Japan: Wirtschaftliche Auswirkungen des Erdbebens
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1. Das Erdbeben vor der Küste Honshus ist zuallererst eine bedrückende Tragödie für die Menschen in der japanischen Region. Dennoch wollen wir an dieser Stelle einen ersten Blick auf die möglichen ökonomischen Auswirkungen werfen. Die Naturkatastrophe trifft die japanische Volkswirtschaft in mehrfacher Hinsicht. Zweifellos sind die wirtschaftlichen Entwicklungen der nächsten Wochen und Monate nicht im Detail absehbar, zumal sich insbesondere die Situation im Atomkraftwerk Fukushima noch weiter zuspitzen könnte. Wir wollen daher zunächst Übertragungseffekte für die wirtschaftliche Entwicklung aufzeigen, wenngleich konkrete Aussagen zur Stärke der wirtschaftlichen Beeinträchtigung bislang nicht möglich erscheinen. Die Naturkatastrophe hat aus ökonomischer Sicht insgesamt vier verschiedene Dimensionen:
2. Erste Dimension: Das Erdbeben und seine direkten Auswirkungen. Aus wirtschaftlicher Sicht wurden hierbei in erster Linie Vermögenswerte wie Gebäude, Verkehrswege und Fabriken zerstört bzw. beschädigt. Das letzte im Ausmaß vergleichbare Erdbeben fand in Japan am 17. Januar 1995 in Kobe statt. Damals starben über 6000 Menschen, 300.000 Personen wurden obdachlos und es entstand ein Schaden von 100 Milliarden Euro. Die gesamtwirtschaftliche Entwicklung wurde hiervon aber nicht spürbar beeinträchtigt: Zwar sanken die Einzelhandelsumsätze im Januar 1995 um 1,4 % gegenüber dem Vormonat und auch die Industrieproduktion verringerte sich in diesem Monat um 2,6 %. Eine kurzfristige Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Aktivität war also durchaus zu beobachten. Das Bruttoinlandsprodukt nahm im ersten Quartal 1995 aber um 0,8 % gegenüber dem Vorquartal zu. Die schwache private Konsumaktivität und der Rückgang der privaten Anlageinvestitionen wurden durch eine erhöhte staatliche Aktivität ausgeglichen. Diese stand im Zusammenhang mit den anschließenden Aufräumarbeiten nach dem Erdbeben und ist typisch für Naturkatastrophen. Denn eine Abschwächung der privaten Nachfrage wird oftmals rasch durch eine höhere staatliche Nachfrage kompensiert.
3. Zweite Dimension: Der durch das Erdbeben ausgelöste Tsunami. Er dürfte im Vergleich zum Erdbeben in Kobe stärkere wirtschaftliche Belastungen auslösen. Vermutlich verzögern die teilweise nur langsam abfließenden Wassermassen den Beginn der Aufräumarbeiten. Durchaus möglich ist, dass die Schäden an der Infrastruktur ebenfalls ein größeres Ausmaß haben, als bei dem Erdbeben Mitte der Neunzigerjahre. Zusammengenommen bedeutet dies, dass der Wegfall von privater Nachfrage nicht so schnell wie damals durch eine staatliche höhere Nachfrage kompensiert werden sollte. Die gesamtwirtschaftliche Aktivität wird also zeitlich befristet sinken. Sowohl die materiellen Erdbebenschäden als auch die Überschwemmungsschäden stellen aus volkswirtschaftlicher Sicht eine kurzfristige Nachfrageschwankung dar, die letztlich auf Sicht weniger Wochen überwunden sein sollte. Zwar können die regionalen Auswirkungen teilweise auch langfristiger Natur sein, wie man gerade am Beispiel Kobe oder beim Hurrikan "Katrina" im Süden der USA feststellt. Diese wirtschaftliche Schwächung einer Region bedeutet aber eine Stärkung anderer Regionen in Japan, sodass im Aggregat keine nennenswerten Änderungen stattfinden.
4. Dritte Dimension: Ausfall der Stromversorgung. Durch das Erdbeben entstanden erhebliche Probleme im Kernkraftwerk Fukushima. Insgesamt wurde in vier Kernkraftwerken (Fukushima I., Fukushima II., Onagawa und Tokai II.) die Stromerzeugung ausgesetzt. Dadurch ist die Gesamtenergieleistung aller japanischen Atomkraftwerke um knapp 20 % zurückgegangen. Das trifft nicht nur die Region selbst, sondern die Volkswirtschaft insgesamt. Unternehmen, die weder durch das Erdbeben noch durch den Tsunami Schäden erlitten haben, könnten hierdurch mangels Energieversorgung in ihrer Produktionsmöglichkeit begrenzt werden. Zwar wurde die zunächst von Ministerpräsidenten Kan angeordnete Stromabschaltung für Tokio und andere Städte über einen Zeitraum von drei Stunden abgesagt. Der Verlust an Stromkapazität könnte mittelfristig zu einer Rationierung von Energie führen und damit die gesamtwirtschaftliche Produktion, und damit. auch das Wirtschaftswachstum über einen längeren Zeitraum beeinträchtigen.
5. Die Probleme im Kernkraftwerk Fukushima haben schließlich auch eine (vierte) nukleare Dimension. Zwar blieb nach bisherigen Meldungen der Großraum Tokio von einer atomaren Verstrahlung verschont. Die Wetterverhältnisse dürften aber am Dienstag zu einer ungünstigen Windrichtung führen. Der Bevölkerung wird bislang angeraten, zunächst in den eigenen Räumen zu verbringen, was die wirtschaftliche Aktivität ebenfalls schmälern würde. Bliebe es hierbei, wären die volkswirtschaftlichen Schäden auch insgesamt noch begrenzt und sehr wahrscheinlich beherrschbar. Eine Rezession wäre in diesem Falle nicht zwingend. Im Falle eines Super-GAU, bei dem eine sehr große Menge an radioaktivem Material freigesetzt würde, wäre es aber vorstellbar, dass der Großraum Tokio entweder zeitlich begrenzt oder sogar dauerhaft evakuiert werden müsste. Die hieraus entstehenden volkswirtschaftlichen Schäden wären dann kaum noch beherrschbar. Die Umsiedlung einer riesigen Anzahl an Menschen in einem solch dicht besiedelten Land, oder der Aufbau von Infrastruktur für eine neue Millionenstadt - um nur einige Aspekte zu nennen - dies alles würde die wirtschaftliche Entwicklung massiv behindern und deshalb eine tiefe und lang anhaltende Rezession verursachen.
6. Während die staatlichen Wiederaufbaumaßnahmen aufgrund von zerstörter Infrastruktur später als sonst üblich beginnen können, hat die Bank of Japan (BoJ) in unmittelbarer Reaktion auf das Erdbeben mit 7.000 Mrd. Yen (61,25 Mrd. Euro) das größte Offenmarktgeschäft ihrer Geschichte durchgeführt. Ziel So will man verhindern, dass die Beeinträchtigung der Geschäftstätigkeit bei Banken einen allgemeinen Rückgang der Liquidität an den Finanzmärkten und deshalb noch größere Kurseinbrüche bei Aktien und anderen Vermögenswerten nach sich zieht. Die BoJ kündigte weitere Maßnahmen dieser Art an, soweit diese sich für die Stabilität an den Finanzmärkten als notwendig erweisen. Ihre Fähigkeit, die Märkte mit Liquidität zu unterstützen, ist theoretisch unbegrenzt. Demgegenüber besitzt sie nur wenig Spielraum, die realwirtschaftlichen Folgen des Erdbebens mit einer Lockerung ihrer Geldpolitik abzufedern, wie es etwa die Reserve Bank of New Zealand in der vergangenen Woche nach dem dortigen starken Erdbeben mit einer Leitzinssenkung um 50 Basispunkte getan hat. Da die japanischen Leitzinsen bereits in einem Intervall von 0 bis 0,1 % liegen, stehen der BoJ nur noch weitere quantitative Maßnahmen zur Verfügung. So verdoppelte sie ihr Wertpapierankaufprogramm auf 10.000 Mrd. Yen (87,5 Mrd Euro) und verlängerte den für die Ankäufe geplanten Zeitraum um sechs Monate bis Mitte 2012. Zugleich legt sie bei diesem Programm einen stärkeren Fokus auf risikobehaftete Aktiva, wie Unternehmensanleihen, Exchange Traded Funds und Real Estate Investment Trusts. In ihrem begleitenden Statement erläutert sie die Zielsetzung dieser Maßnahmen: Einem möglichen Anstieg der Risikoaversion an den Finanzmärkten sowie einer sich verschlechternden Stimmung im Unternehmenssektor soll entgegen gewirkt werden.
7. Wir warten an dieser Stelle nicht mit einer neuen Prognose für die wirtschaftliche Entwicklung auf. Aus unserer Sicht ist dies verfrüht. Sollte der atomare Super-GAU ausbleiben, würden wir eine Rezession (zwei aufeinander folgende Quartale mit schrumpfendem Bruttoinlandsprodukt) eher ausschließen. Es liegt jedoch auf der Hand, dass die ohnehin schon bestehenden fiskalischen Probleme nun verschärft werden. Durchaus denkbar wäre daher eine landesweite Steuer für den regionalen Wiederaufbau. Japan steht vor einer immensen Kraftanstrengung, nicht nur beim Wiederaufbau, sondern auch in Bezug auf die Energiepolitik. Die japanische Volkswirtschaft ist zwar eine der größten der Welt, spürbare Auswirkungen für die globale Entwicklung sind aber nur im Falle einer unkontrollierten großflächigen Verbreitung von Radioaktivität vorstellbar.
Quelle: DekaBank
Die DekaBank ist im Jahr 1999 aus der Fusion von Deutsche Girozentrale - Deutsche Kommunalbank- und DekaBank GmbH hervorgegangen. Die Gesellschaft ist als Zentralinstitut der deutschen Sparkassenorganisation im Investmentfondsgeschäft aktiv. Mit einem Fondsvolumen von mehr als 160 Mrd. Euro und über fünf Millionen betreuten Depots gehört die DekaBank zu den größten Finanzdienstleistern Deutschlands. Im Publikumsfondsgeschäft hält der DekaBank-Konzern einen Marktanteil von etwa 20 Prozent.
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