Kommentar
09:24 Uhr, 09.02.2017

Ist Handel wirklich gut für die Wirtschaft?

Die einen wollen weniger Handel, die anderen mehr. Beide Lager fühlen sich im Recht. Die Sachlage ist allerdings wesentlich komplizierter.

Bereits in der Schule lernt man, dass Handel gut ist. In vielen Ländern steht das so im Lehrplan. Jedes Land stellt das her, was es am besten kann. Anstatt von allem alles zu produzieren, gibt es eine Spezialisierung. Wer sich spezialisiert ist effizienter. Werden dann Waren global ausgetauscht, gewinnt jeder.

Deutschland ist weltweit für seine Autos und Maschinen bekannt. Das ist der Exportschlager schlechthin. Natürlich könnte Deutschland auch Textilien und Spielzeuge herstellen, anstatt sie aus China und Indien zu importieren. Das macht jedoch wenig Sinn. Autos und Maschinen haben einen guten Ruf. Die Technologie und der Nutzen stimmen. Deutsche Unternehmen erwirtschaften anständige Margen.

Nun kann sich ein Land mehr oder minder frei entscheiden, was es produziert. Deutschland könnte also sehr wohl Textilfabriken in die Landschaft stellen, doch welchen Vorteil hat das? Die Lohnkosten sind höher als in China oder Vietnam. Die Materialien sind überall auf der Welt gleich. Es fehlt schlichtweg an einem Wettbewerbsvorteil.

Die Idee, dass jedes Land einen oder mehrere Schwerpunkte hat, macht Sinn. Es erhöht den Wohlstand. Wer in der Autoindustrie arbeitet, verdient mehr als ein Näher. Gleichzeitig sind die Produkte aus dem Ausland, Textilien etwa, günstiger, weil sie billiger hergestellt werden können. Indem in Deutschland spezialisierte und teurere Produkte hergestellt und Massenwaren importiert werden, geht es den Menschen im Durchschnitt besser.

Der Durchschnitt sagt wenig über Einzelschicksale aus. Das wird in der Debatte häufig vergessen. Dennoch, im Großen und Ganzen ist der Austausch von Waren zwischen Ländern weltweit sinnvoll. Das leuchtet fast jedem ein. Es ist schon eine Art Gesetz, dass der Handel den Wohlstand steigert. Es gibt dabei jedoch ein Problem.

Das Problem liegt nicht unbedingt auf der Hand. Auf dem Papier macht der Handel ja sehr viel Sinn. Es wird nicht nur mit höherem Wohlstand, sondern auch mit höherem Wirtschaftswachstum argumentiert. An dieser Stelle wird es etwas schwammig, denn mit einem Blick auf die Historie ist das so nicht zu bestätigen.

Grafik 1 zeigt die Entwicklung des Welthandels und der globalen Wirtschaftsleistung. Beide Zeitreihen verlaufen tendenziell parallel. Das gilt nicht erst seit gestern, sondern seit über 200 Jahren. Die Aussage ist im Detail dennoch nicht klar. Anfang des 19. Jahrhunderts stockte der Handel. Das Wachstum beeinträchtige das kaum.


In der Zeit vom Ersten bis zum Zweiten Weltkrieg kam der Handel global nicht mehr recht vom Fleck. Das Wachstum brillierte ebenfalls nicht, war aber immer noch deutlich stärker als das Wachstum des Handels. Wachstum geht auch ohne mehr Handel.

Der Vergleich hinkt natürlich. Wegen der Kriege war die Binnennachfrage sehr hoch, alles durch den Staat schuldenfinanziert. Das hielt das Wachstum relativ hoch. Nach Ende des Krieges beschleunigte es sich substantiell. Diese Beschleunigung fiel mit einem rasanten Anstieg der gehandelten Waren zusammen. Ob nun aber das höhere Wachstum den Handel belebte oder der Handel das Wachstum, lässt sich nur schwer feststellen.

Ebenso lässt sich erkennen, dass das globale Wachstum bereits seit dem Jahr 2000 deutlich nachlässt. Der Handel brach erst nach 2008 zusammen. Das hohe Wachstum des Handels zwischen 2000 und 2008 hat nicht zu höherem Wirtschaftswachstum geführt. Nun kann man natürlich auch sagen: wäre der Handel auch noch schwach gewesen, hätten wir eine sehr viel schlimmere Situation gehabt und möglicherweise eine jahrelange Rezession.

Grafik 2 zeigt die Entwicklung des Handels und das Wirtschaftswachstum im Dekadendurchschnitt. Trotz (oder wegen?) des positiven Handelstrends bis 2008 verlangsamt sich das Wachstum seit über 30 Jahren. Man könnte auch sagen: mehr Handel hat nicht mehr Wachstum gebracht.

Ein Gegenbeispiel lässt sich freilich auch finden. Als der Handel mit dem Ersten Weltkrieg zusammenbrach, kam auch das Wachstum nicht mehr voran. Dem Krieg folgte nur ein kurzer Aufschwung, bis sich alle Länder Anfang der 30er Jahre in Protektionismus übten. Das Wachstum brach endgültig weg.

Es lässt sich für beide Seiten Argumente finden. Persönlich bin ich der Meinung, dass Handel positiv ist. Das gilt aber letztlich nur, wenn er auch fair ist. Das ist er nicht immer. Manche Länder verschaffen sich über Zölle oder ihre Währung Vorteile. Das bringt dann nicht allen mehr Wohlstand, sondern benachteiligt auch viele.

Clemens Schmale

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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