Kommentar
14:25 Uhr, 19.05.2011

Japan: Bruttoinlandsprodukt durch Naturkatastrophe stärker belastet als erwartet

1. Das Erdbeben vom 11. März hat die japanische Volkswirtschaft härter als erwartet getroffen. Zeichnete sich anhand von monatlichen Indikatoren wie den Einzelhandelsumsätzen oder der Industrieproduktion bis einschließlich Februar ein solides Wachstum für das erste Quartal 2011 ab, erfolgte dann ein erheblicher Einbruch der wirtschaftlichen Aktivität. Nach bisherigen Berechnungen sank das Bruttoinlandsprodukt im ersten Quartal um 0,9 % gegenüber dem Vorquartal und damit sogar noch deutlicher, als allgemein erwartet wurde (Bloomberg-Umfrage und DekaBank: -0,5 %). Auf das Gesamtjahr hochgerechnet bedeutet dies einen Rückgang um -3,7 %. Bereits im vierten Quartal 2010 sank die wirtschaftliche Aktivität, sodass sich die Volkswirtschaft im technischen Sinn in einer Rezession befindet. Allerdings verringerte sich die Aktivität im vierten Quartal nicht aufgrund einer allgemeinen und zyklischen Abschwächung, sondern aufgrund eines Rückpralleffekts nach einem kräftigen Zuwachs im Quartal zuvor. Wir gehen auch nach den heutigen Zahlen davon aus, dass im laufenden Quartal die wirtschaftliche Aktivität noch schrumpfen wird. Von einer Rezession ist also auszugehen, unabhängig davon, wann sie tatsächlich begonnen hat.

2. Die Zusammensetzung der wirtschaftlichen Aktivität im ersten Quartal entspricht weitgehend unseren Erwartungen. So verringerte sich der private Konsum gegenüber dem Vorquartal, und ebenfalls etwas ausgeprägter, als von uns erwartet. Hier dürften Ausfälle in den vom Tsunami betroffenen Gebieten der Hauptgrund gewesen sein. Zu beachten ist, dass die Realeinkommen im ersten Quartal um 1,6 % gegenüber dem Vorquartal gesunken sind. Da die Konsumaktivität entscheidend von der Einkommensdynamik abhängt, ist nicht auszuschließen, dass hier im zweiten Quartal eine noch größere gesamtwirtschaftliche Belastung folgen wird, zumal sich der Arbeitsmarkt noch weiter abschwächen dürfte.

3. Durchaus positiv überraschen konnten die Anlageinvestitionen. Zwar sanken die gewerblichen Investitionen gegenüber Vorquartal, aber nicht ganz so deutlich wie von uns erwartet. Die Wohnungsbauinvestitionen konnten sogar gegenüber dem Vorquartal zulegen. Für beide Bereiche gilt, dass im zweiten Quartal mit deutlichen Schrumpfungsraten zu rechnen ist. Im Bereich der Staatsinvestitionen setzte sich die Normalisierung der Vorquartale fort: Aufgrund des Auslaufens von Konjunkturprogrammen schrumpft hier die Aktivität seit Anfang 2010. Die Wiederaufbaumaßnahmen dürften dieser Normalisierung allerdings ein Ende setzten, sodass hier mit einem positiven Wachstumsbeitrag im zweiten Quartal gerechnet werden kann.

4. Positiv überraschen konnte der Außenhandel. So stiegen sowohl die Exporte als auch die Importe gegenüber dem Vorquartal an. Monatliche Außenhandelsdaten hatten in beiden Fällen auf Schrumpfungen hingedeutet. Beide Prognosefehler glichen sich einander aus, sodass der negative Wachstumsbeitrag des Außenhandels unseren Erwartungen entspricht. Die Auswirkungen der Naturkatastrophe sind in erster Linie ein inländisches Problem. Sicherlich dürfte nachfragebedingt der Import im zweiten Quartal schrumpfen. Weil die Importe negativ in die Berechnungen des Bruttoinlandsprodukts eingehen, bedeutet dies einen positiven Wachstumsbeitrag. Die inländischen Produktionsprobleme dürften sich aber auch auf der Exportseite niederschlagen, sodass in der Summe weder eine Entlastung noch eine zusätzliche übermäßige Belastung vom Außenhandel zu erwarten ist.

5. Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Naturkatastrophe stellen vor allem eine Belastung der Produktion dar. Sowohl der Verlust an Infrastruktur als auch die Probleme in der Energieversorgung führten vermutlich zu erheblichen Produktionskürzungen. Exemplarisch (eine entstehungsseitige Berechnung des Bruttoinlandsprodukts gibt es nur auf Jahresbasis) sei hier der Rückgang der Industrieproduktion im März von 15,5 % gegenüber dem Vormonat genannt. Der gesamtwirtschaftliche Produktionsrückgang zeigt sich in der verwendungsseitigen Berechnung des Bruttoinlandsprodukts nur zum geringen Teil in dem Rückgang des Konsums und der Anlageinvestitionen und sehr viel deutlicher im Bereich der Lagerinvestitionen. Der Einbruch der Lagerinvestitionen war ausgeprägter als von uns erwartet und damit hauptverantwortlich für die überraschend hohe Schrumpfungsrate des Bruttoinlandsprodukts. Für die kommenden Quartale deuten die niedrigen Lagerinvestitionen jedoch einen erneuten Lagerzyklus an.

6. Der Wachstumsausblick der kommenden Quartale hängt von zwei Faktoren entscheidend ab: Wie rasch kann der Wiederaufbau gelingen und in welchem Ausmaß belasten zu erwartende Steuererhöhungen. Der zu erwartende Lagerzyklus kann nur dann erfolgen, wenn die Probleme beispielsweise in der Energieversorgung gelöst werden. Je länger diese Probleme bestehen, umso wahrscheinlicher ist, dass japanische Unternehmen international einen spürbaren Wettbewerbsnachteil haben und Marktanteile verlieren. Die Kosten des Wiederaufbaus können nicht alleine vom Staat getragen werden, weil dieser bereits vor der Naturkatastrophe extrem hoch verschuldet gewesen ist. Sehr wahrscheinlich ist, dass die Kosten über eine noch stärkere Schuldenaufnahme nicht komplett in die Zukunft verlagert werden können, sondern zeitnah von den heutigen Steuerzahlern bezahlt werden müssen. Die oftmals schon von der Regierung vorgeschlagene Mehrwertsteuererhöhung von 5 % auf 10 % würde allerdings zu einem weiteren, wenn auch zeitlich befristeten, Einbruch der wirtschaftlichen Aktivität führen. Da diese und andere möglichen Steuererhöhungen vermutlich erst 2012 drohen, wird das Bruttoinlandsprodukt nach einer weiteren Schrumpfung im zweiten Quartal 2011 in den beiden Folgequartalen sehr kräftig wachsen können. Die drohende Abkühlung im Jahr 2012 bedeutet, dass von einem stabilen Wachstumsausblick nicht gesprochen werden kann.

Quelle: DekaBank

Die DekaBank ist im Jahr 1999 aus der Fusion von Deutsche Girozentrale - Deutsche Kommunalbank- und DekaBank GmbH hervorgegangen. Die Gesellschaft ist als Zentralinstitut der deutschen Sparkassenorganisation im Investmentfondsgeschäft aktiv. Mit einem Fondsvolumen von mehr als 160 Mrd. Euro und über fünf Millionen betreuten Depots gehört die DekaBank zu den größten Finanzdienstleistern Deutschlands. Im Publikumsfondsgeschäft hält der DekaBank-Konzern einen Marktanteil von etwa 20 Prozent.

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