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09:23 Uhr, 10.06.2013

Jammern auf hohem Niveau

Stuttgart (BoerseGo.de) - Die europäische Zentralbank (EZB) scheint sich inzwischen für alles verantwortlich zu fühlen, und Tabubrüche sind an der Tagesordnung. EZB-Chef Mario Draghi spricht inzwischen schon von der Möglichkeit, Maßnahmen zu ergreifen, damit kleine und mittelständische Firmen besser aus der Krise kommen. Kreditverbriefungen könnten hier ein richtiges Mittel sein. Wenn die EZB sich nun wirklich auch in diesem Segment tummelt, ist dies für viele Banken ein Armutszeugnis, denn scheinbar können diese den Firmen nicht mehr helfen. Obwohl die EZB ihre Rundumversorgung der Banken bis Mitte nächsten Jahres verlängert hat. Dies ist nun schon seit sechs Jahren der Fall, wie Arnim E. Kogge, Geschäftsführer Vertiva Family Office, in einem aktuellen Marktkommentar schreibt.

Auch die letzte Zinssenkung der EZB auf nun 0,5 Prozent in allen 17 Euro-Staaten solle der lahmenden Wirtschaft auf die Sprünge helfen. Wobei die Zinssenkung (weitere würden kommen) für Deutschland zweischneidig sei. Hier sollte es eher zu einer Zinserhöhung kommen. Obwohl auch Deutschlands Konjunkturdaten schwächelten. Dies sei nicht verwunderlich, da die Exportsituation für die Bundesrepublik noch schwieriger werde, nachdem immer mehr Länder in die Rezession rutschten. Frankreich verzeichne nun statt eines Wachstums von plus 0,1 Prozent, ein Schrumpfen des Bruttoinlandprodukts um 0,1 Prozent, und Spanien stecke mit einem Minus von 1,5 Prozent noch tiefer in der Misere. Beide Länder bekämen von der EU-Kommission nun zwei Jahre mehr Zeit zum Abbau der hohen Neuverschuldung. Ob 2015 dann die Schwelle von 3,0 Prozent des BIP erreicht werden könne, sei mehr als fraglich. Es bleibe dabei, dass weltweit das Wachstumstempo nur noch geringfügig steige oder sogar gar nicht mehr stattfinde. In dieser Phase sei es in Deutschland wenig hilfreich, mit starken Lohnerhöhungen zu drohen und politisch weiter an der Steuerschraube zu drehen. Die Ergebnisse der neuen Steuerschätzung zeigten deutlich, dass weitere Steuererhöhungen gefährlich für die Wirtschaft werden könnten, heißt es.

„Nachdem die Sparer auf Zyperns Konten entmündigt wurden und einen Teil ihres Geldes verlieren, steigt das Misstrauen gegenüber politischen Aussagen. Zukünftig soll zur Bankenrettung eine ‚Haftungskaskade‘ herangezogen werden. Dies würde bedeuten, dass zuerst der Aktionär sein Geld verliert, dann die Inhaber von ungesicherten und gesicherten Anleihen und danach die Anleger mit ihren Einlagen. Wer glaubt in Spanien und Italien noch, dass die Politik im Notfall nicht doch gleich auf die Bankeinlagen ihrer Bürger zurückgreift? Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass es bei Schieflagen von Banken auch zum Beispiel die Pensionsfonds und Versicherungen trifft. Diese Gesellschaften haben meistens sehr große Bestände an Bankschuldverschreibungen. Das bedeutet, dass nicht nur die ‚berühmten‘ Beträge über 100.000 Euro in Gefahr sind, sondern auch jene darunter, denn die Bankschuldverschreibungen würden stark an Wert verlieren. Dies würde somit viele Kleinsparer treffen, die sich zukünftig auf Verluste ihrer Einlagen einstellen könnten. Sollte dieser Glaube sich verfestigen, wäre es das Aus für viele Banken und somit erst der Anfang einer wesentlich größeren Krise. Solche Entscheidungen führen zu weiterer Euro-Skepsis. Inzwischen sehen in Deutschland 36 Prozent der Bürger den Euro als falsche Währung. Ein fataler Irrtum“, so Kogge.

Der Euro werde die Krise überstehen, allerdings sehr angeschlagen. Wobei auf EU-Ebene den Skeptikern geholfen werde, denn inzwischen werde dort über eine gemeinsame Einlagensicherung schwadroniert. Diese würde die von Kanzlerin Merkel gegebene Garantie der Einlagen für deutsche Sparer in Luft auflösen. Die „Alternative für Deutschland“ (AfD) als Anti-Euro-Partei werde dies freuen. „Der allgemeine Änderungswille liegt im Trend. In Großbritannien zeigen die Kommunalwahlen deutlich, in welcher Gefahr die EU lebt. Die antieuropäische Unabhängigkeitspartei (UKIP) konnte auf Anhieb 26 Prozent der Stimmen für sich verbuchen. Sollte sich dies verfestigen, hätte seit 1945 erstmals eine vierte Partei auf der Insel Fuß gefasst, und die Wiederwahl von Cameron wäre 2015 gefährdet. Das allgemeine Vorgehen der Notenbanken und der Politik, der verzweifelte Versuch, auf der einen Seite die Konjunktur durch niedrige Zinsen anzufeuern, und der ehrgeizige Plan, auf der anderen Seite die wirtschaftlichen Krisenländer wieder ins richtige Fahrwasser zu bringen, scheinen trotz aller Fehlplanungen die Aktienmärkte zu beflügeln. Allein der Dow Jones und der DAX konnten neue Rekordstände erreichen. Allerdings sind in diesem wirtschaftlichen Umfeld solche Kurssteigerungen in ständiger Gefahr, als Seifenblase zu platzen“, so Kogge.

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Über den Experten

Tomke Hansmann
Tomke Hansmann
Redakteurin

Nach ihrem Studium und einer anschließenden journalistischen Ausbildung arbeitet Tomke Hansmann seit dem Jahr 2000 im Umfeld Börse, zunächst als Online-Wirtschaftsredakteurin. Nach einem kurzen Abstecher in den Printjournalismus bei einer Medien-/PR-Agentur war sie von 2004 bis 2010 als Devisenanalystin im Research bei einer Wertpapierhandelsbank beschäftigt. Seitdem ist Tomke Hansmann freiberuflich als Wirtschafts- und Börsenjournalistin für Online-Medien tätig. Ihre Schwerpunkte sind Marktberichte und -kommentare sowie News und Analysen (fundamental und charttechnisch) zu Devisen, Rohstoffen und US-Aktien.

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