscheinungen zu?

Jeder der Kinder hat, weiß, dass die Phase der unbeschwerten Kinderzeit mit spätestens 14 vorbei ist und dass spätestens jetzt in der Pubertät Stimmungsschwankungen, Launenhaftigkeit und der Stress mit den Eltern zunehmen.

Sag mir, wo die Reformer sind, wo sind sie geblieben?

Die Eurozone befindet sich genau im 14. Lebensjahr. Ihre pubertären Anwandlungen sind für jeden ersichtlich, der Online-Portale besucht, Zeitungen liest oder einfach nur in die Flimmerkiste guckt. Die hyperinflationär gebrauchten Begriffe wie „Wertegemeinschaft“, „Stabilitätsunion“ oder „Schicksalsgemeinschaft“ sind Worthülsen, die aber erst dann eine Bedeutung erlangen, wenn sie mit Leben gefüllt werden. Doch das werden sie nicht. Wer in Europa Stabilität oder gute Standortqualitäten sucht, wird eher Instabilität und Reformunfähigkeit finden. Damit stehlen die Politiker den jungen Leuten in Europa Perspektiven. Diese Herrschaften denken „Jeder ist sich selbst der Nächste“. Sie haben zuerst ihre Wiederwahl im Kopf. Welcher Verantwortliche in Europa setzt schon auf Reformen, wenn sie die eigene Abwahl bedeuten? In Italien verspricht Herr Renzi vollmundig zwar immer massive Reformpolitik. Danach passiert aber herzlich wenig. Lieber Herr Renzi, passen Sie auf, dass sie die italienische Kunstfigur Pinocchio nicht persönlich verkörpern. Auch Hollande in Paris ist in puncto Wirtschaftsreformen so unbeweglich wie der Eiffelturm. Und wie sollen sich jetzt Menschen für Europa oder gar die Währungsunion erwärmen, wenn sie mit Europa vor allem Arbeits- und Perspektivlosigkeit verbinden?

Mario Draghi als nützlicher Erfüllungsgehilfe für Euro-Politiker

In Ermangelung einer prosperierenden Privatwirtschaft sind viele Euro-Staaten dann gezwungen - ähnlich wie bei Smarties - mit vielen vielen bunten Staatsschulden konjunkturell dagegen zu halten. Mittlerweile hat man die EZB so weit, dass sie den Schulden-Deckel bezahlt. Ohne sein Eingreifen hätten wir Euro-Bonds, bei denen u.a. ein starkes Deutschland mit seinem guten finanzpolitischen Leumund für andere, bonitätsschwächere Euro-Länder bürgen müsste. Für unser damit erhöhtes Risiko hätten wir dann aber auch einen Zinsrisikoaufschlag bezahlen müssen. Hinter stabilitätsheuchelnd vorgehaltener Hand sind Deutschlands Politiker doch sehr dankbar, dass ihnen die EZB die Kastanien aus dem Feuer holt. Der Kelch der deutschen Staatsanleihen-Versicherung ist so an uns vorüber gegangen. Zusätzlich sind wegen Mario Draghis „segenreichen“ Anleihekäufen die Renditen deutscher Staatstitel so stark gefallen, dass der deutsche Bundeshaushalt die „schwarze Null“ schreiben kann. Hat sich der Bundesfinanzminister eigentlich schon bei Herrn Draghi für seine Deutschland freundliche Geldpolitik bedankt? Denn niemand soll sich in Berlin einbilden, dass die soliden Staatsfinanzen Folge einer famosen Fortsetzung der „Agenda 2010-Politik“ sind. Leider fällt die GroKo hier durch große Passivität auf. Keine Partei will die Wähler verprellen. Dabei hätte die GroKo alle politischen Möglichkeiten, ganz dicke Bretter zu bohren. Doch für ihre Brettchen reicht mühelos eine Laubsäge. In Deutschland wird zu sehr verwaltet und zu wenig angepackt. Warum tut man trotz bester Refinanzierungsmöglichkeiten nicht endlich etwas gegen die marode deutsche Infrastruktur? An dieser Stelle jedoch möchte ich ausdrücklich Spanien für seine in Europa selten gewordene Reformpolitik loben: Spanien wächst in diesem Jahr mit über drei Prozent. Fantastico!

Wehe, wenn der Chorgeist seinen Geist aufgibt

Besonders erbärmlich ist das Bild, das Europa in der Bewältigung der Flüchtlingskrise bietet. Die in der Theorie heiligen Werte und Solidaritätsbekundungen finden von vielen EU-Politikern in der Praxis keine sozialpolitische Anwendung. Das ist nicht nur anti-europäisch, das ist asozial.

Wundert es da insgesamt noch, dass Europa Zersetzungserscheinungen zeigt? Bei der Regionalwahl in Katalonien haben die Anhänger der Unabhängigkeit von Spanien die absolute Mehrheit der Parlamentssitze erobert. Selbst Prominente wie ein bekannter Trainer aus der deutschen Bundesliga zählen zu den Befürwortern. Rein rechtlich mag eine Abspaltung Kataloniens laut spanischer Verfassung und spanischem Verfassungsgerichtsurteil unmöglich sein. Schaut man jedoch in die Geschichtsbücher, fällt auf, dass Volkes Stimme gegenüber dem Recht oft genug die Nase vorn hatte.

Doch damit nicht genug der Sezessionsbestrebungen: Das Große Britannien plant für 2016 eine Abstimmung über die EU-Mitgliedschaft. Noch ist es zu früh, eine Ergebnisprogose abzugeben. Rational gesprochen, hätte ein Dasein der Briten out of Europe sicherlich dramatische Nachteile. Das Land wäre eine Insel der wirtschaftlich Verdammten. Na und? Die Briten ticken anders. Für viele von ihnen ist der Brexit und damit die Genugtuung, nicht mehr zur knubbeligen EU-Verwandtschaft zu gehören, ein Wert an sich. Insbesondere für uns Deutsche „Kontinental-Europäer“ mit unserer in Außenhandelskonkurrenz stehenden Industrie wäre das britische EU-Aus unangenehm. Auch wenn man die englische Küche nicht mag, ist dennoch festzustellen, dass die Insel die Fahne der Marktwirtschaft und Wettbewerbsfähigkeit stets hochgehalten hat. Ohne David Camerons Briten ist Deutschland so ziemlich allein mit den staatsorientierten Gesundbetern der Rest-EU, die ihre Wirtschaftspolitik immer in einem Satz zusammenfassen können: Die Staatsfinanzierung deckt die EZB.

Und was machen wir erst, wenn Marine Le Pen - die selbsternannte Anti-Europa-Jeanne d’Arc - 2017 bei den französischen Präsidentschaftswahlen unverhofft gewinnt. Wenn das so passiert, ist mit Deutschlands Brudervolk Frankreich kein Euro-Staat mehr zu machen. Und was wird dann aus dem deutsch-französischen Motor? Der ist dann selbst zu schwach, um auch nur ein Salatblatt vom Teller zu ziehen, geschweige denn Europa voranzubringen.

An der Finanzkrise wird Europa nicht scheitern, aber…

Vorerst wird die EU oder die Eurozone nicht an einer Finanzkrise, konkret einer Staatsschuldenkrise scheitern, solange Schuldenmacherei mit geldpolitischer Gegenfinanzierung betrieben wird. Auch Griechenland wird mit der Soft-Version von Hartz IV, nämlich „Nicht fordern und dennoch fördern“, einstweilen bei finanzpolitischer Laune gehalten. Längerfristig sind wir damit allerdings definitiv - um es mit AC/DC zu sagen - auf dem „Highway to Hell“.

Was aber Europa den Hals schneller kosten könnte, sind politische bzw. sozialpolitische Missstände. Wenn der EU-Verein weiter nicht durch harmonische Lösungen, sondern durch gegenseitiges Hauen und Stechen auffällt oder wenn seine Bürger und vor allem Jugendlichen weiter durch wirtschaftspolitisch unverantwortliches Nichtstun desillusioniert werden und daher der Wunsch nach Renationalisierung immer stärker aufkommt, ist Europa in seiner Existenz gefährdet. Dann kann auch Draghi nicht mehr dagegen halten. Trotz geldpolitischer Brechstange fällt es ihm ja schon schwer, Inflation zu erzeugen.

Im Extremfall wird Europa sogar zum sterbenden Kontinent. Unternehmen werden sich nicht lange grämen. Denn sie sind mobil wie muntere Rehlein. Sie werden die EU-Reformwüste so schnell wie möglich Richtung Amerika und Asien verlassen. Denn dort ist man reformfähig und legt Europas Top-Unternehmen und den Patentträgern gerne den roten Teppich aus. Was das für Europas Aktienmärkte bedeutet, ist klar. Wenn die Unternehmen wie Adler wegfliegen, werden die Aktien wie Hühner auf dem Boden scharren.

Europa sollte endlich begriffen haben, das die Stunde geschlagen hat. Ansonsten wird es zwischen den USA, China und Russland zerrieben wie von einer Käsereibe. Pubertäre Anwandlungen sind nicht schlimm. Sie gehören zur Weiterentwicklung auch der Eurozone dazu. Allerdings sollten sie politisch beherrschbar bleiben. Liebe EU-Schönwetter-Politiker, ich bin Eure Lethargie satt! Werft Eure Schlaftabletten weg und nehmt endlich Aufputschmittel. Ansonsten droht Europa nur noch eine geographische Größe zu sein.

VOLKSWIRTSCHAFTLICHE PROGNOSEN AUF EINEN BLICK

KAPITALMARKT AUF EINEN BLICK

Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse der Baader Bank AG

Rechtliche Hinweise/Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenskonflikten der Baader Bank AG:

http://www.baaderbank.de/disclaimer-und-umgang-mit-interessenskonflikten/

3 Kommentare

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  • BigFish
    BigFish

    Topp Beitrag von einem Topp Denker. Mein Applaus und Respekt für die Kompetenz und Klarsichtigkeit.

    13:13 Uhr, 02.10.2015
  • Murx
    Murx

    Treffender europa-politischer Rundumschlag.

    11:43 Uhr, 02.10.2015
  • Marco Soda
    Marco Soda

    Super, genauso überzeugend wie Ihr Auftritt zum Börsentag bei der BNP in Frankfurt !!!

    Beifall !!!!!!!!!!!!

    10:49 Uhr, 02.10.2015