Kommentar
12:11 Uhr, 07.08.2020

Ist die Krise wirklich schon vorbei?

Ein Echtzeitindikator der Bundesbank zeigt, dass sich der Zustand der Wirtschaft anscheinend wieder normalisiert hat. Doch die Sache hat einen Haken.

Im Zuge der Corona-Krise ist es besonders wichtig, die wirtschaftliche Entwicklung möglichst engmaschig zu beobachten. Traditionelle Konjunkturdaten sind dazu oft eher schlecht geeignet, weil sie oft nur quartalsweise und mit erheblicher Verzögerung veröffentlicht werden.

Im Zuge der Corona-Krise hat die Bundesbank einen neuen Indikator für die wirtschaftliche Aktivität in Deutschland entwickelt, der wöchentlich aktuelle Werte liefert und damit praktisch eine Echtzeit-Analyse der wirtschaftlichen Situation erlaubt. Der sogenannte Wirtschaftliche Aktivitätsindex (WAI) basiert auf sieben Datenquellen, die in täglicher oder wöchentlicher Frequenz zur Verfügung stehen. Im Einzelnen sind dies:

  • Stromverbrauch (ohne Industrienetze und Eigenverbrauch der Produzenten)
  • Lkw-Maut-Fahrleistungsindex
  • Google-Suchanfragen für den Begriff "Arbeitslosigkeit"
  • Google-Suchanfragen für den Begriff "Kurzarbeit"
  • (weltweite) Anzahl an Passagier- und Frachtflügen
  • Stickstoffdioxid-Konzentration in der Luft
  • Bargeldabhebungen

Mit Hilfe eines komplexen mathematischen Modells wird aus diesen Daten der sogenannte wöchentlicher Aktivitätsindex (WAI) für die deutsche Wirtschaft berechnet, der näherungsweise die Wachstumsrate der deutschen Wirtschaft gegenüber dem Vorquartal zeigt. Liegt der Index etwa ein gesamtes Quartal bei einem Wert von 1, so würde dies einem Wachstum der deutschen Wirtschaft um ein Prozent gegenüber dem Vorquartal entsprechen.

Für die Kalenderwoche vom 27. Juli bis 2. August hat dieser wöchentliche Aktivtitätsindex nun mehr oder weniger die Nulllinie erreicht. Konkret signalisiert der Index noch ein BIP-Minus von 0,06 Prozent, wie die folgende Grafik zeigt.

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Seinen Tiefpunkt hatte der wöchentliche Aktivitätsindex Mitte Juni erreicht, seitdem kam es zu einer deutlichen Erholung, in deren Rahmen nun erstmals wieder ungefähr die Nulllinie erreicht wurde.

Um die Aussagekraft des WAI einschätzen zu können, muss man allerdings berücksichtigen, was der WAI genau aussagt. Steht der WAI, wie aktuell, bei minus 0,06, so entspricht dies einem Rückgang des BIPs in den letzten 12 Wochen (näherungsweise ein Quartal) gegenüber den vorangegangenen 12 Wochen um 0,06 Prozent.

Im konkreten Fall wird der Zeitraum 11. Mai bis 2. August mit dem Zeitraum 17. Februar bis 10. Mai verglichen. Für diesen Vergleich ergibt sich daraus das näherungsweise Nullwachstum von minus 0,06 Prozent. Das bedeutet allerdings letztlich nur, dass die Wirtschaft von Anfang Mai bis Anfang August im Vergleich zum vorherigen Zeitraum nicht mehr weiter geschrumpft ist. Der Basis-Zeitraum (17. Februar bis 10. Mai) beinhaltete allerdings den Höhepunkt des Corona-Lockdowns, weswegen die wirtschaftliche Aktivität in diesem Zeitraum extrem gedämpft war.

Der WAI signalisiert also derzeit wieder ein Nullwachstum, weswegen man zumindest bei oberflächlicher Betrachtung von einem Ende der Krise ausgehen könnte. Allerdings unterliegt der WAI einem starken Basiseffekt: Da der WAI immer das Wachstum des letzten Quartals (genaugenommen der letzten 12 Wochen) mit dem vorangegangenen Quartal (den vorangegangenen 12 Wochen) vergleicht, ist der Vergleichszeitraum aktuell genau der Zeitraum, in den auch der Corona-Lockdown fiel. Nur in Bezug auf diesen Krisen-Zeitraum kann man bisher von einer Normalisierung bzw. Erholung sprechen.

Ob die Erholung wirklich nachhaltig ist, werden erst die kommenden Wochen und Monate zeigen. Der WAI dürfte in naher Zukunft deutlich über die Nulllinie ansteigen und damit wieder mehr oder weniger starkes Wachstum signalisieren. Dabei muss aber eben berücksichtigt werden, dass sich dieses Wachstum auf einen Zeitraum bezieht, in dem die wirtschaftliche Aktivität krisenbedingt stark erniedrigt war.

Fazit: Bis sich der Zustand der Wirtschaft auch im Vergleich zu "normalen Zeiten" wieder normalisiert, dürfte es noch eine ganze Weile dauern - obwohl der WAI inzwischen wieder die Nullinie erreicht hat und in den kommenden Wochen und Monaten deutlich in den positiven Bereich steigen dürfte.


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2 Kommentare

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  • Tüskendör
    Tüskendör

    Irgendwo hatte ich es kürzlich thematisiert. Die "Wirtschaft" stellt sich langsam aber sicher gegen Trump/bzw. gegen trumpsche nicht-Lösungsansätze:

    "Es gibt keinen Zielkonflikt zwischen der Gesundheit und der Wirtschaft. Beide verlangen es, das Virus aggressiv unter Kontrolle zu bringen." Notenbänker (Minneapolis)

    https://www.n-tv.de/panorama/23-52-Uber-fuenf-Millionen-gemeldete-Infektionen-in-den-USA--article21961128.html

    Heißer Herbst in Übersee. Machen wir uns nix vor - auch hier wird`s mindestens arg haarig - doch dort.... ? Extrem schlechte Basis für ein annehmbares Ergebnis. Sagte Trump nicht mal etwas wie "Wenn wir es schaffen die Zahl der Toten unter 100.000 zu halten haben wir einen guten Job gemacht?" 160.000 jetzt - 230.000 schon "so gut wie sicher"... selbst mit stark verschärften Maßnahmen, die auf Bundesebene m.E. noch nicht absehbar sind. Bitter. Populismus wird bestraft.

    01:35 Uhr, 09.08. 2020
  • Dr. Bull
    Dr. Bull

    Die Krise ist noch lange nicht vorbei. Es kommt die Zeit, wo es den Anschein macht, dass es ganz vorbei wäre (noch ist es nicht soweit) und dann knallt es noch mal. Und dann noch heftiger, als bisher. Das wird der Zeitpunkt sein, wo sich fast alle Robinhood-Trader mächtig die Finger verbrennen werden.

    15:44 Uhr, 07.08. 2020

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Über den Experten

Oliver Baron
Oliver Baron
Experte für Anlagestrategien

Oliver Baron ist Finanzjournalist und seit 2007 als Experte für stock3 tätig. Er beschäftigt sich intensiv mit Anlagestrategien, der Fundamentalanalyse von Unternehmen und Märkten sowie der langfristigen Geldanlage mit Aktien und ETFs. An der Börse fasziniert Oliver Baron besonders das freie Spiel der Marktkräfte, das dazu führt, dass der Markt niemals vollständig vorhersagbar ist. Der Aktienmarkt ermöglicht es jedem, sich am wirtschaftlichen Erfolg der besten Unternehmen der Welt zu beteiligen und so langfristig Vermögen aufzubauen. In seinen Artikeln geht Oliver Baron u. a. der Frage nach, mit welchen Strategien und Produkten Privatanleger ihren Börsenerfolg langfristig maximieren können.

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