Kommentar
10:35 Uhr, 16.08.2024

Ist es schon zu spät, die Zinsen zu senken?

Die US-Notenbank selbst ist nicht der Meinung, dass es schon zu spät ist. Anders sieht es bei der Einschätzung vieler Anleger, Investoren und auch ehemaligen Notenbankern aus. Wer liegt richtig?

Die aktuelle Periode ist sehr interessant und hält immer wieder Überraschungen bereits. Es begann damit, dass Notenbanken überall auf der Welt den Anstieg der Inflation als vorübergehend bezeichneten. Weil dies die gängige Meinung war, blieb die Geldpolitik sehr locker. Die Zinsen lagen in den USA bei 0 %, die EZB beließ den Einlagensatz bei -0,5 %, erhöhte aber die Anleihekäufe erheblich.

Als die Inflationsrate weiter und weiter stieg, kamen Notenbanken zu einem anderen Schluss. Die hohe Inflation war wohl doch nicht vorübergehend. Mit dieser Erkenntnis war auch klar, dass Notenbanken spät dran sind, der Inflation entgegenzuwirken. Entsprechend schnell wurden die Zinsen erhöht.


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Seit einiger Zeit geht die Inflationsrate nicht nur mehr zurück, sie erreicht in einigen Ländern auch wieder die Zielmarke. In den USA ist das noch nicht der Fall, doch einige Datensätze zeigen einen ungemütlich schnellen Rückgang. Die Inflationsrate könnte unter 2 % fallen. Das, zusammen mit Konjunktursorgen, macht Anleger nervös.

Es kommen Zweifel auf. Bisher wirkte es so, als hätten Wirtschaft und Verbraucherpreise die hohen Zinsen gut verkraftet. Eine plötzliche Bremswirkung war nicht zu verspüren. Nun wird befürchtet, dass die Bremswirkung doch noch auftritt. Das kann man auch begründen. Die US-Notenbank tut dies in einem Forschungsbericht.

Sie untersuchte dabei die Inflationsperiode der 70er-Jahre und die jüngste Phase. In den 70er-Jahren trieben Rohstoffe die Inflationsrate nach oben. Sie waren der absolut dominierende Faktor. Die Nachfrage trug negativ bei. Das Wirtschaftswachstum war in vielen Regionen tief und eine Rezession folgte der nächsten. In einzelnen Ländern gab es zusätzlich Faktoren, die die Inflationsrate in den meisten Fällen anfänglich ebenfalls steigen ließ (Grafik 1).

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Die zurückliegende Periode wurde nicht von Rohstoffpreisen, sondern von Angebots- und Nachfrageschocks dominiert (Grafik 2). Lockdowns unterbrachen Lieferketten. Das Angebot war knapp. Gleichzeitig wurde von staatlicher Seite Geld verschenkt und Konsumenten konnten es nur für Güter ausgeben. Es war ein Nachfrageschock.

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Es ist nur eine Frage der Zeit, bis ein Gleichgewicht wiedergefunden wird. Das galt auch für länderspezifische Faktoren wie in Europa die Energiekrise. Zinsen haben damit wenig zu tun. Die Inflation war hoch, die Zinsen wurden angehoben und nun kommt plötzlich wieder alles ins Gleichgewicht. Nur: Das Zinsniveau ist dafür viel zu hoch, so zumindest die Sorge einiger Anleger.

Woher die Inflation kommt, ob durch hohe Rohstoffpreise oder andere Schocks, Zinsen sind in beiden Fällen nicht das beste Mittel. Es ist aber das, welches zur Verfügung steht. Persönlich glaube ich nicht, dass die US-Wirtschaft nun plötzlich vor dem Abgrund steht. Was auch immer die Gründe sein mögen, die Inflation ist immer noch leicht zu hoch und die Nachfrage nach Arbeit höher als üblich. Die Erwerbsbevölkerung ist immer noch kleiner als die Summe von Beschäftigten und offenen Stellen.

Das Gleichgewicht ist fast erreicht (Grafik 3). Senkt die Notenbank im September die Zinsen, tut sie dies mit hoher Wahrscheinlichkeit genau in dem Moment, in dem das Gleichgewicht erreicht ist. Ob das reicht, um zu niedrige Inflation und einen unterkühlten Arbeitsmarkt abzuwenden, muss man abwarten. Das Risiko, die Zinsen früher zu senken, war jedenfalls zu groß, selbst wenn sich nun rückblickend doch wieder herausstellt, dass der Inflationsschub vorübergehend war.

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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