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08:16 Uhr, 19.06.2018

Italien ist zum Retten zu groß

Sollte Italien in ernsthafte finanzielle Schwierigkeiten geraten, würden die europäischen und globalen Rettungsfonds LGIM-Anleihenexperte Christopher Jeffery zufolge zusammenbrechen.

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London (GodmodeTrader.de) - Das politische Risiko ist in Italien mit aller Macht zurückgekehrt. Als drittgrößter Emittent von Staatsanleihen in der Welt nach den USA und Japan ist das Land zu groß, um ohne eine ernsthafte Ansteckung des globalen Finanzsystems in die Pleite zu rutschen, wie Christopher Jeffery, Fixed Income Strategist bei Legal & General Investment Management (LGIM), in einem aktuellen Marktkommentar schreibt. Nur: „Italien ist auch zu groß, um nach dem Vorbild anderer Eurostaaten finanziell aufgefangen zu werden“, so Jeffery.

Politische Instabilität sei in Italien nichts Neues. Doch die jüngsten Entwicklungen überträfen das bisherige Chaos. „Nach der Wahl im März und den folgenden Turbulenzen haben sich nun die linke Fünf-Sterne-Bewegung und die rechtspopulistische Lega zu einer Regierung zusammengeschlossen. Ihr radikaler Plan sieht eine Neugestaltung des Steuersystems und ein bedingungsloses Grundeinkommen vor, das allein rund 65 Milliarden Euro im Jahr kosten würde“, erklärt Jeffery. „Dieser Zusatzaufwand entspräche rund fünf Prozent des italienischen Bruttoinlandsprodukts (BIP). Europäische Vorschriften würden verletzt und Italiens Staatskasse wäre heillos überlastet.“

Die politische Agenda Roms markiere eine drastische Wende. „Bis vor wenigen Monaten betrug der durchschnittliche Zinssatz für neu emittierte italienische Schuldtitel gerade einmal 0,2 Prozent.“ Die öffentlichen Haushalte in Italien hätten zuletzt einen Überschuss erzielt: „Klammert man die Kosten für den Schuldendienst aus, betrug der Überschuss in den vergangenen zehn Jahren durchschnittlich ein Prozent des BIP. Von den 35 OECD-Ländern zeigte sich nur Norwegen disziplinierter. In Sachen finanzpolitischer Sparsamkeit übertraf Rom sogar Deutschland“, sagt Jeffery. Selbst das italienische Bankensystem habe sich merklich erholt, wobei die notleidenden Kredite seit 2015 um mehr als 25 Prozent zurückgegangen seien.

„Entsprechend hoch ist die Furcht der Anleger vor einer Wiederkehr des politischen Risikos: Die italienischen Anleiherenditen sind im vergangenen Monat um mehr als einen Prozentpunkt gestiegen, im selben Zeitraum gab der italienische Aktienmarkt um zehn Prozent nach.“ Diese Situation wecke unangenehme Erinnerungen an die Staatsschuldenkrise in der Eurozone. „Die Anleger sind aufgeschreckt. Denn Schuldtitel mit einem „BBB“-Rating, wie es Italien derzeit besitzt, sind in der Vergangenheit innerhalb von fünf Jahren mit einer Wahrscheinlichkeit von etwa vier Prozent ausgefallen“, sagt Jeffery.

„Italienische Staatsschulden sind zu einem klaren Ausreißer geworden“, bewertet der Experte die Situation. „Der Markt verlangt nun eine signifikante Prämie, um sie gegenüber allen anderen Investment-Grade-Staatsanleihen zu halten.“ Dabei erwerbe die Europäische Zentralbank (EZB) im Rahmen ihres Anleihekaufprogramms monatlich vier Milliarden Euro italienischer Staatsbonds. „Obwohl die Bedenken einiger Anleger zuletzt kleiner geworden sind“, warnt Jeffery, „hat die Situation definitiv noch das Potenzial, sich toxisch zu entwickeln.“ Der Grund: Die italienischen Staatsschulden beliefen sich auf knapp zwei Billionen Euro – und seien damit größer als die Märkte für öffentliche Schuldtitel in Deutschland, Frankreich oder Großbritannien. Im Vergleich dazu habe die öffentliche Verschuldung Griechenlands 2011 einen Spitzenwert von rund 350 Milliarden Euro erreicht.

„Die griechische Zahlungsunfähigkeit hat dem europäischen Finanzsystem schwere Brustschmerzen bereitet“, kommentiert der LGIM-Finanzexperte, „aber ein italienischer Ausfall würde einen Herzinfarkt auslösen. Sollte Italien in ernsthafte finanzielle Schwierigkeiten geraten, würden die europäischen und globalen Rettungsfonds zusammenbrechen. Dies würde bedeuten: Griechenland, Irland und Portugal würden, da sie immer noch von den Rettungsfonds abhängen, von den Finanzmärkten ausgeschlossen. Der öffentliche Sektor müsste seinen Bruttofinanzierungsbedarf über mehrere Jahre sichern und seine Bankensysteme stützen.“

Italiens Bruttofinanzierungsbedarf liege bei knapp 400 Milliarden Euro pro Jahr. „Dem steht eine ungenutzte Kreditkapazität des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) als Rettungsfonds der Eurozone in Höhe von 380 Milliarden Euro gegenüber“, sagt Jeffery. Selbst der Internationale Währungsfonds (IWF) verfüge nur über rund eine Billion Euro an verfügbaren Ressourcen. Zwar besitze die EZB theoretisch eine unendlich große Bilanz, mit der sie Italien stützen könnte. Rechtlich aber dürfe sie nicht mehr als 33 Prozent der ausstehenden Schulden eines Landes im Euro-Währungsgebiet besitzen. „Sie hält aber schon jetzt rund 16 Prozent des italienischen Schuldenstocks“, sagt Jeffery. Die Währungshüter beharrten zudem darauf, dass Italien seine Anleiheverkäufe an die EZB einstellen müsse, sobald das Land von den vier Ratingagenturen (Moody’s, S&P, Fitch, DBRS) auf „Ramsch“-Niveau herabgestuft werde.

Noch aber bestehe Hoffnung. Denn auch in der italienischen Verfassung seien Bollwerke gegen fiskalische Verrücktheit verankert. 2014 seien Reformen in Kraft getreten, die ausgeglichene Haushalte festschrieben. Allein: „Die Bestimmungen wurden nie vor dem Verfassungsgericht getestet.“ Das jüngste Eingreifen von Präsident Sergio Mattarella deute jedoch darauf hin, dass er seinen Eid zur „Aufrechterhaltung der Verfassung“ ernst nehme. „Eine wichtige Rolle könnte auch dem Chef der Eurogruppe zukommen, die in diesem Fall der Verhandlungspartner Italiens ist.“ Den Ausschuss der Finanzminister der Eurozone leite ausgerechnet der Portugiese Mário Centeno, der sich in der Finanzkrise seines eigenen Landes 2015 nach heftigen Auseinandersetzungen zu einem Befürworter der Sparpolitik gewandelt habe. „Es ist schwer vorstellbar, dass er der Forderung Italiens nach einer gelockerten Finanzpolitik positiv gegenübersteht“, glaubt Jeffery.

Was bedeutet das alles für Anleger? Der LGIM-Experte sieht zwar die Gefahr, dass die europäischen Banken, Frankreich, der Euro und die Brexit-Verhandlungen in ernste Schwierigkeiten geraten könnten, falls Italien an den Rand gedrängt würde. Gleichzeitig aber sei das italienische Risiko im Vergleich zu anderen Ländern nun attraktiv bewertet, was die Anleiherenditen angehe. „Im Asset-Allocation-Team wünschen wir uns noch etwas größere Spreads, bevor wir italienische Anleihen in unseren Portfolios hinzuzufügen“, sagt Jeffery. Mehr Klarheit darüber erwartet er im Herbst. Denn wie alle Eurostaaten müsse Italien bis Mitte Oktober einen Entwurf des Haushaltsplans für die Kontrolle durch die Europäische Kommission vorlegen. Bis dahin entwickle sich das politische Risiko möglicherweise weniger turbulent als die vergangenen Wochen fürchten ließen: „Derzeit sind es wahrscheinlich die Finanzmärkte, die einen möglichen politischen Radikalismus in Italien eindämmen.“

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Über den Experten

Tomke Hansmann
Tomke Hansmann
Redakteurin

Nach ihrem Studium und einer anschließenden journalistischen Ausbildung arbeitet Tomke Hansmann seit dem Jahr 2000 im Umfeld Börse, zunächst als Online-Wirtschaftsredakteurin. Nach einem kurzen Abstecher in den Printjournalismus bei einer Medien-/PR-Agentur war sie von 2004 bis 2010 als Devisenanalystin im Research bei einer Wertpapierhandelsbank beschäftigt. Seitdem ist Tomke Hansmann freiberuflich als Wirtschafts- und Börsenjournalistin für Online-Medien tätig. Ihre Schwerpunkte sind Marktberichte und -kommentare sowie News und Analysen (fundamental und charttechnisch) zu Devisen, Rohstoffen und US-Aktien.

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