Kommentar
06:10 Uhr, 28.11.2016

Ist das Zinstief doch noch nicht erreicht?

Global steigen die Zinsen in diesen Tagen rasant an. Wie kann da das Zinstief noch nicht erreicht sein?

Es wirkt äußerst widersprüchlich. Nach jahrzehntelangem Abwärtstrend bei den Zinsen scheint sich global nun endlich ein Boden zu bilden. In den USA hält der Trend sinkender Zinsen seit 1981 an (Grafik 1). In Deutschland war ein ähnliches Phänomen zu beobachten. Die Zinsen erreichten bereits in der ersten Hälfte der 70er Jahre ihr Hoch, doch sie begannen erst mit den US-Zinsen in den 80er Jahren wieder nachhaltig zu sinken.

Der Trend zu immer tieferen Zinsen war global. Selbst wenn die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in den einzelnen Ländern teilweise divergierten, so bewegten sich die Zinsen doch im Gleichschritt. Man kann also in Europa und überall auf der Welt auf und nieder springen wie man will – wenn in den USA die Zinsen steigen, wird das auch bei uns früher oder später der Fall sein.

Es deutet alles auf die langfristige Zinswende hin. Der Bond-Selloff der letzten Tage macht noch keine Zinswende. Es ist aber auch nicht erst ein Trend, der seit gestern anhält. In den USA arbeiten die Zinsen seit 2012 an einem Boden. In Europa war das bisher nicht der Fall – der EZB sei Dank.

Die Zinsen können letztlich nur einen nachhaltigen Boden ausbilden, wenn die Inflation steigt. Hohe Zinsen bei niedriger Inflation machen keinen Sinn. Es würde die Wirtschaft endgültig abwürgen. Stünden die Zinsen bei Nullinflation im historischen Mittel von 4 %, wäre die Realrendite vom Sparbuch so sensationell, dass man geradezu dumm wäre zu investieren und blind zu konsumieren, anstatt zu sparen.
Das Zinstief scheint erreicht, weil das Inflationstief erreicht wurde. Es deutet vieles darauf hin, dass Rohstoffe, die in den vergangenen Jahren die Inflation drückten, ihre Tiefs gesehen haben. Das sollte der Inflation mittelfristig Auftrieb geben.

In Erwartung höherer Inflationsraten in den kommenden Jahren beginnen die Renditen für Staatsanleihen zu steigen. Die Zinswende ist auf dem Anleihemarkt angekommen. Bei der Geldpolitik der Notenbanken kann man das noch nicht behaupten. Die japanische Notenbank erteilte der Zinswende in Japan eine Absage.

Die Zinsen stiegen zuletzt auch in Japan. Notenbankchef Kuroda schob dieser Entwicklung einen Riegel vor. Im Notfall kauft die Notenbank sämtliche Anleihen mit Laufzeit bis 10 Jahren auf, um die Zinsen auf dem aktuellen Niveau zu halten. Ob diese niedrigen Zwangszinsen Sinn machen, sei dahingestellt.

Wenn nun alles auf steigende Inflation und somit auch steigende Zinsen hindeutet, wie kann da der Boden noch nicht erreicht sein? Albert Edwards, Analyst der Société Générale und unschlagbarer Dr. Doom, kann sich ein solches Szenario vorstellen. Dieses ist, im Gegensatz zu so manch anderen seiner Thesen, nicht von der Hand zu weisen.

Edwards Logik lässt sich recht einfach zusammenfassen: hohe Inflation führt zu sinkenden Zinsen. Das wirkt auf den ersten Blick ziemlich abwegig, ist in der Praxis aber absolut korrekt. Wieso das so ist, zeigt Grafik 2. Dargestellt sind das US-Wirtschaftswachstum und die Inflation. Die Inflation ist invertiert dargestellt, sodass beide Zeitreihen parallel verlaufen.
Was sich seit Jahrzehnten zeigt, ist ein ziemlich einfacher Zusammenhang. Steigt die Inflation innerhalb kurzer Zeit stark an, fällt das Wirtschaftswachstum in sich zusammen. Wenn die Wirtschaft in die Rezession abgleitet, dann sinken die Zinsen. So einfach ist das.

Nun kommt alles darauf an, ob die Inflation wirklich rasch ansteigt. Sie müsste in den USA von derzeit 1,6 % auf 3 % innerhalb eines halben Jahres ansteigen oder zumindest auf Sicht von zwei Jahren auf 4 % bis 5 % ansteigen. Kommt es dazu, dann liegt die Sache recht klar auf der Hand. Die Notenbank würde die Zinsen rasch anheben und letztlich die Wirtschaft abwürgen.

Das Abwürgen der Wirtschaft ist nicht allein auf steigende Leitzinsen zurückzuführen. Hohe Inflation ist ein Ausdruck dafür, dass die Wirtschaft überhitzt. Eine Überhitzung ist ein fragiler Zustand. Selbst wenn die Notenbank untätig wäre, ist ein Trendwechsel sehr wahrscheinlich.

Es hängt alles daran, ob die Inflation rasch ansteigen kann. Tut sie dies, weil Rohstoffpreise weiter steigen und die neue US-Administration ein großes Konjunkturpaket aufgleist, dann ist die Überhitzung nicht mehr fern. Sie ist auch ohne Konjunkturprogramm nicht mehr fern.

Inflation hemmt für gewöhnlich den Konsum. Dieser ist in den USA von besonders großer Bedeutung. Lahmt der Konsum und steigen die Zinsen wie derzeit weiter an, dann lahmen auch die Investitionen zunehmend. Beides zusammen gibt dem Wachstum den Todesstoß.

Wie kommen die USA aus dieser Misere heraus? Edwards geht davon aus, dass der Notenbank nichts anderes übrigbleiben wird, als die Zinsen wieder zu senken und QE wiederzubeleben. Beides führt zu einer Rendite der 10-jährigen Anleihen von -1 %.

Das Szenario hat eine geringe Eintrittswahrscheinlichkeit. Bis die Inflation so schnell und stark steigt, dass es die Wirtschaft abwürgen wird, vergehen noch einige Jahre. Mittelfristig werden die Zinsen weiter steigen, wenn auch deutlich moderater als in den letzten Wochen.

Clemens Schmale

Sie interessieren sich für Makrothemen und Trading in exotischen Basiswerten? Dann folgen Sie mir unbedingt auf Guidants!

Eröffne jetzt Dein kostenloses Depot bei justTRADE und profitiere von vielen Vorteilen:

  • 25 € Startguthaben bei Depot-Eröffnung
  • ab 0 € Orderprovision für die Derivate-Emittenten (zzgl. Handelsplatzspread)
  • 4 € pro Trade im Schnitt sparen mit der Auswahl an 3 Börsen & dank Quote-Request-Order

Nur für kurze Zeit: Erhalte 3 Monate stock3 Plus oder stock3 Tech gratis on top!

Jetzt Depot eröffnen!

5 Kommentare

Du willst kommentieren?

Die Kommentarfunktion auf stock3 ist Nutzerinnen und Nutzern mit einem unserer Abonnements vorbehalten.

  • für freie Beiträge: beliebiges Abonnement von stock3
  • für stock3 Plus-Beiträge: stock3 Plus-Abonnement
Zum Store Jetzt einloggen
  • Wollmilchsau
    Wollmilchsau

    lol ... boden seit 2013...ich lach mich tot.

    Die werden jetzt noch rasch in den nächsten monaten die zinsen auf 0,75 - 1,0 heben, 2017 vermutlich in die rezession gleiten, offiziell eingestehen und der welt reindrücken mit qe4 unter anderem namen viel geld drucken zu müssen um die wirtschaft wieder anzukurbeln und america great again zu machen.

    Japan machts vor...die ami werden einfach nach boj die zinsen wieder senken und die 30jährigen bond für die regierung bei zb. 0% einfrieren. Warum sollte die fed nicht speziell für den staat zinsfreie bonds auflegen??? Was spricht dagegen? Das hat niemand auf dem radar.

    07:50 Uhr, 28.11. 2016
  • Bigdogg
    Bigdogg

    Dann ist gut....Long in Gold/Silber und fertig.

    21:12 Uhr, 27.11. 2016
  • brokergio
    brokergio

    Hallo Hr.Schmale,

    wieso hat das Szenario von Hr.Edwards eine geringe Eintrittswahrscheinlichkeit?

    Die Welt ist hoch verschuldet und es wird nicht weniger....wie um Himmels Willen kann man sich

    steigende Zinsen erlauben?? Erklären Sie das mal bitte...und erklären Sie auch wie sich die Welt entschulden kann wenn nicht über Negativzinsen....Danke...

    11:50 Uhr, 26.11. 2016
  • netzadler
    netzadler

    Das system MUSS wachsen, es MUSS immer mehr konsumiert werden.

    Der anteil von wachstum und konsum im sinnfreien bereich wächst stetig. der gestrige freitag war wieder ein sehr guter beleg.

    diss is kronk

    10:03 Uhr, 26.11. 2016

Das könnte Dich auch interessieren

Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

Mehr über Clemens Schmale
  • Makroökonomie
  • Fundamentalanalyse
  • Exotische Basiswerte
Mehr Experten